ESM-Entscheidung in Karlsruhe Eine Spur mehr Einfluss für den Bundestag
Was ändert sich mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes? Ist der Bundestag gestärkt worden? Kann der ESM seine Arbeit aufnehmen, und welche Fragen müssen noch geklärt werden? tagesschau.de beantwortet die wichtigsten Fragen rund um die Entscheidung aus Karlsruhe.
Es ist die von vielen erwartete "Ja, aber"-Entscheidung: Ja, Bundespräsident Gauck darf das Gesetz zum Fiskalpakt unterzeichnen; ja, der Bundestag darf den ESM ratifizieren – aber das Gericht hat der Bundesregierung zwei Bedingungen gestellt:
Zum einen muss der Bundestag zustimmen, sollte die deutsche Beteiligung die festgelegten 190 Milliarden Euro Haftungsgrenze überschreiten. Zum anderen darf die berufliche Schweigepflicht aller für den ESM tätigen Personen nicht so ausgelegt werden, dass sie den Bundestag und den Bundesrat nicht informieren dürften.
Was ändert sich mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes?
Juristisch ändert sich bei der Haftungsbeschränkung nicht viel: Sie ist bereits im ESM-Vertrag festgeschrieben. Denn Artikel 8 Absatz 5 regelt: "Die Haftung eines jeden ESM-Mitglieds bleibt unter allen Umständen auf seinen Anteil am genehmigten Stammkapital zum Ausgabekurs begrenzt."
Allerdings gibt es im Vertrag eine Hintertür: In Artikel 25 Absatz 2 heißt es: "Nimmt ein ESM-Mitglied die (…) erforderliche Einzahlung nicht vor, so ergeht an alle ESM-Mitglieder ein revidierter erhöhter Kapitalabruf, um sicherzustellen, dass der ESM die Kapitaleinzahlung in voller Höhe erhält."
Verfassungsgericht schließt Hintertür
Das bedeutet: Wenn ein Land zahlungsunfähig würde, müsste dessen Anteil auf die anderen Länder verteilt werden. Diese Lücke hat das Bundesverfassungsgericht unmissverständlich geschlossen. In einem solchen Falle muss der Bundestag zustimmen.
Darüber hinaus erteilte das Bundesverfassungsgericht einer möglichen Banklizenz für den ESM eine deutliche Absage. Da Staatsanleihen – auch Staatsanleihen von Krisenstaaten - als Sicherheit ausreichen, um von der EZB neues Geld zu erhalten, hatten Kritiker befürchtet, dass der ESM auf diesem Umweg – er kauft Staatsanleihen von Schuldenstaaten und hinterlegt diese bei der EZB als Sicherheit – seinen Finanzrahmen aufstocken konnte.
Dazu erklärten nun die Bundesverfassungsrichter: "Da eine Aufnahme von Kapital durch den ESM bei der Europäischen Zentralbank allein oder in Verbindung mit der Hinterlegung von Staatsanleihen mit dem (…) Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung nicht vereinbar wäre, kann der Vertrag nur so verstanden werden, dass er derartige Anleiheoptionen nicht zulässt."
Wie können die Auflagen in der Praxis umgesetzt werden?
Das geht nicht eindeutig aus dem Urteil hervor. Möglich sind zwei Varianten: Entweder wird bei der Ratifizierung ein sogenannter "Völkerrechtlicher Vorbehalt", ein verbindlicher Nachtrag zum Vertrag, hinterlegt. Dafür muss der ESM-Vertrag selbst nicht geändert werden, dem Vorbehalt müssen aber die anderen Vertragsstaaten zustimmen.
Die andere Möglichkeit ist eine einseitige Erklärung der Bundesrepublik, dass eine Erhöhung des Haftungsrahmens vom Bundestag abgesegnet werden muss. Einer solchen Erklärung müssen die anderen Vertragsstaaten nicht zustimmen, sie ist aber auch nicht so verbindlich, wie ein Völkerrechtlicher Vorbehalt. Welche der beiden Varianten umgesetzt wird, entscheidet der Bundestag.
Kann der ESM nun seine Arbeit aufnehmen?
Der Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker hofft, dass der ESM am 8. Oktober diesen Jahres seine Arbeit aufnehmen kann, und auch Bundesfinanzminister Schäuble sagte, er rechne damit, dass dies innerhalb weniger Wochen möglich sei.
Der ESM kann seine Arbeit erst aufnehmen, wenn die Ratifikationsurkunde unterzeichnet ist. Die Hauptsacheverhandlung beim Bundesverfassungsgericht muss dafür aber nicht abgewartet werden. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Voßkuhle, wies darauf hin, wegen der besonderen politischen Bedeutung habe das Gericht eine Ausnahme gemacht und die Klage schon vor der Hauptverhandlung einer sogenannten „summarischen Prüfung“ unterzogen. Mit einer wesentlichen inhaltlichen Wendung im Hauptverfahren ist deshalb nicht zu rechnen.
Welche offenen Fragen werden im Hauptverfahren noch behandelt werden?
Die teilweise umstrittene Entscheidung des EZB-Rates, Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt zu kaufen, hat das Bundesverfassungsgericht noch nicht abschließend beurteilt. Dies wird eines der Themen im Hauptsacheverfahren sein.
Zudem halten Verfassungsrechtler für möglich, dass das Verfassungsgericht dem Bundestag noch Auflagen für eine künftige Erhöhung des Haftungsrahmens erteilt. Beispielsweise könnte das Verfassungsgericht eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag zur Bedingung machen.
Hat das Bundesverfassungsgericht also die Rechte des Bundestages gestärkt?
Es hat erklärt, dass der ESM-Mitarbeiter dem Bundestag gegenüber informationspflichtig ist, das ist eine eindeutige Stärkung. Bei der Haftungsbeschränlung ändert sich weniger - auch, wenn die Kläger den Vorbehalt erstritten haben. Denn auch in der Vergangenheit musste der Bundestag jeder einzelnen Erhöhung der Europäischen Rettungsmaßnahmen zustimmen – was er jeweils mit großer Mehrheit getan hat. Das Urteil hat somit mehr politische als juristische Relevanz.