Langsameres Zinserhöhungstempo? Fed-Präsident treibt die Börsen an
Die neuerliche große Zinsanhebung der Fed hat den Börsen nichts ausgemacht. Im Gegenteil: Die Wall Street zog kräftig an - dank der Aussicht auf ein langsameres Tempo bei den künftigen Zinsschritten.
Wie stark steigen die Leitzinsen in den USA noch? Diese Frage bewegte die Anleger am Abend. Nachdem die Fed ein zweites Mal den Leitzins kräftig um 0,75 Prozentpunkte auf 2,25 bis 2,5 Prozent erhöht hat, könnte schon im September eine weitere Zinsanhebung in dieser Höhe folgen. Ein solcher "Jumbo-Zinsschritt" sei zum nächsten regulären Zeitpunkt im September möglich, sagte Fed-Präsident Jerome Powell am Abend nach der Zinssitzung in Washington.
Allerdings hänge die Entscheidung darüber von der wirtschaftlichen Entwicklung bis dahin ab. Die Fed werde auch nicht zögern, einen noch größeren Schritt zu unternehmen, falls dies erforderlich sein sollte, ergänzte Powell. "Die US-Notenbank legt bei den Leitzinsen nochmals kräftig nach. Das ist schon außergewöhnlich, dass sie in so kurzer Abfolge so hart auf die Bremse tritt", meinte Ökonom Bastian Hepperle von der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank.
Die starke geldpolitische Straffung der Fed könnte freilich bald Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum haben, räumte Powell ein. Mit der Zeit könnte daher das hohe Straffungstempo reduziert werden. Diese Aussagen sorgten an den US-Börsen für Erleichterung. Die Wall Street baute die Kursgewinne aus. Der Dow Jones gewann knapp 1,4 Prozent auf 32.197 Punkte. Der marktbreite S&P 500 legte um 2,6 Prozent auf über 4.000 Zähler zu. Besonders Tech-Werte waren gefragt. Der technologielastige Nasdaq 100 kletterte um rund 4,3 Prozent nach oben. Das ist der stärkste Tagesanstieg seit November 2020.
Bereits vor dem Zinsentscheid waren die Kurse an der Wall Street gestiegen. Das beflügelte die europäischen Aktienmärkte. Der DAX schloss 0,5 Prozent im Plus bei über 13.100 Punkten. Es war der erste Gewinntag in dieser Woche. Den Montag und Dienstag hatte der deutsche Leitindex mit Verlusten beendet. Der EuroStoxx 50, der Börsenbarometer für die Eurozone, stieg um 0,9 Prozent auf über 3.600 Punkte.
Erfreuliche Ausblicke der Tech-Schwergewichte Microsoft und Alphabet sorgten für Zuversicht an den Börsen. Der Microsoft-Konzern rechnet mit einem Zuwachs bei Umsatz und operativem Gewinn im zweistelligen Prozentbereich im neuen Geschäftsjahr. Trotz sinkender Nachfrage nach PCs steigerte Microsoft seine Erlöse um zwölf Prozent auf 51,9 Milliarden Dollar und verdiente 16,7 Milliarden Dollar im abgelaufenen Quartal. Die Aktien schlossen um 6,7 Prozent höher.
Und auch der Google-Mutterkonzern Alphabet demonstriert, dass er gut aufgestellt ist, um besser als kleinere Konkurrenten durch die Marktschwäche zu kommen. Alphabet schaffte im zweiten Quartal einen Umsatzzuwachs um 16 Prozent auf knapp 69,7 Milliarden Dollar. Die A-Aktien von Alphabet zogen um 7,7 Prozent an.
In Deutschland entwickelt sich die Berichtssaison ebenfalls relativ positiv. Mercedes hat solide Quartalszahlen vorgelegt und seine Ziele für das Gesamtjahr angehoben. Die Aktien des Autobauers gewannen 2,8 Prozent. Auch RWE erhöhte dank guter Geschäfte mit Gas, Wasser und Biomasse sowie im Energiehandel seine Jahresprognose. Auf Konzernebene erwarte RWE nun einen bereinigten operativen Ertrag (Ebitda) von fünf bis 5,5 Milliarden Euro statt wie bisher 3,6 bis vier Milliarden Euro. Die Titel von RWE stiegen um über zwei Prozent.
