Schulz kritisiert Kompromiss bei EU-Haushaltsgipfel Parlament empört über "Täuschungsmanöver"
Der in der Nacht hart ausgehandelte Kompromiss im EU-Haushaltsgipfel steht auf sandigem Boden: Denn im EU-Parlament werde der Vorschlag der Regierungschefs keine Mehrheit finden, glaubt Parlamentspräsident Schulz. Er sprach von einem "Defizithaushalt" - und sieht die Grenze zum Täuschungsmanöver überschritten. Die Regierungschefs haben ihre Beratungen am Nachmittag wieder aufgenommen.
Von Martin Bohne, MDR-Hörfunkstudio Brüssel
Für Parlamentspräsident Schulz haben die Regierungschefs beim EU-Haushaltsgipfel ganz tief in die Trickkiste gegriffen, um den Budget-Kompromiss hinzubekommen: 960 Milliarden Euro für die sieben Jahre von 2014 bis 2020. Das ist die Untergrenze dessen, was Frankreich und die großen Nutznießer der europäischen Regionalfördertöpfe gerade noch akzeptieren wollten.
Diese Summe bezieht sich aber auf die sogenannten Verpflichtungsermächtigungen. Das ist eine Art theoretische Obergrenze der Mittel, die die EU zusagen darf. Entscheidend ist jedoch die Höhe der Zahlungsermächtigungen. Das sind die Zahlungen, die tatsächlich geleistet werden sollen. Und da hat sich der Gipfel nur auf 908 Milliarden geeinigt - und ist damit Deutschland, Großbritannien und anderen Nettozahlern weit entgegengekommen. Das ist sogar weniger als in der laufenden Finanzperiode.
Eine Lücke von 52 Milliarden
960 und 908 Milliarden - da klafft eine Lücke von 52 Milliarden. "Wir sehen ja, die EU engagiert sich für viel" sagt Martin Schulz. "Das heißt vielmehr: Die Mitgliedsstaaten engagieren sich für viel und wollen anschließend nicht zahlen."
Der Unterschied zwischen Verpflichtungen und Zahlungen ist eine Besonderheit des europäischen Haushaltsrechts. Das hängt damit zusammen, dass etliche Gelder für EU-geförderte Projekte oder die Reserven für Nothilfen letztlich nicht oder erst später abgerufen werden.
Aber bei einer so großen Differenz ist für Parlamentspräsident Schulz die Grenze zum Täuschungsmanöver überschritten: "Das nennt man in der allgemeinen Haushaltssprache ein Defizit", sagt Schulz. "Wenn wir also mit der Methodik weitermachen, die Verpflichtungen höher anzusetzen als die tatsächlichen Zahlungen, dann führen wir die Europäische Union in eine Defizitunion."
EU schiebt immer größeren Schuldenberg vor sich her
Ende letzten Jahres war die EU deshalb schon mal zahlungsunfähig. Neun Milliarden Euro an eingereichten Rechnungen konnten nicht beglichen werden. Auch das Studentenaustauschprogramm Erasmus kam zwischenzeitlich ins Stocken. Und auch in diesem Jahr wird man um einen Nachtragshaushalt in zweistelliger Milliardenhöhe nicht herumkommen. Insgesamt schiebt die Union, so Martin Schulz, einen immer größeren Schuldenberg vor sich her: "Es ist aber verboten, in Europa Schulden zu machen. Der Artikel 323 des EU-Vertrages ist eindeutig." Mit anderen Worten: Die Regierungschefs haben einen illegales Budget beschlossen.
Auch sonst lässt der SPD-Politiker kein gutes Haar am Gipfelkompromiss: Während die Gelder für die Bauern und die Regionen nur wenig gekürzt wurden, traf der Rotstift massiv die Zukunftsinvestitionen - Forschung und grenzüberschreitende Energie- und Breitbandnetze.
"Von Aufbruch kann keine Rede sein"
"Der jetzige Vorschlag ist der rückwärtsgewandteste Entwurf, den wir jemals für einen mehrjährigen Haushalt hatten", sagt Schulz. "Von einem Aufbruch, von einer Innovation kann keine Rede sein. Das alles führt dazu, dass das Europäische Parlament sehr skeptisch ist."
Und das können die Regierungschefs nicht mehr so einfach ignorieren. Erstmals muss das EU-Parlament dem Finanzrahmen zustimmen. Und Schulz ist sich sicher, dass sich im Parlament keine Mehrheit dafür finden wird.
Mit dem Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) legt die EU Obergrenzen und Schwerpunkte ihrer Haushalte fest. Für einen Zeitraum von sieben Jahren werden unter anderem die maximalen Gesamtausgaben und die Verteilung auf wichtige Aufgabenbereiche vereinbart. Innerhalb dieser Vorgaben müssen sich später die jährlichen Etats bewegen.
Wie der MFR zustande kommt, ist im Vertrag von Lissabon festgelegt. Es handelt sich im Kern um eine Verordnung. Den Vorschlag dafür legt die EU-Kommission vor. Im nächsten Schritt verhandeln die Regierungen der EU-Staaten über einen Kompromiss, sie können die MFR-Verordnung nur einstimmig beschließen. Zuvor muss aber auch das Europaparlament zustimmen. Wegen des drohenden Vetos beeinflussen die Änderungswünsche der Parlamentarier die Beratungen der Regierungen der EU-Staaten. Kommt es nicht rechtzeitig zu einer Einigung, gelten die Obergrenzen des letzten Jahres aus dem vorangegangenen MFR zunächst weiter.