Verrechnungstricks großer Konzerne Steuern sparen, wo immer es geht
Vor eineinhalb Jahren enthüllten die LuxLeaks Steuertricks großer Konzerne. Politiker aller Parteien kritisierten die Unternehmen, die EU setzte zwei Sonderausschüsse zur Klärung ein. Nachforschungen bei den Unternehmen zeigen: Geändert hat sich kaum etwas.
Apple, Google, Ikea, … Dutzende große Unternehmen nutzen Schlupflöcher oder eigens ausgehandelte Steuerabsprachen, um ihre Abgaben an den Fiskus zu drücken. Vor eineinhalb Jahren enthüllten die LuxLeaks, mit welchen ausgeklügelten Tricks Unternehmen in dem Herzogtum ihre Steuerlast zum Teil auf unter ein Prozent drücken.
Die EU setzte gleich zwei Ausschüsse ein, um das Steuerdumping der Mitgliedsstaaten aufzuklären, heute wird über den Abschlussbericht des zweiten Ausschusses im EU-Parlament abgestimmt. Reporter des NDR haben bei den Unternehmen nachgehakt und ihre aktuellen Bilanzen untersucht. Nutzen die Firmen immer noch jede erdenkliche Lücke aus, die sich ihnen bietet? Insgesamt hat der NDR einige Unternehmen gefragt, die in der Vergangenheit durch Steuertricks in der EU aufgefallen sind - darunter Ikea, Apple, Google, McDonald’s, E.ON und die Deutsche Bank.
Gemacht wird, was legal ist
Trotz öffentlichen Drucks hat keins davon seine Steuersparmodelle abgeschafft. Der Tenor lautet vielmehr: Gemacht wird, was legal ist - für alles andere ist die Politik verantwortlich. Wie das konkret aussehen kann, zeigt das Beispiel Ikea: Der Möbelhändler war in den LuxLeaks aufgefallen, weil er mit Markenrechten und Lizenzen große Summen verschoben hat. Über eine niederländische und eine Luxemburger Gesellschaft hatte es der Konzern mit Verrechnungstricks geschafft, seine Steuerlast enorm zu drücken. Die Konzerntochter in Luxemburg wies zum Beispiel für das Jahr 2010 bei einem Nettogewinn von 2,5 Milliarden Euro eine Steuerlast von 48.000 Euro aus - das sind rund 0,002 Prozent.
2015 machte dieselbe Tochterfirma rund 500 Millionen Euro Profit, dem gegenüber stehen Steuern von 1,7 Millionen Euro. Das entspricht immer noch weniger als ein Prozent. Im Sommer 2016 wurde die Luxemburger Gesellschaft aufgelöst und der Sitz in ein anderes Land verlegt. Möglicherweise reagierte der Konzern damit auf eine Gesetzesverschärfung in Luxemburg. Vor der Schließung überwies die Luxemburger Firma eine Dividende in Höhe von 900 Millionen Euro, offenbar an eine Stiftung in Liechtenstein. Die Ikea-Gruppe beantwortete Fragen dazu nicht. Eine Sprecherin für Ikea Deutschland erklärte lediglich, dass die hiesigen Filialen weiterhin Lizenzgebühren in die Niederlande zahlten und diese Abgaben steuerlich geltend machten.
Riesige Kredite hin und her geschoben
Oder das Beispiel E.ON: Gemeinsam mit anderen Unternehmen präsentiert der Energiekonzern im Internet das "Leitbild für verantwortliches Handeln der Wirtschaft". Darin heißt es, die Unterzeichner müssten "das Wohl der Menschen fördern", unter anderem "indem sie durch Steuern, Sozialabgaben und freiwilliges gesellschaftliches Engagement der Unternehmen weitere Beiträge zu einem solidarischen Zusammenleben" erbringen. Die LuxLeaks enthüllten jedoch, wie der Konzern über eine kleinen Firma in Luxemburg - zwischenzeitlich hatte sie laut Bilanzen keinen einzigen Angestellten - innerhalb der E.ON-Gruppe riesige Kredite hin und her schob. Experten schätzten den potentiellen Steuerschaden in die Millionen.
