Geschäfte mit Schwellenländern Hängt China die EU handelspolitisch ab?
Für viele Länder im globalen Süden ist China inzwischen der wichtigste Handelspartner. Die Europäische Union und die USA hinken hinterher, wie eine Studie zeigt. Das hat politische Folgen.
Als 2020 die Corona-Pandemie ausbricht, scheitern nicht nur Touristen auf einmal an den Grenzen. Auch dringend benötigte medizinische Güter und Vorprodukte kommen auf einmal nicht mehr nach Europa. Krankenhäusern etwa fehlen medizinische Masken oder Desinfektionsmittel aus China. Denn die globalen Lieferketten hängen fast alle in irgendeiner Weise an dem Land, das die Grenzen komplett dichtgemacht hat. Dazu kommen generelle Transportschwierigkeiten und Fabrikunfälle.
Erfahrungen wie diese ließen die Politik in Deutschland und Europa eine neue Strategie in der China-Politik verfolgen: das "De-Risking", auf Deutsch Risikominimierung. Denn in vielen Bereichen des wirtschaftlichen Lebens nimmt China inzwischen eine zentrale Position ein. Kritiker halten die EU und Staaten wie Deutschland dadurch für erpressbar. Sie fordern, dass neue Handelspartner gewonnen werden, um die Abhängigkeiten von China zu minimieren und Risiken zu streuen.
China hat EU und USA überholt
Doch viele der alternativen Handelspartner scheinen sich zuletzt mehr an China zu orientieren als an der Europäischen Union. Das zeigt eine neue Auswertung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Demnach hat China sowohl die EU als auch die USA überholt, was das Handelsvolumen mit den 25 strategisch wichtigsten Schwellen- und Entwicklungsländern angeht.
Bis zur Jahreswende 2017/2018 seien die EU und die USA die wichtigsten Handelspartner für diese Länder gewesen. 2019 überholte China laut IW-Auswertung zunächst die Europäische Union, 2020 dann die Vereinigten Staaten. Insgesamt ist der Anteil der Volksrepublik China am wirtschaftlichen Austausch mit den 25 strategisch wichtigen Schwellen- und Entwicklungsländern seit 2010 von etwa zwölf auf 20 Prozent gestiegen. Der EU-Anteil am weltweiten Handel mit den wichtigen Schwellen- und Entwicklungsländern sank dagegen von 17 auf 14 Prozent.
Politischer Einfluss über Handelsbeziehungen
Dabei geht längst nicht mehr nur um den Export von Soja, Chips und Autos - sondern um politische Macht. "Über eine enge Handelsverbindung stärken sowohl China als auch Russland ihren geostrategischen Einfluss auf die Länder", sagt der IW-Handelspolitikexperte Simon Gerards Iglesias.
Zuletzt sei das sehr deutlich geworden, als es um die Sanktionen gegen Russland im Ukraine-Krieg ging. Als sich Deutschland etwa an Brasilien wandte, um Munition für die Ukraine zurückzukaufen, bekam man eine Abfuhr. "Auf einmal musste der Westen feststellen, dass man sich nicht mehr auf vermeintliche Partner im globalen Süden verlassen kann. Da war die Überraschung schon groß", sagt der Wirtschaftswissenschaftler.
Der Trend werde sogar noch zunehmen. "China wird seine Macht als Handelspartner für strategisch wichtige Rohstofflieferanten noch ausbauen." Im Umkehrschluss heißt das auch: Der Einfluss der EU dürfte weiter schwinden, "De-Risking" hin der her.
"Chance mit dem Mercosur-Abkommen ist verpasst"
Nach Einschätzung von Gerards Iglesias haben es die deutsche und die europäische Politik versäumt, umfangreiche Handelsabkommen mit Ländern wie den Mercosur-Staaten (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay) abzuschließen, als der eigene Einfluss auf diese Länder noch größer war - und die Länder so über Wirtschaftsabkommen auch politisch an sich zu binden. "Die Chance mit dem Mercosur-Abkommen haben wir jetzt erst einmal verpasst. Da spricht die EU auch mit zu verschiedenen Stimmen", so der Experte.
Möglicherweise ist die EU deswegen weniger beliebt als Handelspartner geworden - weil die betreffenden Länder die Verhandlungen mit China als einfacher empfinden. "Im globalen Süden hat man oft den Eindruck, dass sie von China eine Brücke gebaut, von den Europäern dagegen einen Vortrag über Menschenrechte gehalten bekommen. Ich denke, da müssten wir zumindest rhetorisch wieder etwas mehr Augenhöhe hinbekommen", sagt Gerards Iglesias.
Ein Beispiel für viele Kritiker: Die umfangreichen Umweltvorschriften im Mercosur-Abkommen, die auch noch nachträglich dazugekommen waren. Brasiliens Präsident Lula da Silva hatte die Vorschriften gar als "regulatorischen Imperialismus" bezeichnet.
Sind Risiken für Firmen ausreichend abgesichert?
Auswirkungen könnte aus Sicht des Forschers auch das deutsche Lieferkettengesetz haben. "Einige Unternehmen werden sich wegen der zu umfangreichen Berichtspflichten aus Ländern zurückziehen, die für die Rohstoffgewinnung zentral sind", warnt der IW-Handelsexperte. Hier hoffe er auf Wirtschaftsminister Robert Habeck, der zuletzt Änderungen an dem Gesetz in Aussicht gestellt hatte.
Für Handelspolitik ist die EU zuständig. Dennoch könne Deutschland auch auf einigen Feldern vorangehen, betont Gerards Iglesias. Etwa mit einem eigenen Rohstofffonds oder Finanzierungs-Absicherungen für Investitionen in strategisch wichtige Länder. "Das sehen wir an der Ukraine sehr gut. Hier gibt es ein hohes politisches Interesse daran, das Land am Westen zu halten. Entsprechend werden Investitionen in das Land, die für Unternehmen Risiken bergen, durch politische Absicherungen für die Unternehmen begleitet - und das funktioniert." Analog dazu könne das etwa auch für Argentinien und andere Staaten funktionieren.