Euphorische Anleger Kurssprung an der Wall Street
Besser als erwartet ausgefallene Preisdaten schürten die Hoffnung auf ein Ende der aggressiven Zinserhöhungen durch die Notenbank. Die Anleger reagierten euphorisch und griffen bei Aktien kräftig zu.
Spekulationen auf ein gemäßigteres Tempo der US-Notenbank Fed bei ihren Zinserhöhungen hat die Kurse an der Wall Street heute nach oben katapultiert. Zuvor hatten Verbraucherpreisdaten aus den USA gezeigt, dass der Preisdruck im Oktober nachgelassen hat. Euphorisch griffen die Anleger daraufhin zu und katapultierten besonders die zinssensitive Technologiebörse Nasdaq nach oben. Am Ende schloss der Composite-Index um 7,35 Prozent höher, der Auswahlindex Nasdaq 100 legte 7,49 Prozent zu auf 11.605 Punkte.
Der Dow-Jones-Index, der Leitindex der Standardwerte, konnte da zwar nicht mithalten, war aber zuletzt besser gelaufen und rückte heute um 3,70 Prozent auf 33.715 Zähler ebenfalls deutlich vor. Der marktbreite S&P-500-Index stieg kräftig um 5,54 Prozent auf 3956 Punkte.
"Das sind gute Nachrichten für die künftige Fed-Politik und zeigt, dass das, was die Fed gemacht hat, angemessen ist", sagte Mike Zigmont von Harvest Volatility Management. Damit sei das Risiko vom Tisch, dass die Fed die Zinsschraube zu stark anziehe und die Wirtschaft damit abwürge. Hatte vor der Veröffentlichung der Inflationsdaten nur die Hälfte der befragten Händler mit einer Zinserhöhung von 50 Basispunkten im Dezember gerechnet, stieg der Anteil danach auf über 80 Prozent.
Nach drei starken Börsentagen in Folge war der Dow am Vortag unter Druck geraten. Marktteilnehmer hatten die Verluste unter anderem auf die Ergebnisse der Zwischenwahlen in den USA zurückgeführt. Auch an diesem Donnerstag herrschte über die künftigen Machtverhältnisse im US-Kongress noch keine Klarheit.
Die stürmisch gefeierten Verbraucherpreisdaten aus dem Vormonat waren gut eine Stunde vor Handelsbeginn veröffentlicht worden. Konkret fiel die Teuerungsrate für Waren und Dienstleistungen auf 7,7 Prozent von 8,2 Prozent im September, wie das Arbeitsministerium in Washington mitteilte. Experten hatten lediglich mit 8,0 Prozent gerechnet.
Es war bereits der vierte Rückgang in Folge. Die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) stemmte sich zuletzt mit ungewöhnlich kräftigen Zinserhöhungen gegen den Preisauftrieb. Die Zahlen wurden schon seit Tagen mit viel Spannung erwartetet.
Die Fed hatte auf den letzten vier Sitzungen den Leitzins um jeweils 0,75 Prozentpunkte angehoben. Notenbankchef Jerome Powell hatte bereits auf der letzten Sitzung weniger starke Zinserhöhungen in Aussicht gestellt, wenn auch noch kein Ende der Maßnahmen.
Unter den Einzelwerten fielen Amazon besonders auf. Das Papier haussierte heute in einem ohnehin festen Marktumfeld um 12,18 Prozent auf 96,63 Dollar. Denn der Internet-Riese will Kosten sparen und stellt einem Zeitungsbericht zufolge unprofitable Sparten auf den Prüfstand. Zur Debatte stehe auch die Geräte-Sparte, zu der der Sprachassistent Alexa gehört, berichtete das "Wall Street Journal". Allein diese Sparte des weitverzweigten Konzerns habe zuletzt einen operativen Jahresverlust von mehr als fünf Milliarden Dollar gemacht.
Den Mitarbeitern einiger Bereiche habe Amazon empfohlen, sich nach Stellen anderswo im Unternehmen umzusehen. Amazon sei aber zuversichtlich, was die Zukunft von Alexa angehe. Die sprachgesteuerte Assistenzfunktion sei ein wichtiges Geschäft und Investitionsfeld für Amazon.
