Richtungslose Wall Street US-Zinswende wird zur Hängepartie
Nach den Jobdaten ist vor dem Zinsentscheid. Die US-Börsen hangeln sich von einer Konjunkturzahl zur anderen, ohne dass klar wird, wann die Zinswende kommt. Die Anleger sind entsprechend verunsichert.
Die Wall Street hat sich auch nach den überraschend robust ausgefallenen Mai-Daten vom Arbeitsmarkt zum Wochenschluss richtungslos präsentiert. Die großen Indizes wechselten im Verlauf mehrfach das Vorzeichen, am Ende bleiben die Schwankungen gering. Damit setzte sich die zuletzt uneinheitliche und richtungslose Tendenz der vergangenen Handelstage fort.
Der Leitindex Dow Jones schloss bei 38.798 Zählern, ein leichtes Minus von 0,22 Prozent. Auch die anderen Indizes bewegten sich bei wechselhaftem Handel letztlich wenig. Der S&P 500 und der Index der Technologiebörse Nasdaq verloren zwischen 0,1 und gut 0,25 Prozent. Der Auswahlindex Nasdaq 100 erreichte bei 19.113 Punkten einen neuen Höchststand, prozentual war der Zuwachs aber moderat. Eine klare Tendenz fehlte, wie schon zuvor im europäischen Handel.
Konkret wurden in den USA im Mai mit 272.000 neuen Stellen außerhalb der Landwirtschaft deutlich mehr Arbeitsplätze geschaffen als erwartet. Analysten hatten im Vorfeld 185.000 neue Stellen prognostiziert. Gleichzeitig legten auch die für die Inflationsentwicklung bedeutsamen Stundenlöhne mit plus 0,4 Prozent zum Vormonat stärker zu als gedacht. Hier lag die Erwartung bei 0,3 Prozent.
Die getrennt ermittelte Arbeitslosenquote stieg allerdings auf 4,0 Prozent von 3,9 Prozent zuvor. Erwartet worden war eine unveränderte Quote. Im längeren Vergleich bleibt die Arbeitslosigkeit in der größten Volkswirtschaft der Welt damit trotz der hohen Zinsen weiterhin niedrig.
"Die Tatsache, dass die Zahlen so unterschiedlich ausfallen, macht es für die Anleger und sogar für die Zentralbanker sehr schwer, genau zu verstehen, was passiert", erläuterte Brian Nick, Stratege beim Finanzdienstleister The Macro Institute.
Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt gilt als mitentscheidend für die Geldpolitik der US-Notenbank Federal Reserve. Ein robuster Arbeitsmarkt kann zu deutlicheren Lohnzuwächsen führen und den allgemeinen Preisanstieg verstärken. Ihr Ziel, den Arbeitsmarkt zu dämpfen, hat die Fed jedenfalls bisher verpasst.
"Diese Kombination aus überwiegend robustem Arbeitsmarkt und gleichzeitig hohem Lohnwachstum könnte die US-Notenbank Fed noch länger von Zinssenkungen abhalten", kommentierte Thomas Altmann von QC Partners. Kommende Woche steht der nächste Zinsentscheid der Fed auf der Agenda, mit einer Zinssenkung rechneten die Anleger ohnehin noch nicht.
Die Jobdaten haben zwar Zinshoffnungen enttäuscht, zuletzt waren aber nach schwächeren Wirtschaftsdaten auch verstärkt Konjunktursorgen aufgekommen. Diese immerhin dürften nun zurücktreten, so dass die Situation an der Wall Street in diesem Spannungsfeld schwierig bleibt. Denn wie sensibel die Anleger reagieren, wenn die Gewinnperspektiven der Unternehmen bröckeln, haben die letzten Handelstage gezeigt.
Die Fed versucht, die Konjunktur zu dämpfen, ohne dabei die Wirtschaft in eine Rezession zu treiben. Ein schwieriges Unterfangen, das bisher allerdings recht gut gelungen ist. Jüngste Wirtschaftsdaten fielen aber uneinheitlich aus, was die Anleger wieder verunsicherte. Der Blick geht in der kommenden Woche daher in Richtung neuer Inflationsdaten. Aber auch die Zinssitzung der Fed, deren Ergebnisse wie immer am Mittwochabend mitteleuropäischer Zeit (MEZ) bekannt gegeben werden, wird mit Spannung erwartet.
Stützend wirkt sich an der Börse im Gegenzug der neue Boom um das Thema Künstliche Intelligenz (KI) aus, mit dem Chiphersteller Nvidia als unangefochtenem Platzhirsch. So einen Goldrausch liebt die Börse - die Nvidia-Aktie hat sich drastisch verteuert, der Unternehmenswert ist zuletzt über drei Billionen Dollar gestiegen. In Kürze werden Nvidia-Aktien im Verhältnis 1:10 gesplittet.
Unter den Einzelwerten zogen wieder einmal die Aktien von GameStop das Anlegerinteresse auf sich. Schon im vorbörslichen Handel verzeichneten die Papiere des Videospielehändlers eine Achterbahnfahrt. Zunächst schnellten sie um mehr als 35 Prozent hoch, nachdem Starinvestor Keith Gill alias "Roaring Kitty" für Freitag seine Rückkehr auf die Videoplattform YouTube nach drei Jahren angekündigt hatte.
