Hebammen in der Pandemie Vergessen und alleingelassen
Arbeiten in Corona-Zeiten heißt für Hebammen: Weniger Geld, häufige Tests, ständiger Wechsel der Schutzausrüstung - und immer das Infektionsrisiko. Als "systemrelevant" wurden sie bislang nicht eingestuft.
Kira Macht ist seit 24 Jahren Hebamme, doch ein Jahr wie das vergangene hat sie noch nicht erlebt. Ständig muss sie überlegen: Was ist erlaubt? Was nicht? Seit Corona ist ihr Arbeitsalltag von immer neuen Regelungen und Vorschriften bestimmt.
Viele Stolpersteine im Alltag
"Das nervt, aber wir kriegen das gut hin. Corona ist nicht wirklich ein Problem", sagt die 47-Jährige aus dem hessischen Büdingen. Doch je länger man mit ihr spricht, desto mehr merkt man: Diese Ansicht rührt vor allem daher, dass sie ein positiv denkender Mensch ist. Beschweren und Jammern sind nicht ihr Ding.
Dass sie so über die Pandemie spricht, liegt auch daran, dass ihr Mann als Geschäftsführer ihrer Hebammenpraxis so manchen Stolperstein des Corona-Jahres aus dem Weg geräumt hat. "Er hat sich ständig über neue Regelungen und Bestimmungen schlau gemacht, frühzeitig - als der Markt noch nicht leergeräumt war - für genügend Schutzkleidung gesorgt und dafür, dass meine Kolleginnen und ich durchgeimpft sind. Allein hätte ich das neben meiner Arbeit als Hebamme nicht geschafft."
"Wir wurden komplett vergessen"
Dieses Glück hatten anscheinend die wenigsten Geburtshelfer und Geburtshelferinnen. Spricht man die Präsidentin des Deutschen Hebammenverbandes auf das vergangene Jahr an, klingt das Resümee niederschmetternd: "In der ersten Welle wurden wir komplett vergessen. Schutzausrüstungen bekamen wir teils nur, weil Feuerwehren und Katastrophenschutz uns damit in Eigeninitiative versorgt haben", berichtet Ulrike Geppert-Orthofer. "Einen Anspruch auf Notbetreuung unserer Kinder hatten wir auch nicht." Beides hätten Bundes- und Landesverbände für Hebammen und Entbindungspfleger erkämpfen müssen.
Verbandspräsidentin Ulrike Geppert-Orthofer beklagt eine fehlende Wertschätzung der Hebammen.
"Bis heute werden wir nicht als systemrelevant eingestuft. Darüber bin ich echt sauer", sagt die Verbandspräsidentin. Auch in Test- und Impfverordnungen seien sie außer in Nordrhein-Westfalen nicht namentlich genannt worden. Das habe zu viel Verunsicherung geführt.
In Verordnungen oft nicht erwähnt
Hebammen, die sich testen lassen wollten, seien von Ärzten abgewiesen worden, obwohl laut Verordnung Personal im Gesundheitswesen kostenfreie Tests zustanden. Ebenso sei es bei der Einstufung in die Impfpriorisierungsgruppen gewesen. "Wir mussten auf Bundes- und Landesebene zahlreiche Gespräche führen. Erst dann war klargestellt, dass alle Hebammen dieselben Ansprüche haben wie anderes medizinisches Personal auch."
Mitgemeint aber nicht mitgenannt - das zeige einen Mangel an Wertschätzung, prangert der Deutsche Hebammenverband anlässlich des heutigen Welthebammentages an.
Erschwerte Arbeitsbedingungen im Corona-Alltag
Corona hat den Alltag von Schwangeren und Hebammen verändert. Er ist geprägt von regelmäßigen Tests, Geburtsvorbereitungs- und Rückbildungskursen per Videokonferenz statt im direkten Kontakt, ständig zu wechselnder Schutzausrüstung zwischen Hausbesuchen und Kreißsälen. Denn in Kliniken ist es üblich, dass eine Hebamme mehrere Geburten parallel betreuen muss. All das schafft Distanz in einem Beruf, der eigentlich auf körperlichem Einsatz, Nähe und Vertrauen basiert.
Dazu kommt: Viele Schwangere sind durch Corona verunsichert und haben mehr Beratungsbedarf oder verlassen das Krankenhaus früher als vor der Pandemie. All das kostet Kraft und Arbeitszeit, die ohnehin schon knapp bemessen ist. Denn deutschlandweit herrscht ein Mangel an Hebammen und Entbindungspflegern.
Einnahmen sinken infolge der Pandemie
Nicht zuletzt kostet Corona die oft selbstständigen Hebammen auch Geld. "Insgesamt sind unsere Einnahmen um 50 Prozent eingebrochen", rechtet Kira Machts Mann Thorsten Rautenberg vor. "An unseren Geburtsvorbereitungskursen in der Praxis können nur noch fünf statt zehn Schwangere teilnehmen. Außerdem bleiben wir auf dem Großteil der Ausgaben für Desinfektionsmittel und Schutzausrüstung sitzen." Die Krankenkassen übernehmen dabei nur rund 70 Cent pro Patientenkontakt.
Im Mai 2020 hat der Deutsche Hebammenverband eine Befragung durchgeführt. Im Durchschnitt gaben die Hebammen einen Verdienstausfall von 42 Prozent durch die Corona-Pandemie an. Hauptgrund: die Angst der zu betreuenden Frau vor einer Ansteckung.
Angst vor Ansteckung bleibt
Eine Angst, die auch heute noch da ist - auf beiden Seiten. "Kolleginnen, die älter sind oder zu einer Risikogruppe gehören, sind natürlich vorsichtiger und haben ihren Einsatz aus Angst um sich und ihre Familien reduziert", so Hebammenverbandspräsidentin Geppert-Orthofer.
Auch Kira Macht bekommt immer wieder mit, dass Kolleginnen und Kollegen aus Angst vor einer Ansteckung sogar gar keine Hausbesuche mehr machen. Für sie selbst gehört das Risiko zum Beruf: "Ob Hepatitis, HIV oder Corona: Als Hebamme läuft man immer Gefahr sich anzustecken." Sie und ihre beiden Kolleginnen sind mit Schutzausrüstung und Hygienemaßnahmen trotz Kontakt zu Schwangeren mit einer Covid-19-Erkrankung gesund geblieben und mittlerweile geimpft. Das entspannt den Arbeitsalltag mittlerweile wieder - nicht nur in Büdingen, sondern bundesweit.
Das Problem des erhöhten Zeitaufwandes durch Schutz- und Hygienemaßnahmen löst es aber genauso wenig wie das Problem des bundesweiten Hebammenmangels. Doch immerhin gibt es hier ein paar Lichtblicke: Die Zahl der Schülerinnen und Schüler in der Hebammen-Ausbildung ist im vergangenen Schuljahr 2019/2020 um 14 Prozent gestiegen. Und auch Kira Macht hat Grund zur Freude: Sie konnte endlich eine neue Hebamme für ihr Team gewinnen - nach fünf Jahren Suche.