Nur die Energiekrise trübte etwas die gute Börsenstimmung. So hat Russland die Gaslieferungen über die Pipeline Nord Stream 1 am Morgen weiter eingeschränkt. Der russische Konzern Gazprom hatte am Montag angekündigt, wegen einer weiteren fehlenden Turbine weniger Gas über die Pipeline North Stream 1 zu liefern. Solange die zukünftige Energieversorgung für Deutschland nicht geregelt sei, hänge der Markt am Tropf der Politik im Kreml, sagte Experte Jochen Stanzl vom Broker CMC Markets. Die Gaspreise steigen weiter. Der europäische Erdgas-Future zog zeitweise um mehr als 13 Prozent auf 222,50 Euro je Megawattstunde an. "Es sieht so aus, als ob die Verknappung jeden treffen wird", sagte ein Gashändler.
Die Furcht vor einer akuten Gaskrise im Winter und die hohe Inflation belasten die Stimmung der Verbraucher in Deutschland. Das Konsum-Barometer der Nürnberger GfK-Marktforscher signalisiert für August einen Rückgang um 2,9 Zähler auf minus 30,6 Punkte. Seit Beginn der Erhebung der Verbraucherstimmung für Gesamtdeutschland im Jahr 1991 wurde kein schlechterer Wert gemessen.
Im Sog der teureren Gaspreise stiegen auch die Ölpreise. Die Sorte Brent aus der Nordsee verteuerte sich um 2,1 Prozent auf 106,63 Dollar je Barrel (159 Liter). Auch die US-Sorte WTI zog um 3,3 Prozent auf 98,12 Dollar je Barrel an. Der überraschend deutliche Rückgang der Lagerbestände bereite den Spekulationen auf einen Nachfrage-Rückgang wegen gestiegener Preise ein Ende, sagte Bob Yawger, Manager bei der Investmentbank Mizhuo. Außerdem griffen Abnehmer wegen der Gas-Krise in Europa verstärkt zu Öl als Energieträger.
Nach dem Zins-Entscheid der US-Notenbank gab der US-Dollar spürbar nach. Der Euro legte indes stark zu und überwand die Marke von 1,02 US-Dollar. Im europäischen Handel war die Gemeinschaftswährung noch zeitweise unter 1,01 Dollar gefallen.
Neben Mercedes stand im DAX die Deutsche Bank im Blickpunkt. Das größte deutsche private Geldinstitut hat die Analystenerwartungen übertroffen und ihren Gewinn im zweiten Quartal um mehr als die Hälfte auf 1,05 Milliarden Euro gesteigert. Dennoch rutschte die Aktie klar ins Minus. In ersten Kommentaren äußerten sich Experten kritisch zum "durchwachsenen Ausblick" des Unternehmens.
Der weltgrößte Chemiekonzern BASF hebt seine Geschäftsziele für 2022 an. Der Konzern rechnet nun mit einem Zuwachs beim Umsatz auf 86 bis 89 Milliarden Euro. Zuvor war der Konzern von einem Rückgang ausgegangen. Beim operativen Ergebnis hob BASF das untere Ende der Prognosespanne an und peilt nun für 2022 mindestens 6,8 Milliarden Euro an anstatt der zuvor 6,6 Milliarden.
Airbus muss wegen Problemen mit seinen Lieferanten die Produktionsziele kürzen. Der weltgrößte Flugzeugbauer rechnet in diesem Jahr nur noch mit der Auslieferung von 700 statt 720 Verkehrsflugzeugen. "Wir könnten mehr Flugzeuge bauen, aber wir brauchen die Teile, vor allem Triebwerke", sagte Vorstandschef Guillaume Faury. Die Folgen der Engpässe sind schon jetzt am Airbus-Umsatz abzulesen: Weil der Hersteller weniger Flugzeuge auslieferte, ging der Umsatz um zehn Prozent auf 12,8 Milliarden Euro zurück. Das um Sondereffekte bereinigte operative Ergebnis sackte um 31 Prozent auf knapp 1,4 Milliarden Euro. Unterm Strich verdiente Airbus mit 682 Millionen Euro fast zwei Drittel weniger. Anleger reagierten enttäuscht. Im späten Börsenhandel brachen die Airbus-Aktien um fünf Prozent ein.
