Cameron besucht Merkel Wie viel Europa darf es denn sein?
Er nutzt die Eurokrise, um mehr Mitbestimmung zu fordern, sie wirbt für eine engere Union: Vor dem Besuch des britischen Premier Cameron bei Kanzlerin Merkel liegen die Positionen weit auseinander. Und dann ist da noch der Ärger über Äußerungen von Unionsfraktionschef Kauder.
Von Stephan Lochner, SWR-Hörfunkstudio London
Es passiert selten, dass der Chef einer deutschen Bundestagsfraktion es in Großbritannien auf die Titelseiten schafft. Volker Kauder ist das Kunststück in dieser Woche gelungen. Vom Boulevardblatt bis zur Qualitätszeitung - in nahezu der gesamten britischen Presse war die Rede Kauders auf dem CDU-Parteitag in Leipzig großes Thema. Und speziell dieser eine Satz: "Jetzt auf einmal wird in Europa deutsch gesprochen!"
Natürlich ging es dem Unionsfraktionschef nicht um die Sprache, sondern um die zunehmende Akzeptanz der Krisenpolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Doch Kauder hätte wissen müssen, dass seine Formulierung im Ausland mit hoher Wahrscheinlichkeit gründlich missverstanden und eine Welle der Empörung auslösen würde. Vor allem für konservative und traditionell euroskeptische Revolverblätter wie die "Sun" und die "Daily Mail" ist der Kauder-Satz ein gefundenes Fressen - scheint er doch sämtliche Vorurteile über deutsche Machtansprüche zu bestätigen.
Aber auch seriösere Zeitungen empörten sich. Schließlich hat der CDU-Politiker massiv gegen die britische Regierung und deren striktes Nein zu einer Finanztransaktionssteuer geschossen. "Nur den eigenen Vorteil suchen zu wollen und nicht bereit sein, sich auch einzubringen - das kann nicht die Botschaft sein, die wir den Briten durchgehen lassen, meine Damen und Herren", hatte Kauder gesagt.
Die eine wirbt für mehr, der andere für weniger Europa
Die Attacke und die Reaktionen darauf zeigen einmal mehr, wie angespannt das Verhältnis zwischen Berlin und London zurzeit ist. Britische Kommentatoren sprechen schon von einem handfesten Krach. Wie weit die Positionen auseinander gehen, lässt sich an zwei Reden ablesen, die der britische Premier David Cameron und die Bundeskanzlerin Anfang der Woche gehalten haben.
Während Merkel auf dem CDU-Parteitag in Leipzig für mehr Europa, für eine engere Union warb, forderte Cameron bei einem Gala-Dinner in London genau das Gegenteil. Weniger Europa, bitteschön: "Veränderung eröffnet Chancen. Wir haben jetzt die Gelegenheit, die EU so neu zu gestalten, dass sie die Interessen unserer Nation, aber auch der übrigen 26 Nationen, besser erfüllt. In Großbritanniens Fall bedeutet das auch die Möglichkeit, Befugnisse zurückzuholen statt sie weiter wegdriften zu lassen. Und für die EU die Gelegenheit, sich auf das zu konzentrieren, worauf es wirklich ankommt!"
Camerons liberaler Koalitionspartner verärgert
So euroskeptisch hatte sich Cameron schon lange nicht mehr geäußert. Seit seinem Amtsantritt war der konservative Premier als Pragmatiker aufgetreten, hatte sich Verbalattacken gegen Brüssel weitestgehend verkniffen - auch mit Rücksicht auf den Koalitionspartner, die europafreundlichen Liberaldemokraten.
Entsprechend verschnupft reagierte der Vize-Premier und Chef der Liberaldemokraten, Nick Clegg, auf die neuen scharfen Töne Camerons. Inmitten der Wirtschaftskrise laut über Änderungen an den EU-Verträgen nachzudenken, sei falsch und gefährlich, so Clegg: "Wenn das politische Establishment Europas jetzt in einem fensterlosen Raum in Brüssel verschwinden würde, um über Dinge zu diskutieren, die niemand versteht, mit denen Millionen von normalen Menschen, die sich gerade Sorgen machen, nichts anfangen können, dann sind die einzigen, die davon profitieren, Populisten, Chauvinisten und Demagogen."
Das waren ungewöhnlich scharfe Worte an die Adresse von Cameron. Doch der nimmt Ärger in seiner Koalition und mit den europäischen Partnern in Kauf, denn er steht parteiintern unter wachsendem Druck. Die Gruppe der Euroskeptiker unter den Tories wächst.
Hoffen auf ein "Wunder an der Spree"
Die Gespräche zwischen Kanzlerin Merkel und Premier Cameron in Berlin dürften daher schwierig werden - vor allem, wenn es um die Finanztransaktionssteuer geht. Oder, wie die linksliberale Zeitung "The Guardian" es ausdrückt: es bräuchte ein "Wunder an der Spree", damit sich Merkel und Cameron einig werden.