Griechenland-Einigung "Der Kompromiss ist nur eine Scheinlösung"
Nach langem Ringen haben sich die internationalen Geldgeber endlich geeinigt. "Doch der Griechenland-Kompromiss steht auf wackligen Füßen", meint ARD-Korrespondent Rolf-Dieter Krause gegenüber tagesschau.de. Denn alles stehe und falle mit dem Schuldenrückkauf. "Und ob der gelingt, ist mehr als fraglich."
tagesschau.de: Wird die Einigung der internationalen Geldgeber Griechenland endgültig vor der Pleite retten?
Rolf-Dieter Krause: Ja und nein. Es ist nochmal sehr deutlich geworden, dass der politische Wille besteht, Griechenland zu retten. Das ist ein gutes Zeichen. Aber der konkrete Kompromiss, der jetzt gefunden wurde, dürfte eine Scheinlösung sein. Man brauchte eine Einigung, damit der Internationale Währungsfonds sich weiterhin beteiligt. Der IWF hatte aber gesagt, dass er seinen Teil nur leisten würde, wenn der gestern vereinbarte Schuldenrückkauf auch klappt. Ob der klappt, ist aber mehr als fraglich.
tagesschau.de: Warum steht der Schuldenrückkauf auf so wackligen Füßen?
Krause: Momentan sind griechische Staatsanleihen für ungefähr 60 Milliarden Euro noch in privater Hand. Nur um die kann es gehen, denn ein Rückkauf von öffentlichen Gläubigern wäre ja eine Art öffentlicher Schuldenschnitt, den man ja angeblich nicht will. Die privaten Anleger müssen also bereit sein, ihre Staatsanleihen zu einem Kurs zu verkaufen, der niedriger ist als 100 Prozent. Für die Hälfte dieser 60 Milliarden wurde ihnen aber bereits beim letzten Schuldenschnitt eine Garantie für eine hundertprozentige Rückzahlung gegeben. Warum sollten diese Anleger ihre Papiere jetzt für 30 Prozent verkaufen?
Die andere Hälfte wird von Hedgefonds und ähnlichem gehalten. Die haben schon beim letzten Schuldenschnitt gesagt, "wir machen nicht mit". Die spekulieren nämlich darauf, dass niemand Griechenland pleite gehen lassen wird. Und wieso sollen sie dann einen Verkauf mit Verlust akzeptieren, wenn sie doch am Ende 100 Prozent kriegen können? Es mag einige Fonds geben, die im Verlauf der letzten zwei Jahre griechische Papiere gekauft haben, als der Kurs ganz tief, vielleicht bei 20 Prozent stand. Wenn die jetzt verkaufen, haben sie in sehr kurzer Zeit einen hohen Gewinn gemacht. Aber da steckt der Teufel im Detail: Es wird sehr von den einzelnen Papieren und ihren Laufzeiten abhängen, ob sich die Anleger darauf einlassen. Denn es könnte ja doch noch sein, dass ihnen am Ende die ganze Summe winkt.
"Griechenland bräuchte einen Marshallplan"
tagesschau.de: Wie effektiv sind die anderen vereinbarten Instrumente, wie die Senkung der Zinsen oder die Verlängerung der Kreditlaufzeiten?
Krause: Natürlich helfen all diese Instrumente Griechenland, die große Frage ist aber, ob sie reichen werden. Mal ganz davon abgesehen stehen sie im absoluten Widerspruch zu den Vereinbarungen, die am Beginn der Währungsunion standen: Damals hat man gesagt, "wenn ein Land zu hohe Schulden macht, bekommt es Strafzahlungen". Griechenland bekommt jetzt aber stattdessen eine Belohnung, indem es sich für einen sehr geringen Zinssatz mit weiteren Krediten versorgen kann.
Viel wichtiger ist aber die Frage, ob Griechenland seine Reformen umsetzt. Ob nicht nur die Politik, sondern das ganze Land, Unternehmer, Arbeitnehmer und Selbstständige ihr Verhalten ändern. Bis heute hat man leider den Eindruck, dass die griechische Gesellschaft sich die Notwendigkeit der Veränderung nicht zu Eigen macht: Die Politik hat immer erst verspätet und unter Druck gehandelt, die Gewerkschaften spielen nicht mit, es gibt Proteste. Privatisierungen haben nicht stattgefunden, weil kein Investor eine Eisenbahn kauft, wenn er dann mit massiven Streiks rechnen muss. Griechenland bräuchte einen Marshallplan, aber das Land muss zeigen, dass es Änderungen vornehmen will.
