Iren reagieren mit Abscheu auf neue Hilfen für Banken "Welche Zukunft bleibt unseren Kindern?"
Irland steckt so tief in der Krise wie kaum ein anderes europäisches Land. Dass die Regierung in Dublin weitere 34 Milliarden Euro in marode Großbanken pumpt und das Land damit an den Rand der Staatspleite treibt, macht viele fassungslos.
Von Stephan Lochner, SWR-Hörfunkstudio London, zurzeit Limerick
Auf Limericks Einkaufsmeile O'Connell Street tragen die Menschen Tüten aus den Kaufhäusern, am Ufer des Shannon genießen Spaziergänger das herrliche Spätsommerwetter. Doch Wut liegt in der Luft - seit dem "Black Thursday", dem schwarzen Donnerstag vergangener Woche.
Ausweg Auswanderung?
Der Schock sitzt tief über das neue milliardenschwere Bankenrettungspaket, das die Regierung verkündet hat und das Irland gefährlich nah an den Rand der Staatspleite bringt. "Ich bin sehr, sehr sauer auf die Regierung und überlege auszuwandern", sagt eine hochschwangere Frau."Das macht mich sehr unglücklich, und ich frage mich, welche Zukunft unsere Kinder noch haben. Alle in meinem Familien- und Freundeskreis machen sich große Sorgen. Und zwei meiner Geschwister ziehen gerade weg - einer nach Kanada, einer nach Australien. In der Hoffnung, dass sie dort Arbeit finden."
Irland steckt schon seit zwei Jahren tief in der Krise, und die 90.000-Einwohner-Stadt Limerick ist besonders hart getroffen. Die Arbeitslosenquote hat sich seit Krisenbeginn fast verdoppelt auf über 25 Prozent. Dass die Regierung in Dublin jetzt weitere 34 Milliarden Euro in marode Großbanken pumpt und damit die Neuverschuldung auf fast ein Drittel der Wirtschaftsleistung treibt, macht viele fassungslos.
Geschäftsleute unter Druck
Auch Paul Cusack, der in einer Markthalle in Limerick Fisch verkauft. "Diese Zahlen sind so ausufernd, dass ich sie nicht mehr begreifen kann. Ich bin nur ein kleiner Händler in Irland und kann das nicht vollkommen verstehen. Ich weiß nur, dass das jemand bezahlen muss. Und so wie es aussieht, werde ich das sein!" Die Frage, ob seine Geschäfte leiden, beantwortet Cusack mit einem resignierten Nicken. Jeder irische Geschäftsmann leide, murmelt er.
Den "keltischen Tiger" von einst plagt eine Kreditklemme
Tatsächlich macht Irland, in Boom-Zeiten als "keltischer Tiger" bezeichnet, eine Rezession durch wie kaum ein anderes europäisches Land. Nur im ersten Quartal dieses Jahres schaffte die Wirtschaft ein Miniwachstum, seitdem schrumpft sie. Viele Unternehmer spüren eine Kreditklemme. "Im Moment geht bei den Banken nichts, gar nichts", sagt der Hotelier Marcus White. "Ich habe versucht, einen Kredit zu bekommen, um eines meiner Hotels zu renovieren. Abgelehnt", erzählt der Unternehmer, der mit seiner Familie eine Kette von zehn Hotels betreibt. "In der gesamten Wirtschaft bewegt sich nichts mehr. Und ich spüre deutlich, dass das Geld bei den Leuten nicht mehr locker sitzt. Sie achten auf jeden Pfennig. Ich weiß auch nicht, was die Zukunft bringt."
Sparpaket dürfte den Zorn noch vergrößern
Wie soll das nur weiter gehen? Eine Frage, die praktisch alle Iren umtreibt. Nur so viel ahnen sie: Die kommenden Jahre werden extrem hart. Im November will die Regierung Einzelheiten eines radikalen Sparpakets bekannt geben. Sie wird wohl die Renten kürzen, Sozialleistungen zusammenstreichen und die Steuern erhöhen.
Widerstand ist programmiert. Schon jetzt wollen die meisten Iren ihren Regierungschef Brian Cowen am liebsten loswerden. In einer Umfrage der Zeitung "Irish Independent" forderten am Wochenende mehr als zwei Drittel der Befragten den Rücktritt des Premiers. Genauso viele gaben allerdings an, dass sie auch einer neuen Regierung kaum zutrauen würden, die Krise besser zu meistern.