Kurz danach stürzten die Titel auf minus 16 Prozent ab. Gründe dafür waren enttäuschende Quartalszahlen sowie die Ankündigung des Unternehmens, weitere 75 Millionen Aktien verkaufen zu wollen. Am Ende brach das Papier um gut 39 Prozent dramatisch ein.
"Der GameStop-Wahnsinn geht in die nächste Runde", kommentierte Marktbeobachter Sven Weisenhaus von Börse-Intern. "Quasi minütlich werden Milliarden Dollar aus dem Nichts geschaffen und auch genauso schnell wieder vernichtet."
Am heimischen Aktienmarkt drehte sich am Nachmittag ebenfalls alles um die wichtigen Daten vom US-Arbeitsmarkt. Da diese überraschend robust ausfielen, traten an der Weltleitbörse in New York Hoffnungen auf eine baldige Zinswende erneut zurück. Dem konnte sich auch der heimische Markt nicht entziehen.
Der DAX schloss bei 18.557 Punkten um 0,5 Prozent schwächer und gab damit Gewinne vom Vortag wieder ab. Der Leitindex blieb dabei nach seinem Tageshoch zur Eröffnung bei 18.649 Punkten den ganzen Tag über im Minus stecken. Das Tagestief lag bei 18.424 Punkten. Der MDAX verlor 0,6 Prozent. Auch der Rentenmarkt tendierte leichter, die Rendite für zehnjährige Bundesanleihen stieg auf 2,62 Prozent.
Insgesamt ging damit der zuletzt unstete Handelsverlauf damit heute weiter. Der DAX bleibt zwar auf hohem Niveau, zu neuem Schwung darüber hinaus reicht es aber derzeit nicht. Vor dem Zinsentscheid der Europäischen Zentralbank am Donnerstag hatte der deutsche Leitindex noch mehr als ein Prozent gewonnen. Im Wochenvergleich stagnierte der Index bei einem minimalen Zugewinn von 0,3 Prozent.
"Derzeit zeigen sich die Kapitalmärkte in einer abwartenden Haltung. Grund dafür sind die Unsicherheiten rund um die anstehenden geldpolitischen Entscheidungen der Zentralbanken gepaart mit gemischten Wirtschaftsdaten aus den führenden Volkswirtschaften", schreibt die Weberbank in ihrem aktuellen Marktkommentar.
Mehr Bewegung als am Aktienmarkt gab es nach den Jobdaten vom Nachmittag am Devisenmarkt. Zuletzt wurden im US-Handel nur noch 1,0802 Dollar für den Euro bezahlt. Am Morgen mussten noch knapp 1,09 Dollar bezahlt werden. Die Europäische Zentralbank setzte den Referenzkurs auf 1,0898 (Donnerstag: 1,0865) Dollar fest.
"Der solide Arbeitsmarktbericht wird die US-Notenbank Fed in ihrer Ausrichtung bestätigen: Zuwarten", kommentierte Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank. "Solange die US-Wirtschaft und insbesondere der Arbeitsmarkt rund laufen, gibt es keine Notwendigkeit, den Leitzins zu senken." Die Erwartung von länger hohen Zinsen in den Vereinigten Staaten stärkt die US-Währung.
Am Vormittag meldeten sich einen Tag dem Zinsentscheid der EZB zahlreiche Notenbanker zu Wort. Viele von ihnen bestätigten die vorsichtige Herangehensweise an die Tags zuvor eingeleitete Zinswende. So bekräftigte Bundesbankchef Joachim Nagel, dass sich die EZB mit Blick auf weitere Lockerungen nicht im Autopilot-Modus befinde.
EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat einen Tag nach der ersten Zinssenkung seit fast fünf Jahren ebenfalls noch einen langen Kampf gegen die Inflation in Aussicht gestellt. Es werde noch eine ganze Weile dauern, bis die Inflation komplett aus der Wirtschaft verbannt sei, teilte Lagarde in einem Meinungsbeitrag mit, der in verschiedenen europäischen Zeitungen veröffentlicht wurde. Die Währungshüter hatten am Donnerstag ihre Leitzinsen erstmals nach der großen Inflationswelle gesenkt, den weiteren Kurs aber offengelassen.
In welche Richtung sich der DAX entwickelt, hängt auch von der konjunkturellen Lage ab. Die Bundesbank sieht die Wirtschaft nach einer rund zweijährigen Schwächephase langsam auf dem Aufwärtspfad. Getragen von einem anziehenden privaten Konsum und besseren Exportgeschäften ab der zweiten Jahreshälfte des laufenden Jahres fasse die deutsche Wirtschaft allmählich wieder Tritt. Insgesamt fielen heutige Konjunkturdaten aber durchwachsen aus
Die Unternehmen haben im April mehr exportiert. Die Ausfuhren stiegen gegenüber dem Vormonat um 1,6 Prozent, teilte das Statistische Bundesamt anhand vorläufiger Daten mit. Exportiert wurden Waren im Wert von 136,5 Milliarden Euro.
