Abstimmung über Glyphosat-Zulassung Vergiftete Stimmung
Wie geht es weiter mit dem Unkrautvernichter Glyphosat? Ab heute beraten Experten der EU-Kommission über die weitere Zulassung des äußerst umstrittenen Stoffes. Auch die Bundesregierung entzweit das Thema, weshalb ihr eine politischen Blamage droht.
Irgendwo hinter den wuchtigen Mauern des Albert-Borschette-Kongresszentrums, einem der vielen austauschbaren Büro-Kästen im Brüsseler Europaviertel, werden sie sich treffen, die Experten der 28-EU-Länder. Um heute oder morgen darüber abzustimmen, ob Glyphosat erneut die Zulassung in der EU erhalten soll. Demonstranten wollen sie am Eingang in Empfang nehmen, mit über 230.000 Unterschriften gegen die Glyphosat-Neuzulassung und einer drei Meter hohen Flasche "RoundUp", dem wohl bekanntesten glyphosathaltigen Unkrautvernichter vom Chemiekonzern Monsanto.
Abgestimmt wird über den Vorschlag der EU-Kommission: Neun weitere Jahre will sie Glyphosat genehmigen. Als Begründung führte ein Kommissionssprecher zuletzt eine aktuelle Studie der Weltgesundheitsorganisation an, "die zu dem Schluss kommt, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass Glyphosat für Menschen krebserregend ist, wenn sie es mit der Nahrung aufnehmen". Also, bestehe "nur eine sehr geringe Gefahr für Menschen".
"Niemand sagt, dass es absolut sicher ist"
Eine Aussage wie gemacht, um Glyphosat-Gegner zur Weißglut zu treiben. Denn sie zitieren seit Anfang 2015 eine andere Studie - ebenfalls von der Weltgesundheitsorganisation. Die besagt, dass Glyphosat sehr wohl krebserregend sein könnte. Umweltschützer warnen zudem schon lange davor, dass das sogenannte "Total-Herbizid" Glyphosat wirklich alles bis auf die Nutzpflanzen tötet - und damit zum Beispiel auch die Lebensgrundlage für Tiere wie etwa Bienen vernichtet.
"Niemand sagt, dass es absolut sicher sei, dass es nicht krebserregend ist", sagte Sigmar Gabriel nun in Brüssel - wohl weniger in seiner Funktion als Bundeswirtschaftsminister, sondern vor allem als SPD-Chef. Denn die SPD-Minister im Kabinett Merkel wollen der Neuzulassung von Glyphosat nicht zustimmen. "Safety first, Gesundheit first. Ich bin dagegen, dieses Produkt überhaupt zuzulassen, solange diese Zweifel nicht ausgeräumt sind", machte Gabriel klar.
Streit könnte peinlich werden
Das sorgt für Streit mit der Union. Denn vor allem das CSU-geführte Bundeslandwirtschaftsministerium drängt auf die Genehmigung für Glyphosat. Das Mittel halte Ackerflächen ertragreich und sauber, außerdem müsse weniger gepflügt werden, was gut für den Boden sei, sagen die Bauern. Und ohne Chemie sei die große Nachfrage einer Millionenbevölkerung nach Lebensmitteln auch gar nicht zu bedienen.
Ohne eine gemeinsame Haltung der Koalition müsste sich Deutschland bei der Abstimmung über die Neuzulassung von Glyphosat enthalten - was peinlich wäre, schließlich war es die Bundesregierung, die die Genehmigung federführend vorangetrieben hat in Brüssel.
Mitgliedsstaaten bleiben in der Verantwortung
Das Ergebnis: Am Ende könnte es im Ausschuss gar keine echte Entscheidung der Experten geben, weder mehrheitlich für noch mehrheitlich gegen die Neuzulassung von Glyphosat. Was nach den Regeln der EU bedeuten würde: Die Kommission dürfte dann ihre Idee, das Mittel für weitere neun Jahre zuzulassen, einfach allein umsetzen.
Das würde die EU-Länder allerdings nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Die Kommission entscheide nämlich nur über die Zulassung von Glyphosat selbst, nicht aber über die Zulassung von Unkrautvernichtungsmitteln, in denen der chemische Stoff enthalten ist, so ein Kommissionssprecher. "Und den Mitgliedsländern ist es natürlich selbst überlassen, ob sie Produkte, die Glyphosat enthalten, reglementieren." Das aber dürfte dauern. Bis dahin würde Glyphosat weiter eingesetzt werden - mit allen möglichen Risiken und Nebenwirkungen.