Klimaziele Deutschland viel zu langsam
Deutschland hat sein Klimaziel für 2022 erreicht. Doch laut Umweltbundesamt ist ab sofort allerhöchste Eile angesagt beim Ausbau der Erneuerbaren. Künftige Ziele dürften sonst deutlich verfehlt werden.
Eigentlich hat Dirk Messner, der Präsident des Umweltbundesamtes, gute Nachrichten mitgebracht: Im vergangenen Jahr hat Deutschland genügend CO2 eingespart: ein Minus von 1,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das Klimaschutzziel für 2022 wurde also erreicht.
Doch seine wichtigste Botschaft lautet ganz anders: Es geht viel zu langsam voran mit der Energiewende. Wenn es mit den Treibhausgasemissionen so weiter läuft wie bisher - und Deutschland jedes Jahr etwas Treibhausgase einspart - würden die Ziele der kommenden Jahre wohl nicht erreicht werden. Zwei Prozent sind ab sofort schlicht zu wenig.
Sechs Prozent weniger CO2 pro Jahr nötig
"Wir brauchen eine Geschwindigkeit von sechs Prozent Reduzierung pro Jahr von heute an bis 2030", sagte Messner vor Journalisten in Berlin. "Die Geschwindigkeitsproblematik ist das, was mich nervös macht."
Denn das heißt laut Umweltbundesamt auch: Bis 2030 müssten in Deutschland dreimal so viele Wind- und Solaranlagen stehen wie heute; ein extrem ehrgeiziges Ziel. "Das ist keine negative Sicht auf die Dinge, das ist realistisch", sagt Messner. "Wir reden bei der Klimaneutralität über das größte Modernisierungs- und Wohlstandssicherungsprojekt seit dem Zweiten Weltkrieg."
Diese Einschätzung könnte der Größe der Aufgabe durchaus gerecht werden. Die Fachleute im Umweltbundesamt haben durchgerechnet, was es im Einzelnen bedeuten würde, die Energiewende wie geplant voranzutreiben. Carla Vollmer, Fachgebietsleiterin für Erneuerbare Energien im Umweltbundesamt, beantwortet die Frage, ob die Zielvorgaben realistisch sind, mit: "Optimistisch formuliert: Ich wünsche mir, dass wir das schaffen."
Viel mehr Windräder, viel mehr Solarzellen
Dann zählt sie eine Menge Dinge auf, die heute bereits dagegen sprechen, dass Deutschland dieses Ziel erreicht: die eingeschränkte Akzeptanz für Windanlagen, lange Genehmigungszeiten, der Fachkräftemangel. Und schlussendlich die schiere Menge der benötigten Anlagen.
Denn zwischen dem Anspruch der relativ nahen Zukunft und der Wirklichkeit von heute klafft in Deutschland noch eine riesige Lücke - obwohl hierzulande bereits mehr in Wind- und Sonnenenergie investiert wurde als in anderen Ländern.
Beispiel Photovoltaik: Momentan sind in Deutschland Solarzellen mit einer Maximalleistung von 67,4 Gigawatt installiert, 2030 sollen es satte 215 Gigawatt sein. Ähnlich sieht es bei Offshore-Windanlagen aus: 8,1 Gigawatt Maximalleistung gibt es, 30 sollen es im Jahr 2030 sein. Etwas weniger angespannt ist die Lage bei an Land gebauten Windrädern: 58,1 Gigawatt sind vorhanden, der Zielwert liegt bei 115.
Angesichts der Zahlen scheint es fraglich, ob etwa die gesellschaftliche Akzeptanz für Windanlagen ausreicht, diese Mengen zu errichten - und ob die Behörden die Anlagen überhaupt schnell genug genehmigen könnten. Zudem stellt sich eine Frage, die in Deutschlands Öffentlichkeit selten diskutiert wird, aber von entscheidender Bedeutung ist: Woher sollen all die Solarzellen und Windräder für die Energiewende kommen? Und woher die Rohstoffe dafür?
Die Energiewende - ein Rohstoffproblem
Der in Finnland arbeitende Geologe Simon Michaux beschäftigt sich seit Jahren mit der Frage, welche Mengen an Rohstoffen für einen Umstieg auf Erneuerbare Energien benötigt werden. Das Ergebnis: Damit die Welt bis 2050 CO2-neutral wird, müsste global bis dahin pro Jahr beispielsweise sechseinhalb mal so viel Kupfer gefördert werden wie derzeit, dreizehn mal so viel Nickel und rund 300-mal so viel Lithium. Er warnt: Selbst der begrenzte deutsche Rohstoffhunger bis 2030 könnte den Markt überfordern.
"Es würde mich sehr überraschen, wenn das erreichbar wäre. Der Weltmarkt hat nur eine begrenzte Produktionskapazität für Windräder, Solarzellen und Elektroautos. Und wenn ein weiteres Land zeitgleich eine Energiewende wie Deutschland versucht, dürfte Deutschland ein Problem bekommen."
Dahinter verberge sich letzten Endes ein Rohstoffproblem. "Es gibt nicht genügend nachgewiesene Vorkommen", so Michaux. Zudem seien die Lieferketten sehr verwundbar. "In Europa bauen wir diese Materialien nicht ab und die derzeitige Produktion von Erneuerbaren findet in China statt."
Dennoch sieht er eine gewisse Restchance, dass Deutschland seine Energiewende umsetzt wie geplant. Schließlich sei das Land bei der Dekarbonisierung weiter als andere Staaten. "Die Chance für Deutschland könnte darin bestehen, die Umstellung auf Erneuerbare zu vollenden, solange der Markt noch liefern kann." Auch das also vor allem eine Frage der Geschwindigkeit.