Autoexperte Diez zu Opel-Verhandlungen "GM fehlt derzeit das Geld, um Opel zu halten"
Der Poker geht weiter. Eigentlich wollte General Motors (GM) bereits am Wochenende entscheiden, an welchen Anbieter Opel verkauft wird. Doch daraus wird vorerst nichts. Was das für Opel, GM und die Bundesregierung bedeutet, sagt Autoexperte Diez im tagesschau.de-Interview.
tagesschau.de: Wieso spielt die GM-Führungsspitze bei den Opel-Verhandlungen auf Zeit?
Willi Diez: Die GM-Führung hat ein großes Problem: Eigentlich will sie den belgischen Finanzinvestor RHJI an Opel beteiligt sehen, weil nur so ein späterer Rückkauf von Opel für GM möglich ist. Auf der anderen Seite hat sich die Bundesregierung auf eine Lösung mit Magna festgelegt. Nur dann gibt es die 4,5 Milliarden Euro Kredite für Opel. Die GM-Führung steht jetzt also vor einem Dilemma und muss abwägen, was das kleinere Übel von beidem ist.
tagesschau.de: Warum sträubt sich GM so gegen eine Lösung mit Magna?
Diez: Das hat weniger mit Magna zu tun, als vielmehr mit einer Vorliebe für RHJI. Bei GM wächst momentan die Erkenntnis, dass ein Automobilhersteller heute - aber auch langfristig - nur überleben kann, wenn er in allen großen Absatzmärkten, also in Nordamerika, Asien und Europa, stark und präsent ist.
Mit der zuletzt erfolgreichen Restrukturierung von GM in den USA hat es in Detroit wohl auch einen Einstellungswandel gegeben. Man will langfristig die Karte Opel nicht völlig aus der Hand geben. Europa ist nach wie vor der zweitgrößte Automobilmarkt der Welt und wenn man Opel jetzt an einen anderen industriellen Investor verkauft, dann besteht die Gefahr, ein wichtiges Standbein auf diesem Markt zu verlieren.
tagesschau.de: Wäre es für GM dann nicht das Beste, Opel einfach zu behalten?
Diez: GM hätte bestimmt nichts dagegen, Opel langfristig wieder in den Konzern zu integrieren. Doch dazu fehlt es momentan an Geld. Aber GM wird jetzt bestimmt keiner Lösung zustimmen, die diese Option gänzlich verbaut. Und mit RHJI wäre es bestimmt einfacher zu einer Lösung zu kommen, was einen möglichen Rückkauf der Anteile angeht.
tagesschau.de: Aktuell kann es sich GM also nicht leisten, Opel zu behalten?
Diez: Genau. Ich glaube nicht, dass GM allen Investoren eine Absage erteilen wird. Dafür ist der Konzern momentan nicht stark genug.
Der österreichisch-kanadische Zulieferer Magna will Opel mithilfe der halbstaatlichen russischen Sberbank übernehmen. Das Konsortium, an dem die beiden Unternehmen je zur Hälfte beteiligt sind, will 55 Prozent der Opel-Anteile kaufen, 35 Prozent sollen weiterhin bei GM bleiben, mit weiteren zehn Prozent können sich die Opel-Mitarbeiter beteiligen. Magna und die Sberbank wollen eigenen Angaben zufolge 500 Millionen Euro in Opel investieren. Ihr Konzept sieht Staatshilfen von insgesamt 4,5 Milliarden Euro vor. Unstimmigkeiten mit GM gab es zuletzt vor allem in Patentrechtsfragen.
RHJI:
Der Finanzinvestor RHJI mit Sitz in Brüssel will Medienberichten zufolge etwas mehr als 50 Prozent von Opel kaufen. 39,9 Prozent des Rüsselsheimer Autobauers würden in den Händen von GM bleiben, zehn Prozent könnte die Belegschaft übernehmen. RHJI will demnach 275 Millionen Euro investieren und plant Staatshilfen von unter drei Milliarden Euro ein.
tagesschau.de: Welche Lösung halten Sie denn für die Bessere?
Diez: Ich habe schon immer gesagt, dass die Loslösung von GM nicht unbedingt die Rettung für Opel sein muss - das kann auch der Anfang vom Ende sein.
tagesschau.de: Wieso das?
Diez: Opel ist mit 1,5 Millionen verkauften Autos einfach zu klein, um im Weltmarkt zu überleben. Die brauchen einen starken Partner, um zu einer überlebensfähigen Größe zu kommen. Und da erscheint mir das Paket mit RHJI - samt der Option eines späteren Rückkaufs durch GM - durchaus als zukunftsfähig. Für die Beschäftigten ist es ja letztlich wichtig, dass sich Opel weiterentwickelt und nachhaltig wettbewerbsfähig wird.
tagesschau.de: War die frühe Entscheidung der Bundesregierung zugunsten von Magna ein Fehler?
Diez: Dass die Bundesregierung damals so entschieden hat, ist schon nachvollziehbar. Das Vertrauen in die Verlässlichkeit eines industriellen Investors ist eben größer, als das in einen Finanzinvestor. Zumal man in der der Vergangenheit - denken Sie an die Geschichte von Chrysler und dem Finanzinvestor Cerberus - ja durchaus Negativ-Beispiele mitbekommen hat. Doch die Zeiten ändern sich. Jetzt ist GM wieder erstarkt und hat als quasi amerikanisches Staatsunternehmen ganz andere Möglichkeiten Opel zu retten.
tagesschau.de: Wie geht der Poker um Opel jetzt weiter?
Diez: Hoffentlich nicht mehr allzu lange. Denn die mögliche Taktik von GM, bis nach der Bundestagswahl die Entscheidung zu verschieben, um dann mit einer neuen Bundesregierung neu zu verhandeln, könnte sich auch als Schuss ins Knie erweisen.
tagesschau.de: Wieso das?
Diez: Momentan steht noch die Kreditzusage der Bundesregierung. Die ist zwar noch an eine bestimmte Lösung gekoppelt, aber es gibt bestimmt nichts worüber man nicht nochmal reden kann. Ob das Interesse der Bundesregierung an einer Opel-Rettung nach der Bundestagswahl noch so groß ist, ist zumindest fraglich. Das heißt, der in Aussicht gestellten 4,5 Milliarden-Kredit könnte nach der Bundestagswahl von einer neuen Bundesregierung auch wieder in Frage gestellt werden.
tagesschau.de: Leidet nicht auch die Marke Opel unter diesem Hin und Her?
Diez: Ganz bestimmt. Aus Sicht von GM wäre es sehr schlecht, wenn sich die ganze Diskussion noch über die Internationale Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt Mitte September hinziehen würde. Die IAA hat dieses Jahr für die Marke Opel eine unheimlich große Bedeutung, denn dort wird der neue "Astra" vorgestellt, bekanntermaßen das "Brot und Butter" - Auto von Opel. Wenn bis dahin immer noch alle über mögliche Investoren und nicht über das neue Modell schreiben - dann ist das für Opel und letztlich auch für GM eine wirkliche Katastrophe.
Das Interview führte Niels Nagel, tagesschau.de