Forderung an Bund Pkw-Maut-Firmen wollen 560 Millionen Euro
Die gekündigten Pkw-Maut-Betreiber haben ihre Forderungen an den Bund beziffert - sie wollen 560 Millionen Euro. Verkehrsminister Scheuer wies das umgehend zurück. Nun droht ein langwieriger Rechtsstreit.
Nach dem Aus für die Pkw-Maut in Deutschland fordern die gekündigten Betreiberfirmen 560 Millionen Euro vom Bund. Die Ansprüche seien in dieser Höhe beziffert worden und sollten in mehreren Schritten geltend gemacht werden, teilten die Unternehmen Kapsch und CTS Eventim in einer Pflichtmitteilung für die Börsen mit.
Die Firmen erklärten, sie seien überzeugt, dass ihre für die Maut gegründete Gemeinschaftsfirma Autoticket für den vorliegenden Fall der Vertragsbeendigung durch den Bund Anspruch auf den entgangenen Gewinn über die Vertragslaufzeit von zwölf Jahren habe. Weiterhin sehe der Betreibervertrag einen Ausgleich von "Beendigungskosten" vor, zu denen auch Schadensersatzansprüche von Unterauftragnehmern gehörten.
Scheuer weist Forderungen "entschieden" zurück
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer wehrte sich umgehend gegen die Forderungen. "Wir weisen mit aller Entschiedenheit die Forderungen der Betreiber zurück", erklärte der CSU-Politiker. "Die Zahlen sind falsch und entbehren jeder Grundlage." Die Betreiber hätten "keinen Anspruch auf Entschädigung", sagte er in einer bei Twitter veröffentlichten Erklärung. "Sie haben ihre vertraglichen Leistungen nicht erfüllt." Zudem hätten sie nach der Kündigung, die Verträge "vorsätzlich und treuwidrig" verletzt. Der Bund habe die Verträge deshalb "aus mehreren triftigen Gründen gekündigt". In diesem Fall sei die Vertragslage "ausdrücklich zu Gunsten des Bundes".
Zudem betonte der Verkehrsminister, er habe bereits am Vormittag den Prozess für ein Maut-Schiedsverfahren gestartet. Die Betreiber seien dabei zu Gesprächen Mitte Januar aufgefordert worden. Dies sei die Vorstufe für das Schiedsverfahren. Dabei werde es darum gehen, dass aus Sicht des Bundes ein von den Betreibern gewähltes Verfahren zur Bestimmung des Bruttounternehmenswertes unzulässig sei. Ein Schiedsverfahren könnte Jahre dauern.
Verträge vor Urteil geschlossen
Das Verkehrsministerium hatte die Verträge zur Erhebung und Kontrolle der Maut mit den beiden Betreibern 2018 geschlossen - bevor endgültige Rechtssicherheit bestand. Dann aber erklärte der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Maut Mitte Juni für rechtswidrig. Scheuers Ministerium kündigte umgehend die Verträge. Daraus resultieren nun die Forderungen der Firmen, die letztlich zu Lasten der Steuerzahler gehen würden. Bisher hatte über die Höhe etwaiger Schadenersatzforderungen Unklarheit bestanden.
Streit über Feststellung der Schadenssumme
Nach Informationen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung ging der aktuellen Forderung ein Streit zwischen Ministerium und den Betreiberfirmen um das Prozedere zur Feststellung der genauen Schadenssumme voraus. Diese Summe soll laut Betreibervertrag ein sogenannter Stichtagsprüfer ermitteln - ein unabhängiger Wirtschaftsprüfer, der offene Forderungen der Betreiberfirmen innerhalb von drei Monaten berechnen soll. Eigentlich soll dieser Prüfer von Bund und Firmen gemeinsam beauftragt werden.
Aus Verhandlungskreisen ist zu hören, dass der Bund sich seit Sommer weigert, an der Bestellung des neutralen Gutachters mitzuwirken. Seit dem Sommer schon schwele der Konflikt um die Stichtagsprüfer, habe sich aber in den letzten Wochen intensiviert. Der Bund habe die Betreiber aufgefordert, ihren Antrag auf Benennung eines Prüfers zurückzuziehen und rechtliche Schritte im Fall einer einseitigen Benennung angedroht; die Betreiber werfen wiederum dem Bund eine Blockadehaltung vor, so informierte Kreise. Die Betreiber selbst wollten zu den Vorgängen nicht Stellung nehmen. Das Bundesverkehrsministerium hat eine aktuelle Anfrage zu der Auseinandersetzung bislang nicht beantwortet.
Kritik aus der Opposition
Nach Bekanntwerden der geforderten Summe kam aus der Opposition erneut massive Kritik. Der FDP-Verkehrspolitiker Oliver Luksic sprach von einem "K.o.-Schlag" für Scheuer. Er müsse sich den Forderungen jetzt stellen, die Zeit der "Ablenkungsmanöver" sei vorbei. Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer sagte, der Betrag sei auf Grundlage der Verträge zu erwarten gewesen. "Die Rechnung geht auf Minister Scheuer, weil er bewusst und fahrlässig diese schlechten Vertragskonditionen zu Lasten des Steuerzahlers eingegangen ist."
Der Linkspartei-Abgeordnete Victor Perli sagte: "Die Forderungen bestätigen die schlimmsten Befürchtungen." Dieser "Wahnsinn" sei nur möglich, weil die Betreiber sich auf Gewinngarantien in den Verträgen berufen und auf ein intransparentes, privates Schiedsgericht setzen könnten. Der Maut-Skandal werde nun auch zu einem großen Problem für Angela Merkel. Die Kanzlerin hatte erst am Mittwoch im Bundestag gesagt, sie finde, dass Scheuer "eine sehr gute Arbeit" mache.
Die Opposition wirft Scheuer vor, die Verträge zur Maut voreilig abgeschlossen, Haushalts- und Vergaberecht gebrochen und Regelungen zum Schadenersatz zu Lasten des Steuerzahlers vereinbart zu haben. Der Minister weist die Vorwürfe zurück. Zur Aufklärung des umstrittenen Vorgehens von Scheuer und seinem Ministerium hatte vor einer Woche ein Untersuchungsausschuss des Bundestags seine Arbeit aufgenommen.