Interview zur Griechenland-Politik "Wir sparen das Land kaputt"
Noch immer hat Griechenland nicht genug gespart. Bevor die EU neue Kredite ausszahlt, verlangt sie weitere Einschnitte. Aber wie soll die Wirtschaft des Landes so wieder auf die Beine kommen? Der Ökonom Dennis J. Snower wirbt im Interview mit tagesschau.de für eine doppelte Strategie.
tagesschau.de: Griechenlands Wirtschaft liegt bereits am Boden. Trotzdem verlangt die EU weitere Sparanstrengungen. Ist das der richtige Weg?
Dennis J. Snower: Nein, das ist der falsche Weg. Wir haben in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen gelernt, dass man ein Land in der Depression nicht immer weiter zum Sparen zwingen sollte. Das verstärkt die Depression. Man spart das Land kaputt! So kann kein Wachstum entstehen.
tagesschau.de: Was muss denn passieren, damit die Wirtschaft wieder wächst?
Snower: Griechenland sollte sich selbst einer langfristigen Fiskalregel unterwerfen, mindestens für die nächsten 20 bis 30 Jahre. Die Regel müsste in der Verfassung verankert werden. Sie würde festlegen, wie hoch die langfristige Schuldenquote (Staatschulden im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt) sein darf. Natürlich müsste die Quote den Kriterien des Maastrichter Vertrages entsprechen und dürfte nicht über 60 Prozent liegen. Dabei sollte außerdem festgelegt werden, wie antizyklisch die Fiskalpolitik sein darf. Das heißt: wie stark man eine Rezession mit Staatsausgaben bekämpfen kann.
tagesschau.de: Wie soll Griechenland denn eine Schuldenquote von 60 Prozent erreichen, wenn es derzeit bei 190 Prozent Verschuldung liegt? Kann das denn ohne Sparen gehen?
Snower: Wenn Griechenland 20 bis 30 Jahre hätte, dieses Ziel zu erreichen, dann stünden die Chancen viel besser, als wenn dies in wenigen Jahren gefordert wird.
tagesschau.de: Ab wann wäre es denn realistisch, dass Griechenland eine solche niedrige Schuldenquote erreichen kann? Ist das Land nicht bis dahin längst bankrott?
Snower: Das Land ist bankrott, wenn man darauf besteht, dass die Schulden innerhalb kurzer Zeit zurückgezahlt werden müssen. Wenn man Griechenland dafür einige Jahrzehnte Zeit lässt, sieht die Situation anders aus.
"Eine antizyklische Fiskalpolitik stimuliert das Wachstum"
tagesschau.de: Wieso würde eine Begrenzung der Schulden die Wirtschaft ankurbeln?
Snower: Würde Griechenland eine antizyklische Fiskalpolitik betreiben, könnte das kurzfristig mehr Staatsausgaben und also auch mehr Schulden bedeuten. Wenn die Staatsausgaben produktiv eingesetzt werden, würde dies das Wachstum stimulieren. Wenn es gleichzeitig eine langfristige Schuldenquote gäbe, würde das die Finanzmärkte nicht beunruhigen. Außerdem hätten alle griechischen Regierungen den Anreiz, wachstumsfördernde Maßnahmen zu schaffen. Denn je stärker das Wachstum, desto höher die Einnahmen und desto mehr könnte der Staat ausgeben. So würde Griechenland seine Souveränität nicht verlieren, da es sich die Schuldenquote selbst in die Verfassung schreiben würde. Gleichzeitig würde es der EU so ermöglichen, diese Schuldenquote zu kontrollieren. Aber das allein reicht noch nicht: Zusätzlich müsste die EU Strukturfonds einrichten, um gezielt das Wachstum in Griechenland zu fördern.
tagesschau.de: Aber es gibt doch bereits Strukturfonds in der EU, von denen Griechenland im Augenblick besonders profitiert...
Snower: Das ist richtig. Aber diese Strukturfonds sind nicht spezifisch genug, um Wachstum zu fördern. Man sollte sie fokussieren: Griechenland muss beispielsweise die Möglichkeit haben, seine eigene Infrastruktur aufzubauen. Griechenland muss viel mehr in der Bildung und Weiterbildung tun. Griechenland braucht viel mehr Innovationskraft. Da hinkt es den meisten europäischen Ländern hinterher. Das zeigt, dass die Strukturfonds nicht das gebracht haben, was Griechenland braucht.
tagesschau.de: In welchen Branchen würde es sich denn lohnen zu investieren? Wo liegt das Wachstumspotenzial?
Snower: Ich glaube, das sollte die Marktwirtschaft entscheiden. Den Griechen sollte ein Anreiz gegeben werden, die Basis für solche Reformen zu schaffen. Unternehmen, die innovativ und wachstumsfördernd sind, könnte man zum Beispiel Ausbildungsgutscheine zur Verfügung stellen. So würden zukunftsfähige Unternehmen gefördert, die sich im Wettbewerb bewiesen haben. Einfach bestimmte Branchen zu bevorzugen, würde Monopolmacht und bürokratische, ineffiziente Strukturen begünstigen. Man braucht das Gegenteil: mehr freien Wettbewerb, bei dem die besten Unternehmen weiterkommen.
tageschau.de: Würde ein millionenschwerer Marshall-Plan, wie er jetzt diskutiert wird, dem Land weiterhelfen?
Snower: Ganz bestimmt nicht. Griechenland hat bereits milliardenschwere Hilfen bekommen, und wir sehen, wohin es geführt hat. Es muss eine wachstumsfördernde, fiskalpolitisch verantwortliche Politik betrieben werden. Einfach mehr Geld zu geben, ohne Strukturreformen zu fordern, halte ich nicht für sinnvoll.
Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de