Kolumne Euroschau Draghi lässt die Peitsche knallen
Der EZB-Leitzins ist niedriger als je zuvor. Davon profitieren nur Spekulanten. Denn die Banken horten das billige Geld lieber, als mehr Kredite zu vergeben. Wenn EZB-Chef Draghi nun über Negativ-Zinsen sinniert, setzt er auf Psychologie, meint Klaus-Rainer Jackisch.
Von Klaus-Rainer Jackisch, HR
Mario Draghi ist ein ruhiger, zeitweise kühl wirkender und wohl überlegender Taktiker. So schnell bringt den Italiener nichts aus der Ruhe; fast nichts auf die Palme. Doch als der Mittsechziger kürzlich frische Daten zum Kreditgeschäft in den Händen hielt, platzte ihm der Kragen. Die heftig umstrittene Leitzinssenkung auf ein Rekordtief Anfang November hatte nichts bewirkt. Wie auch die Zinssenkungen zuvor. In Südeuropa kommt die Kreditvergabe nicht in Gang. Denn Banken sitzen auf ihrem Geld und parken es bei der Zentralbank. So kommt die Wirtschaft des sonnigen Südens nicht in Schwung.
Nur die Spekulanten jubeln
Draghi ist sauer. Immer wieder musste er seine Zinsstrategie verteidigen. Immer deutlicher wird, dass sie nicht funktioniert. Die einzigen, die darüber jubeln, sind Spekulanten. Unternehmen, Verbraucher und Sparer schauen in die Röhre. Sie zahlen die Zeche des Schampus, den Börsianer knallen lassen.
Wenn das Zuckerbrot nicht helfe, müsse eben die Peitsche raus, überlegen die Herren des Zentralbankrats nun. Die Peitsche wird schon kräftig geschwungen, auch wenn sie noch nicht schmerzhaft niedergesaust kam. Negativ-Zins heißt die böse Drohung, mit der man Banken einheizen will.
Negativ-Zins heißt: Kreditinstitute bekommen für ihr geparktes Geld bei der Zentralbank keine Zinsen mehr, sondern müssen ihrerseits Zinsen zahlen. So etwas gab es im Euroraum noch nie. Bei der vergangenen Ratssitzung wurde bereits debattiert, den Einlagezins für Geschäftsbanken von derzeit null Prozent auf minus 0,1 Prozent zu senken. Die Überlegung: Wenn Banken für ihr geparktes Geld Strafe zahlen müssen, sind sie eher bereit, es als Kredite an Unternehmen zu geben.
Banken könnten Kosten weitergeben
Soweit die Theorie. Ob sie funktioniert, weiß niemand. Für Verbraucher besagt die Entwicklung nichts Gutes. Banken könnten die Kosten des Negativ-Zinses an ihre Kunden weitergeben - etwa durch höhere Gebühren oder höhere Dispo-Zinsen. Dann würden Kredite für Privatleute sogar noch teurer. Das genaue Gegenteil des angestrebten Ziels wäre die Folge.
Möglicherweise geben Banken die Strafzinsen auf Girokonten oder Tagesgeld weiter. Minus 0,5 Prozent Zinsen etwa auf Erspartes wäre ein klares Zeichen: Wir wollen Euer Geld nicht! Wir haben selbst genug davon! Im schlimmsten Fall würden Bürgerinnen und Bürger ihr Geld abheben, es unters Kopfkissen legen oder in den heimischen Mini-Tresor schließen. Das Wirtschaftssystem wäre endgültig auf den Kopf gestellt. Die Kriminalität würde steigen. Zart gekeimtes Vertrauen in die Gemeinschaftswährung wäre wieder dahin.
Beweis für Wirtschaftsimpulse fehlt
Andere Länder außerhalb der Eurozone haben Erfahrungen mit Negativ-Zinsen gemacht. Sie sind nicht gerade ermutigend. In der Schweiz und in Dänemark wurden vor ein paar Jahren negative Einlagezinsen für Bankkunden eingeführt. Auf der Höhe der Eurokrise wollten diese Länder den massiven Zufluss von Geld aus dem Euroraum verhindern. Unerwünschte Aufwertung von Franken und Krone wäre die Folge gewesen. Teilweise ist die Abschreckung gelungen. Ein Beweis, dass Negativ-Zinsen auch die Wirtschaft ankurbeln, steht bislang noch aus.
Allein die Debatte zeigt: Die krisengeschüttelte Eurozone ist weit entfernt von Normalität. Die Zentralbank eilt von Notprogramm zu Notprogramm. Der Währungsraum wird quasi mit Klebeband zusammengehalten, in der Hoffnung, es werde schon irgendwie gut gehen. Es wird so getan, als ob nichts wäre, weil es gerade uns Deutschen relativ gut geht.
Von vernünftigem Zinsniveau weit entfernt
Notenbank und Politiker müssen endlich die Weichen zu geordneten Verhältnissen in der Eurozone stellen. Dazu gehört auch ein vernünftiges Zinsniveau. Davon sind wir weiter entfernt als je zuvor.
Zum Glück gibt es auch in der EZB große Skeptiker und Kritiker des Negativ-Zinses. Viele wollen das Experiment mit ungewissem Ausgang nicht eingehen und warnen vor unkalkulierbaren Risiken. So ruderte auch Draghi vor ein paar Tagen zurück. Überlegungen zum Negativ-Zinsen würden nicht zwangsläufig dessen Einführung bedeuten, sagte er in Berlin. Draghi hofft offenbar auf den psychologischen Effekt: Manchmal muss man die Peitsche eben nicht einsetzen. Es reicht auch, sie zu schwingen.