"Wir bezahlen uns die Zinsen im Grunde genommen selbst"
tagesschau.de: Teil der Einigung ist auch, dass die Euro-Länder Gewinne aus griechischen Staatsanleihen an Griechenland weitergeben wollen: Woher sollen diese Gewinne eigentlich kommen?
Krause: Wir geben Griechenland das Geld dafür. Das meiste Geld, das Griechenland bekommt, wird dafür verwendet, fällig werdende Schulden oder Zinsen zurückzuzahlen. Die Zinsen, die beispielsweise die Bundesbank aus griechischen Staatsanleihen einnimmt, werden von den europäischen Partnern erstmal an Griechenland gezahlt und landen dann auf einem Sonderkonto. Von da werden sie an diejenigen gezahlt, die die griechischen Staatspapiere halten. Wir bezahlen uns die Zinsen also im Grunde genommen selbst.
Aber in der jüngsten Einigung ist das Ganze nicht präzise formuliert. Da heißt es, man wolle Griechenland eine Summe im Gegenwert dieser Gewinne schenken. Aber die Bundesbank beispielsweise schüttet diese Zinsgewinne gar nicht aus, sondern steckt sie in die Risikovorsorge. Da muss man Herrn Schäuble schon die Frage stellen, ob er das Geld in Höhe der Gewinne der Bundesbank jetzt vom Steuerzahler nimmt, um es dann Griechenland zu geben.
Irgendwann in 20 Jahren, wenn das Risiko nicht eingetreten ist, für das die Bundesbank vorsorgt, gibt sie das Geld der Gewinne vielleicht an den Steuerzahler zurück. Ob das aber eintritt, weiß niemand. Dieses ganze Paket ist eine Wette auf die Zukunft. Ob das alles funktioniert oder nicht, wird sich erst in vielen Jahren herausstellen.
"Wenigstens auf dem Papier sollen die Bedingungen erfüllt werden"
tagesschau.de: Wie realistisch ist es, dass Griechenland seine Schuldenlast tatsächlich von erwarteten 190 Prozent der Wirtschaftsleistung im Jahr 2014 auf 124 Prozent im Jahr 2020 reduzieren kann?
Krause: Kein Mensch weiß heute, was das Land in acht Jahren wirklich zustande gebracht hat. Diese Zahlen sind eine reine Annahme, die es ermöglicht, dass jetzt die Hilfen an Griechenland ausgezahlt werden können. Genau das war ja die politische Absicht. Die Genauigkeit, mit der hier gerechnet wird, ist eine Scheingenauigkeit. Damit sollen eben wenigstens auf dem Papier die Bedingungen dafür erfüllt werden.
tagesschau.de: Ist der Schuldenschnitt wirklich vom Tisch oder nur verschoben, wie SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier im ZDF sagte?
Krause: Das kommt auf die politischen Prämissen an. Wenn man Griechenland um jeden Preis im Euro halten will und seine Zahlungsunfähigkeit vermeiden will, dann ist ein Schuldenschnitt zu erwarten. Denn es ist sehr wahrscheinlich, dass Teile der aktuellen Vereinbarungen nicht funktionieren. Aber die Politik ist in einer Falle: Man gefährdet das Geld, das man schon in Griechenland reingepumpt hat, wenn man nicht noch mehr reinpumpt.
"Der Steuerzahler wird auf Geld verzichten müssen"
tagesschau.de: Der IWF hatte ja ursprünglich einen zweiten Schuldenschnitt gefordert. Warum konnte sich Christine Lagarde letztlich doch nicht durchsetzen?
Krause: Frau Lagarde ist ja sehr vorsichtig. Der IWF hat seinen Anteil der Hilfen an das Funktionieren des Schuldenrückkaufs geknüpft. Die Frage ist, was passiert, wenn das nicht klappt und ob der IWF dann aussteigt. Die Kategorien Sieger und Besiegte gibt es hier nicht. Die Frage ist, ob es überhaupt Gewinner geben wird.
tagesschau.de: War nicht die Bundesregierung mit ihrer harten Linie letztlich erfolgreich?
Krause: In Brüssel heißt es, die Bundesrepublik wolle den Schuldenschnitt nur deshalb vermeiden, um nicht vor der Bundestagswahl zuzugeben, dass alle bisherigen Äußerungen falsch waren. Man hat den Bürgern ja gesagt, Griechenland koste gar kein Geld, es seien alles nur Garantien, keine Kredite. Inzwischen ist klar, dass der Steuerzahler auf Geld verzichten muss, in welcher Form auch immer. Insofern wird hier auch etwas verschleiert.
Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de