Einige der großen Tech-Konzerne in den USA bemühen sich zurzeit um Kostensenkungen und haben Stellenstreichungen angekündigt, zuletzt die Facebook-Mutter Meta. Auch Twitter hat nach der Übernahme durch Tesla-Chef Elon Musk massive Stellenstreichungen angekündigt.
Nach den im Vorfeld mit großer Spannung erwarteten Preisdaten aus den Vereinigten Staaten, kannten die Anleger am Nachmittag kein Halten mehr. Die unter den Erwartungen liegende Inflationsrate im Oktober sorgte für große Aufbruchstimmung, denn es könnte der Anfang vom Ende der aggressiven Zinserhöhungen der Notenbank Federal Reserve (Fed) im gegenwärtigen Zinszyklus sein.
Der DAX, der zuletzt mit genau dieser Hoffnung im Rücken seit Ende September zu einer Zwischenrally angesetzt und seitdem über 2000 Punkte zugelegt hat, setzte seinen Aufwärtstrend kraftvoll fort und überwand auch die Marke von 14.000 Punkten. Der deutsche Leitindex schloss letztlich bei 14.146 Punkten um 3,51 Prozent höher, das Tageshoch lag bei 14.157 Zählern.
"Die Richtung stimmt, der Rückgang bei der Gesamt- und Kernrate bleibt aber eine zähe Sache", sagte Bastian Hepperle, von Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank. "Läuft die Inflationsrate jedoch weiter nach unten, wird die US-Notenbank einen weniger scharfen Ton an den Tag legen und ihren Zinserhöhungsgang im Dezember verlangsamen. Der Leitzins-Gipfel dürfte im Frühjahr 2023 erreicht werden."
Auch der MDAX, der Index der mittelgroßen Werte, legte kräftig zu und übersprang sogar die Marke von 25.000 Punkten. Der Schlusskurs lag bei 25.270 Zählern, ein deutlicher Tagesgewinn von 4,08 Prozent.
Derweil erreichte hierzulande auch die Berichtssaison der Unternehmen einen weiteren Höhepunkt. Mit Merck, Continental, Allianz, RWE und der Telekom öffneten gleich fünf DAX-Mitglieder und zahlreiche Unternehmen aus der zweiten Reihe ihre Bücher.
Unter den Einzelwerten im DAX standen die Aktien des Onlinehändlers Zalando mit einem Plus von über 13 Prozent an der Indexspitze. Ansonsten gingen die Gewinne quer durch alle Branchen. Bis auf MTU, Airbus und die T-Aktie standen alle anderen DAX-Mitglieder im Plus.
Der DAX konnte mit dem heutigen Tagesgewinn auch seine 200-Tage-Linie (aktuell bei 13.609 Punkten), die er am Dienstag erstmals seit Januar wieder überwunden hatte, fürs Erste verteidigen. Der gleitende Durchschnitt der vergangenen 200 Handelstage gilt bei technischen Analysten als wichtiger Indikator für den längerfristigen Trend.
Am Devisenmarkt liegt der Euro im späten US-Handel weiter deutlich über die Parität zum Dollar und wird aktuell bei 1,0206 Dollar rund 1,9 Prozent höher gehandelt. Die Aussicht auf kleinere Zinsschritte der Fed schwächt den Dollar, der am Vormittag noch über der Parität stand. Die Europäische Zentralbank setzte den Referenzkurs noch auf 0,9954 (Mittwoch: 1,0039) Dollar fest.
Während in den USA der Zinsgipfel näher zu rücken scheint, ist davon in Europa noch nichts zu sehen, im Gegenteil. Die Europäische Zentralbank (EZB) muss im Kampf gegen den Inflationsschub aus Sicht mehrerer Währungshüter die Zinsen so weit anheben, dass die Konjunktur gebremst wird.