Einen Gewinneinbruch erlitt auch Airbus-Rivale Boeing. Der Überschuss schrumpfte im zweiten Quartal im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 72 Prozent auf 160 Millionen Dollar. Der Umsatz sank in den drei Monaten bis Ende Juni im Jahresvergleich um zwei Prozent auf 16,7 Milliarden Dollar. Trotzdem geht es bei Boeing wieder aufwärts. Im ersten Quartal dieses Jahres hatte der US-Flugzeugbauer noch einen Verlust von 1,2 Milliarden Dollar verkraften müssen. Die Boeing-Aktien hoben zunächst ab, gaben dann aber die Gewinne wieder ab.
Mit rund fünf Prozent Kursminus war Adidas größter DAX-Verlierer. Der Sportartikel-Hersteller hat seine Prognose für das laufende Geschäftsjahr reduziert. Die Corona-Beschränkungen in China machen dem Unternehmen stärker zu schaffen als erwartet. Statt eines Umsatzwachstums von etwa elf Prozent sei 2022 nur noch ein Plus von fünf bis neun Prozent zu erwarten. Der Gewinn aus dem fortgeführten Geschäft soll mit rund 1,3 Milliarden Euro gut ein Viertel niedriger ausfallen als zuletzt geplant.
Adidas-Konkurrent Puma hat dagegen Umsatz und Gewinn deutlicher gesteigert als erwartet. Wachstumstreiber im zweiten Quartal waren Amerika und Europa. Im zweiten Quartal stieg der Umsatz dank eines starken Großhandelsgeschäfts um 26 Prozent auf rund zwei Milliarden Euro. Trotz höherer Kosten stieg das Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) um mehr als ein Drittel auf gut 146 Millionen Euro. Unter dem Strich verdiente Puma mit 84 Millionen Euro gut 73 Prozent mehr. Die Puma-Aktien gaben dennoch vier Prozent nach.
Am Tag des Streiks des Lufthansa-Bodenpersonals hat sich der deutsche Staat von einem weiteren Aktienpaket getrennt. Der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) habe seine Beteiligung auf unter zehn Prozent verringert, teilte die Finanzagentur des Bundes mit. Zuvor hatte der Staatsanteil noch bei rund 14,1 Prozent gelegen. Die Erlöse aus der Veräußerung überträfen schon jetzt den Betrag, den der WSF zum Erwerb eingesetzt habe, hieß es dazu. Spätestens im Oktober 2023 will der WSF komplett aussteigen. Die Bundesregierung hatte die Lufthansa nach dem Geschäftseinbruch in der Corona-Krise im Juni 2021 mit Finanzhilfen über bis zu sechs Milliarden Euro vor dem Aus gerettet.
Neue Mobilfunkkunden und die weiterhin hohe Nachfrage nach teuren Smartphones haben Telefonica Deutschland Auftrieb verliehen. Im ersten Halbjahr kletterte der Umsatz um 5,5 Prozent auf 3,95 Milliarden Euro. Insgesamt kommt die Tochter der spanischen Telefonica auf rund 47 Millionen Mobilfunkanschlüsse. Das bereinigte Betriebsergebnis (Oibda) legte von Januar bis Juni um 4,9 Prozent auf 1,23 Milliarden Euro zu.
Der norwegische Energiekonzern Equinor hat aufgrund der stark gestiegenen Preise vor allem für Gas seinen Gewinn im zweiten Quartal mehr als verdreifacht. Unter dem Strich standen von April bis Juni 6,8 Milliarden Dollar. Equinor fördert Gas und Öl, investiert aber auch in erneuerbare Energien. Im Mai hatte Equinor zudem wieder eine Fabrik zur Verflüssigung von Gas in Hammerfest in Betrieb nehmen können, die wegen eines Feuers eineinhalb Jahre geschlossen gewesen war. Der Umsatz des Konzerns verdoppelte sich im Vorjahresvergleich auf 36,5 Milliarden Dollar.
Nach US-Börsenschluss meldete noch der Facebook-Konzern Meta seine Quartalszahlen. Nach dem jahrelangen rasanten Wachstum hat der Tech-Konzern mit einem Umsatzrückgang zu kämpfen. Im zweiten Quartal fielen die Erlöse im Jahresvergleich um rund ein Prozent auf 28,8 Milliarden Dollar. Unterm Strich schrumpfte der Gewinn um 27 Prozent auf knapp 6,7 Milliarden Dollar. Die Meta-Aktien gerieten nachbörslich unter Druck.