Derweil hat die Industrie ihre Produktion im April aber leicht zurückgefahren. Gegenüber dem Vormonat sank die Gesamtherstellung laut Statistischem Bundesamt um 0,1 Prozent. Analysten hatten dagegen einen leichten Zuwachs der Produktion im Produzierenden Gewerbe von im Schnitt 0,2 Prozent erwartet.
Hohe Zinsen kommen bei Immobilieninvestoren in aller Regel nicht gut an, erhöhen sie doch insbesondere die Finanzierungskosten. Bereits am Vortag war es für Immobilienaktien nach der ersten Zinssenkung der Europäischen Zentralbank (EZB) seit 2019 bergab gegangen. Konkrete Hinweise zu weiteren Zinssenkungen waren dabei ausgeblieben.
Im DAX verloren die Papiere von Vonovia über 7,0 Prozent und standen damit am Indexende. Sie weiteten ihre Verluste nach den starken US-Jobdaten noch aus. Obendrein hatte Morgan Stanley den DAX-Konzern auf "Underweight" abgestuft. Damit rutschte Vonovia in der Jahresbilanz wieder ins Minus.
Für LEG aus dem MDAX strich die US-Bank ihre Kaufempfehlung und stufte auf "Equal-Weight" ab, die Aktien gaben um rund 4,5 Prozent nach. Auch TAG Immobilien gerieten in den Abwärtssog und fielen um rund 2,2 Prozent. Für Aroundtown ging es um gut 3,0 Prozent abwärts.
Die deutschen Versicherer rechnen nach der Flut in Bayern und Baden-Württemberg mit Schäden in Höhe von etwa zwei Milliarden Euro. Diese erste Prognose ist noch vorläufig, wie der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft heute in Berlin mitteilte.
"Weil insbesondere an der Donau das Hochwasser noch nicht abgelaufen ist, haftet dieser Schätzung noch eine gewisse Unsicherheit an", sagte GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen. Nach dem Ende des Hochwassers will der GDV deswegen den Stand der Schäden bei seinen Mitgliedsunternehmen noch einmal abfragen.
Das derzeitige süddeutsche Hochwasser war das dritte und größte innerhalb weniger Monate, neben der Donau sind auch zahlreiche ihrer Zuflüsse über die Ufer getreten. Über Weihnachten hatte eine Überschwemmung in Nord- und Mitteldeutschland laut GDV-Schätzung etwa 200 Millionen Euro Schaden verursacht. Ähnlich teuer für die Versicherer war demnach das Pfingsthochwasser im Saarland und Rheinland-Pfalz.
Der weltgrößte Flugzeugbauer Airbus hat bei der Auslieferung neuer Jets im Mai nachgelassen. Der DAX-Konzern übergab 53 Passagierjets an seine Kunden, wie er am Donnerstagabend in Toulouse mitteilte. Im März und April hatte der Hersteller jeweils mehr als 60 Stück geschafft. Airbus muss sich weiter ranhalten, um in diesem Jahr wie geplant rund 800 Maschinen auszuliefern. Nach den ersten fünf Monaten hat der Konzern erst 256 Stück geschafft und damit noch nicht einmal ein Drittel seines Jahresziels.
Der Volkswagen-Konzern steigt in den Betrieb von großen Batteriespeichern für das Stromnetz ein. Im kommenden Jahr werde in Deutschland das erste sogenannte "Power Center" ans Netz gehen, das Ökostrom zwischenspeichert, kündigte Technik-Vorstand Thomas Schmall heute in Berlin an.
Betreiben soll die Anlage die VW-Ladenetzsparte Elli. Die Kapazität werde zunächst bei 700 Megawattstunden liegen und lasse sich später auf eine Gigawattstunde ausbauen, sagte Schmall. Das entspreche in etwa der Kapazität eines Gaskraftwerks. Weitere "Power Center" sollen folgen. Damit erschließe sich der Konzern ein neues Geschäftsfeld in einem wachsenden Markt.
Die Anlagen sollen als Puffer für Wind- und Solarenergie dienen und so helfen, das Stromnetz zu stabilisieren. VW geht davon aus, dass sich der Bedarf an solchen Batteriespeichern in Deutschland in den kommenden Jahren verzehnfachen wird. Zudem erschließe Europas größter Autobauer ein weiteres Einsatzgebiet für ausgediente E-Auto-Batterien, deren Leistung im Auto nicht mehr ausreicht, die aber noch genug Strom für Großspeicher aufnehmen können.
Die Angestellten des südkoreanischen Technologiekonzerns Samsung haben den ersten Streik der Unternehmensgeschichte begonnen. Der Konzern gab sich gelassen. "Es gibt keine Auswirkungen auf die Produktion und die Geschäftsaktivitäten", erklärte das Unternehmen. Bei Samsung laufen seit Januar Tarifverhandlungen, die Angestellten fordern mehr Lohn. Eine Einigung mit der Gewerkschaft war bislang nicht in Sicht.