"Es gibt keine Zeit, um zu pausieren", sagte EZB-Direktorin Isabel Schnabel heute auf einer Veranstaltung der slowenischen Notenbank in Ljubljana. Die Entwicklung der Kerninflation, bei der schwankungsreiche Energie- und Lebensmittelpreise rausgerechnet werden, weise darauf hin, dass der Preisschub länger anhalten könnte.
"Wir werden die Zinsen weiter anheben müssen, wahrscheinlich in den restriktiven Bereich," sagte sie. Ihre EZB-Ratskollegen, Sloweniens Notenbankchef Bostjan Vasle, und der Notenbank-Gouverneur der Slowakei, Peter Kazimir, äußerten sich auf der Veranstaltung ähnlich.
Am Markt wird derzeit geschätzt, dass beim Einlagensatz das neutrale Zinsniveau, bei dem eine Volkswirtschaft weder gebremst noch angeheizt wird, zwischen 1,5 und 2,0 Prozent liegt. Die nächste Zinssitzung der EZB ist am 15. Dezember.
Die Ölpreise profitierten nach anfänglich wechselhaftem Handel doch noch vom schwächeren Dollar und legten zu. Allerdings bleibt die Sorge um die Stärke der chinesischen Wirtschaft, die immer wieder die Nachfrage nach dem schwarzen Gold dämpft. Vor allem die restriktive "Null-Covid-Strategie" der Führung in Peking lastet auf dem Markt. Am Abend wurden für ein Barrel (159 Liter) Öl der Nordseesorte Brent rund 1,3 Prozent mehr gezahlt.
Der Versicherungskonzern Allianz hat im abgelaufenen Quartal mehr verdient und steuert auf einen Rekordgewinn zu. Das operative Ergebnis werde in der oberen Hälfte der Zielspanne von 12,4 Milliarden und 14,4 Milliarden Euro liegen, teilte Deutschlands größter Versicherer gestern am späten Abend mit.
Ein anhaltend starkes Geschäft der US-Tochter T-Mobile und positive Wechselkurs-Effekte bescheren der Deutschen Telekom einen Gewinnsprung. Das bereinigte Netto-Ergebnis legte im dritten Quartal um 80 Prozent auf 2,4 Milliarden zu. Firmenchef Tim Höttges hob daraufhin die Jahresprognose erneut an.
Allerdings zündeten die guten Zahlen nicht, denn nach Händlerangaben war eine weitere Prognoseanhebung erwartet worden. Nachdem die T-Aktie zuletzt gut gelaufen war, gab sie heute gegen den Trend nach. Das Papier kommt als bester DAX-Wert des Jahres 2022 nach plus 21 Prozent vom höchsten Niveau seit 2001.
Der Autozulieferer Continental hat sein operatives Ergebnis trotz höherer Kosten überraschend deutlich gesteigert. Das bereinigte Ergebnis vor Steuern und Zinsen (Ebit) stieg im dritten Quartal im Vergleich zum Vorjahr um fast die Hälfte auf 604,5 Millionen Euro. Unter dem Strich fiel jedoch ein Verlust von 211 Millionen Euro an, weil Conti Abschreibungen auf Firmenwerte (Goodwill) verbuchte. Die Anleger griffen kräftig zu, die Aktie gehörte zu den größten Gewinnern im DAX.
Der Energiekonzern RWE hat in den ersten neun Monaten seinen Gewinn deutlich gesteigert und seine Prognose bestätigt. Den bereinigten Überschuss konnte RWE auf 2,1 Milliarden Euro fast verdoppeln. Der DAX-Konzern profitierte unter anderem von guten Geschäften mit Gas, Wasser und Biomasse sowie im Energiehandel.
Der Pharma- und Spezialchemiekonzern Merck KGaA hat trotz anziehender Kosten im vergangenen Quartal Umsatz und Ergebnis gesteigert - vor allem dank guter Geschäfte im Laborbereich und in der Pharmasparte. Nach Steuern verdiente Merck 926 Millionen Euro, nach 764 Millionen ein Jahr zuvor.
Im MDAX waren Delivery Hero mit einem Kursplus von rund 17 Prozent Index-Spitzenreiter. Die Zahlen des Essenslieferdienstes für das dritte Quartal bestätigten eine anstehende positive Wende, schrieb Analyst William Woods von Bernstein Research.
