Pläne mit Mercosur-Staaten Was das Freihandelsabkommen für die EU bedeutet
Mit dem Abkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten entsteht die größte Freihandelszone der Welt - sie betrifft mehr als 700 Millionen Menschen. Welchen Ländern und Branchen bringt der Pakt am meisten? Wer übt Kritik?
Was erhofft sich die EU von dem Freihandelsabkommen?
Die EU verfolgt mit dem Freihandelsabkommen im Wesentlichen ein wirtschaftliches und ein geostrategisches Ziel. Zum einen geht es um Vorteile für die heimische Industrie, indem europäische Unternehmen ihre Produkte günstiger in den Mercosur-Ländern verkaufen oder von den Importen aus den südamerikanischen Ländern profitieren. Zum anderen geht es darum, sich unabhängiger von China und den USA zu machen und mit anderen Regionen der Welt bessere Handelsverbindungen zu knüpfen.
Was macht den Pakt für die EU so interessant?
In den vier Mercosur-Ländern (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay) leben mehr als 260 Millionen Menschen. Zusammen bilden sie die fünftgrößte Wirtschaftsregion der Welt mit einem jährlichen Bruttoinlandsprodukt von 2,2 Billionen Euro. Im vergangenen Jahr importierten sie aus der EU Waren im Wert von 55,7 Milliarden Euro, in umgekehrter Richtung betrug das Exportvolumen 53,7 Milliarden Euro. Insgesamt könnten nach EU-Angaben 60.500 europäische Unternehmen profitieren.
Wie groß wären die wirtschaftlichen Effekte?
Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) kommt in einer Sichtung verschiedener Studien zu dem Ergebnis, dass die gesamtwirtschaftlichen Effekte eher klein ausfallen dürfte. In der EU könnte das BIP zwischen 2024 und 2040 gerade einmal um 0,06 Prozent wachsen - das entspräche gerade einmal rund 11,3 Milliarden US-Dollar. Größter Profiteuer wäre Brasilien mit 0,46 Prozent BIP-Zuwachs, was 9,3 Milliarden US-Dollar entspräche. Diese Zahlen wurden anhand des Global Trade Analysis Projects (GTAP) berechnet. Auch andere Studien kamen zu Zahlen in ähnlicher Größenordnung, so das IW.
Welche Sparten der Wirtschaft könnten besonders profitieren?
Gerade die Industrie hofft auf ein gutes Geschäft. So haben etwa die deutschen Autobauer schon lange auf ein Mercosur-Freihandelsabkommen gedrängt. Bisher müssen nämlich für ihre Autos, die in die Mercosur-Staaten importiert werden, 35-prozentige Zölle gezahlt werden. Das habe dazu geführt, dass aus Deutschland im gesamten Jahr 2023 nur 20.700 Pkw nach Argentinien und Brasilien exportiert wurden, heißt es vom Verband der Automobilindustrie (VDA). Auch auf Autoteile gibt es bisher hohe Zölle.
Weiterer Profiteur des Abkommens könnten Lebensmittelhersteller sein. Denn auch Schokolade und Süßwaren (20 Prozent), Wein (27 Prozent), Spirituosen (20 bis 35 Prozent) und Erfrischungsgetränke (20 bis 35 Prozent) sind bisher mit hohen Zöllen belegt.
Europäischen Landwirte warnen - warum?
Europas Landwirte haben Angst vor der Billigkonkurrenz aus Südamerika. Dort sind die Lohnkosten deutlich niedriger. So warnte etwa Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbands: "Das Mercosur-Abkommen würde dazu führen, dass die heimische Erzeugung durch Agrarimporte zu Standards aus dem vergangenen Jahrhundert verdrängt wird, zum Nachteil von Verbrauchern, Landwirten, Tieren, Umwelt und Klima." Eine weitere Sorge: niedrigere Umweltstandards in den Mercosur-Ländern.
Was ist dran an der Kritik der Bauern?
Das Abkommen versucht, der Kritik entgegenzukommen, indem es Schutzmechanismen für sogenannte sensible Agrarprodukte enthält. Etwa bei Rindfleisch, wo die Einfuhrmenge auf 99.000 Tonnen zum geringen Zollsatz von 7,5 Prozent begrenzt werden soll.
Den Bauern reicht das nicht. Sie betonten, dass das Kontingent für den reduzierten Zollsatz immerhin rund die Hälfe aller aktuellen Importe in die EU bei Rindfleisch umfassen würde. Das Thünen-Institut kommt in einer Berechnung der Auswirkungen für die Agrarindustrie ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die EU-Produktion leicht zurückgehen würde. Allerdings: Der Rückgang liege über die Sektoren hinweg bei maximal einem Prozent, heißt es in der Studie. Noch am deutlichsten wäre demnach die Schweine- und Geflügelfleischbranche betroffen.
Warum kritisieren Umweltschützer das Freihandelsabkommen?
Sie befürchten, dass die neuen Absatzchancen für landwirtschaftliche Produkte die Umweltzerstörung beispielsweise im Amazonas-Regenwald befeuern könnten. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace geht davon aus, dass die Abholzungsraten in der Mercosur-Region wegen der höheren Importquoten für Rindfleisch in den kommenden sechs Jahren um fünf Prozent pro Jahr steigen werden. Sinkende Zölle auf Pestizide und Kunststoffe könnten demnach die Plastikverschmutzung in Südamerika erhöhen und die Artenvielfalt gefährden.
Wie reagieren EU und Bundesregierung auf die Kritik?
Sie weisen die meisten Vorwürfe als ungerechtfertigt zurück und betonen, dass die gesamtwirtschaftlichen Vorteile eindeutig überwiegen würden. Zum Thema Pestizideinsatz erklärt etwa das Bundeswirtschaftsministerium, dass auch künftig alle Importe die gesetzlichen Anforderungen der Europäischen Union einhalten müssen. Dies bedeute, dass die in der EU geltenden Höchstwerte für Rückstände nicht überschritten werden dürften. Ganz allgemein gelte, dass nur Produkte, die den umfangreichen europäischen Vorschriften entsprechen, in die EU eingeführt werden dürfen.
Frankreich und Italien sind gegen das Abkommen. Kann es gegen ihren Widerstand in Kraft treten?
Eigentlich nicht. Da das Abkommen neben Handelsabsprachen auch Vereinbarungen zum politischen Dialog und zur Kooperation enthält, müsste es eigentlich allen Mitgliedstaaten zur Ratifizierung vorgelegt werden. Die für die Verhandlungen zuständige EU-Kommission könnte allerdings versuchen, den politischen Teil vom Handelsteil abzusplitten. Der Handelsteil könnte dann per Mehrheitsentscheidung vom Rat der EU-Staaten angenommen werden und müsste nur dem Europäischen Parlament und nicht nationalen Parlamenten zur Zustimmung vorgelegt werden. Unklar ist allerdings, ob ein solches Vorgehen nicht Rechtsrisiken bergen würde.
Wann könnte das Abkommen formell unterzeichnet werden?
Nach Abschluss der Verhandlungen muss der ausgehandelte Text noch einer juristischen Prüfung unterzogen und in alle Sprachen der Vertragsstaaten übersetzt werden. Mit einer Unterzeichnung wird deswegen erst in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres gerechnet.