Interview

Interview zur Philosophie des Geldes "Geld funktioniert nicht ohne Vertrauen"

Stand: 14.09.2011 12:10 Uhr

Eurokrise, Staatsinsolvenz, nervöse Märkte - unsere Nachrichten werden bestimmt von einem Thema: Geld. Was genau ist eigentlich Geld und warum ist es so wichtig? Geld ist Macht, Freiheit - und es funktioniere nicht ohne Vertrauen, erklärt die Philosophin Annika Schlitte im Gespräch mit tagesschau.de.

tagesschau.de: Frau Schlitte, warum ist es wichtig, dass nicht nur Wirtschaftswissenschaftler sondern auch Philosophen Geld betrachten?

Annika Schlitte: An der Finanzkrise hat man gesehen, dass eine große Unsicherheit darüber herrscht, was Geld eigentlich ist, und welche Auswirkungen es haben kann. Die Wirtschaftswissenschaft hat die Interpretation von Geld lange vernachlässigt. In einer ökonomischen Einführung habe ich mal gelesen, "Geld ist das, was als Geld gilt". Das ist eine Definition, die zunächst wenig aussagt.

tagesschau.de: Was ist Geld überhaupt, außer Tauschmittel?

Schlitte: Geld ist ein gesellschaftliches Symbolsystem. Es ist dazu geschaffen, die Wertbeziehung zwischen den Dingen zu bezeichnen - und schafft damit auch eine Beziehung zwischen den Personen, die es nutzen und damit werten. Man nutzt es, um den Wert von Dingen messbar zu machen.

Zur Person
Annika Schlitte, geboren 1981, hat Philosophie und Germanistik studiert. 2010 promovierte sie in Philosophie über "Die Symbolik des Geldes - Das philosophische Erkenntnisinteresse von Georg Simmels Philosophie des Geldes". Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.

"Vieles funktioniert ausschließlich auf der Basis von Vertrauen"

tagesschau.de: Wieso hat Geld eine solche Macht, dass ganze Staaten daran kaputtgehen können?

Schlitte: Geld und Staaten sind miteinander eng verknüpft. Weil Geld so abstrakt ist und so losgelöst von der tatsächlichen Gegenständlichkeit - vom Metallgeld über Papiergeld bis hin zu Zahlen auf dem Kontoauszug oder Bildschirm - wird die staatliche Garantie der Wertstabilität immer wichtiger. Geld funktioniert nicht ohne Vertrauen. Wenn ein Staat die Stabilität des Wertes nicht garantieren kann, weil er beispielsweise von Inflation oder Zahlungsunfähigkeit bedroht ist, dann fehlt dem Geld aber Vertrauen. Deshalb sind nicht nur Staaten abhängig von Geld, sondern Geld ist auch an Staatlichkeit gebunden.

Erschütterungen im Geldsystem sind Momente, in denen uns klar wird, dass vieles in unserer Gesellschaft ausschließlich auf der Basis von Vertrauen funktioniert. Diese Dimension gilt auch für Staaten.

tagesschau.de: Inwiefern?

Schlitte: Wenn Griechenland bankrottgeht, dann ist die Gefahr groß, dass das Vertrauen in die Stabilität unserer Wirtschaftsordnung verloren geht. Eine wichtige Aufgabe, die nun aus geldphilosophischer Sicht auf die Politik zukommt, ist: Das Vertrauen in das gemeinsame Geld aufrecht zu erhalten, indem sie ihre Gründe und ihr Handeln offen legt. Mit Vertrauen steht und fällt die gemeinsame Währung und Geld als Handelsinstrument.

"Die positive Eigenschaft von Geld ist seine Charakterlosigkeit"

tagesschau.de: Wieso hat Geld einen solchen Einfluss auf uns und unser Handeln?

Schlitte: Zum einen ist Geld neutral, es bedeutet keine inhaltliche Festlegung. Geld als solches ist aber auch mit Macht eng verbunden. Denn wenn man beispielsweise die Wahl zwischen einer Ware und dem äquivalenten Wert als Geld hat, dann bekomme ich - wenn ich das Geld wähle- zusätzlich zum Wert die Wahlfreiheit: Wann ich das Geld in Ware umtausche, ob ich wirklich diese Ware nehme oder eine andere - das sind alles Entscheidungen, die ich treffen kann. Wenn ich die Ware nehme, dann fällt diese Wahlfreiheit weg.

Daraus entsteht aber auch das Bedürfnis nach immer mehr Geld: Weil durch Geld alleine keine Sättigung eintritt. Es ist die Freude an der Macht, das Gefühl "man könnte...". Daraus entstehen dann pathologische Verhaltensweisen wie überzogene Sparsamkeit oder Geiz. Die lassen sich aus der reinen Tauschfunktion von Geld nicht erklären.

tagesschau.de: Warum gilt es als Untugend, wenn ein Mensch nur nach Geld strebt - bei Staaten aber tolerieren wir, wenn sie ihr gesamtes politisches Handeln an Geld ausrichten?

Schlitte: Die positive Eigenschaft von Geld ist ja gerade seine Charakterlosigkeit, seine Neutralität. Beim Menschen ist Charakterlosigkeit aber etwas Schlechtes. Jemand, der allein nach Geld strebt, ohne das Geld gegen etwas einzutauschen, legt sich nicht fest.

Im Politischen ist das die Voraussetzung, damit überhaupt inhaltliche Akzente gesetzt werden können. Der Staat hat Aufgaben, die er nur wahrnehmen kann, wenn er handlungsfähig ist. Und dafür braucht er Geld. Deshalb kann man individualethische Maßstäbe nicht ohne weiteres auf die Ebene von Staaten übertragen.

"Geld kann nicht individuelle Qualitäten ausdrücken"

tagesschau.de: Sie haben vorhin gesagt, man nutzt Geld, um den Wert von Dingen messbar zu machen. Welche Auswirkungen hat das auf unsere Kultur, für unsere Gesellschaft?

Schlitte: Das ist eine der zentralen Tendenzen unserer modernen Kultur, dass man versucht, Dinge messbar zu machen. Wir versuchen, qualitative Unterschiede mit Zahlen zu beziffern, also zu quantifizieren. Das führt zu einer Nivellierung der Unterschiede. Denn dass ein Gegenstand einzigartig ist kann ich ja nicht dadurch ausdrücken, dass ich ein allgemeines Quantifizierungssystem benutze.

Geld erhebt den Anspruch, es könne alles messbar machen. Es kann aber gar nicht individuelle Qualitäten ausdrücken, sondern es ist sein Wesen, das Individuelle auf das Vergleichbare zu reduzieren. Das hat Auswirkungen auf unser Denken.

tagesschau.de: Welche?

Schlitte: Zum einen führt es dazu, dass auf individuelle Unterschiede nicht mehr so viel Wert gelegt wird. Zum anderen drückt es nicht nur Werte aus, sondern das Geld selbst wirkt auf die Bewertung ein. Wenn ich ein besonders teures Produkt sehe, dann beeinflusst der Preis auch meine Einschätzung des Produktes. Mit dem Geldwert sind auch Prestige und Ansehen verbunden.

Das Interview führte Anna-Mareike Krause, tagesschau.de