Auch die Aktie von Knorr-Bremse zog mächtig an und gewann über zehn Prozent. Der Lkw- und Zugbremsenhersteller hat im dritten Quartal zwar weiter Belastungen in China und Lieferschwierigkeiten zu spüren bekommen. Jedoch sorgte eine hohe Nachfrage in Europa und Nordamerika für Wachstum von Umsatz und Aufträgen.
Der Rüstungskonzern und Automobilzulieferer Rheinmetall sieht sich nach weiteren Zuwächsen im dritten Quartal auf Kurs zu seinen Jahreszielen. Im dritten Quartal legte das operative Ergebnis um 10,4 Prozent auf 117 Millionen Euro zu. Unter dem Strich blieben 86 Millionen Euro hängen, nach 77 Millionen vor einem Jahr.
Der Telekommunikationsanbieter 1&1 hat in den ersten neun Monaten operativ mehr verdient als erwartet. Das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) stieg um circa sieben Prozent auf 549 Millionen Euro, wie die United-Internet-Tochter mitteilte. Analysten hatten mit einem kleineren Plus gerechnet.
Der 1&1-Muttergesellschaft United Internet bereiten die neuen Kündigungsrechte weiter Sorgen. Automatisch verlängerte Verträge können mittlerweile nach Ablauf der Mindestlaufzeit bereits nach einem Monat und nicht erst nach einem Jahr aufgekündigt werden. Netto stieg die Zahl der kostenpflichtigen Kundenverträge im dritten Quartal daher nur um 430.000 auf 27,1 Millionen.
Deutschlands größte Reederei Hapag-Lloyd profitiert von immer noch höheren Frachtraten und hat ihren Gewinn in den ersten neun Monaten mehr als verdoppelt. Bei einem Umsatzsprung von fast 80 Prozent auf 26,7 Milliarden Euro stieg das Konzernergebnis auf 13,8 Milliarden Euro von 5,6 Milliarden im Vorjahr.
Der Wohnungskonzern LEG Immobilien hat seine Gewinnprognose für 2022 leicht gesenkt. Das Düsseldorfer Unternehmen präzisierte gestern Abend die Erwartung für das operative Ergebnis (FFO I) auf eine Bandbreite von 475 bis 485 Millionen Euro. Bisher waren 475 bis 490 Millionen Euro anvisiert. LEG-Aktien fielen gegen den Trend deutlich zurück und standen am MDAX-Ende.
Der Chipindustrie-Ausrüster ASML rechnet in den kommenden Jahren mit einem anhaltend profitablen Wachstum und hat ein weiteres großes Aktienrückkaufprogramm angekündigt. Es sollen eigene Anteile für bis zu zwölf Milliarden Euro erworben werden. Dies kündigte das EuroStoxx-50-Schwergewicht am Donnerstag in Veldhoven bei einer Investorenveranstaltung an.
Beim Umsatz peilt der Konzern 2030 bis zu 60 Milliarden Euro an. Das wäre fast dreimal so viel wie das Unternehmen für das laufende Jahr im Blick hat. Die Bruttomarge soll dabei weiter steigen. Die Aktie baute das Plus nach der Ankündigung kräftig aus. Sie gewann bis Handelsschluss knapp zehn Prozent. Mit einem Börsenwert von rund 220 Milliarden Euro ist das Unternehmen nach dem französischen Luxusgüterkonzern LVMH das zweitwertvollste Unternehmen der Eurozone.
Der Stahlkonzern ArcelorMittal hat empfindliche Rückgänge bei Umsatz und Gewinn hinnehmen müssen. Niedrigere Stahlpreise, deutlich höhere Kosten - insbesondere für Energie - sowie der Abbau von Lagerbeständen belasteten den Gewinn. Unter dem Strich blieb mit 993 Millionen nur ein Bruchteil der 4,6 Milliarden Dollar übrig, die ArcelorMittal im Vorjahreszeitraum erzielt hatte.