Die Firma namens "Dutchdelta Finance SARL" ist auch 2016 noch in die Konzernstruktur eingebunden und dient weiterhin als Drehscheibe für Millionensummen. Ende 2015 verfügte "Dutchdelta" über mehr als eine Milliarde Euro Kapital und hatte nach Angaben von E.ON laufende konzerninterne Darlehen in Höhe von 58 Millionen Euro vergeben. Für das Geschäftsjahr davor weist die Bilanz sogar vergebene Kredite in Höhe von knapp zwei Milliarden Euro auf. Die Kredite können die Gewinne anderer Konzernteile mindern, wenn die Zinsen dort als Aufwendungen geltend gemacht werden. In Luxemburg sind sie nahezu steuerfrei. Auf die Frage, ob E.ON im Zuge der gesellschaftlichen Debatte über Steuerflucht von Großunternehmen seine Grundsätze in diesem Bereich geändert habe, sagte der Konzern, es gäbe "keine Veranlassung, das an Recht und Gesetz orientierte Vorgehen zu ändern."
Der Europaabgeordnete der Grünen, Sven Giegold, kritisiert solche Rechentricks großer Konzerne seit Jahren. "Unternehmen, die jede Möglichkeit zur Steuervermeidung ausnutzen, handeln im Widerspruch zu den Grundprinzipien der sozialen Martkwirtschaft. Sie sind nicht nur ihren Aktionären verpflichtet, sondern tragen auch eine gesellschaftliche Verantwortung", sagte er dem NDR. Dazu gehöre es eben auch, die Gesetze "nicht nur nach dem Wortlaut, sondern auch nach dem Geiste zu befolgen", so Giegold. So stehe es auch in den OECD-Leitlinien für multinationale Unternehmen.
Den trickreichen Unternehmen unterlegen
Heute stimmt das Europaparlament über den Abschlussbericht des zweiten Untersuchungsausschusses ab, der Schlupflöcher in der Unternehmensbesteuerung der Mitgliedsstaaten aufzeigen soll. Die Erkenntnisse sind wenig rühmlich: Demnach fehlt es den EU-Staaten an Transparenz, einem Austausch von Steuerinformationen und am Willen der Zusammenarbeit. Und die Organe der EU sind den trickreichen Steuerplanungen vieler Unternehmen schlicht nicht gewachsen oder nicht ausreichend mandatiert, um Fehlverhalten der einzelnen Mitgliedsstaaten zu verhindern.
Der "Sonderausschuss zu Steuervorbescheiden und anderen Maßnahmen ähnlicher Art oder Wirkung" - kurz TAX2 - beschäftigt sich seit Ende 2015 mit der Unternehmensbesteuerung in der EU. 45 Mitglieder und ebenso viele Stellvertreter aller Fraktionen des EU-Parlaments haben Vertreter von Unternehmen befragt und gesetzliche Regelungen untersucht. Ihre Ergebnisse stellen sie in einem Abschlussbericht im Europaparlament vor.
Für den Abgeordneten der Linkspartei im Europaparlament, Fabio De Masi, ist der Bericht "ein erster Schritt und in der Substanz gut. Aber wir haben noch immer Unternehmen, die weniger als ein Prozent Steuern zahlen. Gleichzeitig fehlt in den Schulen und Krankenhäusern das Geld", sagte er. Die Länder müssten "den Worten jetzt Taten folgen lassen. Der Kampf gegen Steuerdumping ist eine Überlebensfrage für die EU", so De Masi.
Ähnlich sieht es der FPD-Politiker Michael Theurer, einer der Co-Autoren des Ausschussberichts. "Ohne verbindlich beschlossene Gesetze wird es schwierig, dem Phänomen Herr zu werden. Es kann nicht sein, dass man da praktisch auf den guten Willen der internationalen Unternehmen angewiesen ist."