Vorläufige Erntebilanz Durchwachsen wie das Wetter
Nach einem nassen Frühjahr - gefolgt von Trockenheit und erneut viel Regen - erwartet der Deutsche Bauernverband eine kleinere Getreideernte als 2022. Doch es gibt auch Zuversicht, wie ein Fall aus Brandenburg zeigt.
Stefan Hollstein drückt aus einer Ähre ein paar Roggenkörner in eine Blechschale und geht zu seinem Pick-up. Der steht am Feldrand, auf der Ladefläche der Feuchtemesser für das Getreide. 13 Prozent zeigt das Display. Hollstein ist zufrieden. Alles unter 14,5 Prozent Feuchtigkeit sei gut, da lasse sich der Roggen trocken einlagern, sagt der Leiter Pflanzenproduktion der Bäuerlichen Produktionsgemeinschaft Beiersdorf-Freudenberg, kurz BPG.
Neben Roggen baut sein Betrieb auch Weizen, Gerste, Raps, Erbsen und Sonnenblumen an - auf insgesamt 2.000 Hektar des eher kargen Brandenburger Bodens rund 40 Kilometer nordöstlich von Berlin. Die verbleibenden 25 Hektar Roggen der diesjährigen Ernte lässt Hollstein an diesem Nachmittag ernten. Zwei Mähdrescher sind im Einsatz und ziehen lange Staubfahnen hinter sich her.
Dass es im August hier überwiegend trocken geblieben ist, hat Hollstein sehr erleichtert. So konnte er für die BPG eine gute Ernte einfahren - sowohl die Menge als auch die Qualität von Roggen und Weizen betreffend. Sieben Tonnen pro Hektar, das ist zufriedenstellend für Brandenburger Verhältnisse. Und die Körner sind gut genug zum Backen von Brot und Brötchen. Anfang Juni habe das noch ganz anders ausgesehen, so Hollstein.
Stefan Hollstein zeigt sich unterm Strich zufrieden mit seiner Ernte - trotz zeitlichen Verzugs und einiger Abstriche bei der Qualität.
"Man wusste gar nicht mehr, wann man rausfahren sollte"
Nach einem zu nassen Frühjahr und dann sechs Wochen Trockenheit wollte es dann im Juli praktisch nicht mehr aufhören zu regnen. Da habe er schon eine Katastrophenernte befürchtet. "Es war tatsächlich so, dass man gar nicht mehr wusste, wann man rausfahren sollte", erzählt Hollstein. "Kaum waren zwei Hektar gedroschen, da kam schon der nächste Schauer."
Zwei Wochen Verzögerung habe ihn der Regen im Juli am Ende gekostet - und ein paar Abstriche an der Qualität des Getreides. Größere Verluste erwartet der Landwirt bei den Sonnenblumen - die baut er an, um daraus Vogelfutter zu produzieren. Hier hat die anhaltende Feuchtigkeit zu einem Pilzbefall geführt, weshalb Hollstein mit rund einem Fünftel weniger Ertrag rechnet. Das wäre erheblich.
Doch unterm Strich könne er zufrieden sein mit der Ernte. Da hätten seine Kollegen in Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen oder Schleswig-Hollstein ganz andere Probleme. Dort tauge das Getreide oft gerade mal noch als Futter für die Tiere, so Hollstein. Eine Einschätzung, die sich auch in der vorläufigen Erntebilanz des Deutschen Bauernverbandes (DBV) widerspiegelt.
Bauernverband zielt auf 40-Tonnen-Marke
Von einer unterdurchschnittlichen Getreideernte spricht der Präsident des Verbands, Joachim Rukwied - mit deutlichen Mengen- und Qualitätsverlusten aufgrund der schwierigen Wetterbedingungen. In diesem Jahr habe es lange Tiefdruckperioden mit viel Regen ebenso gegeben wie lange Hochdruckphasen mit Trockenheit. Das sei auch ein Ergebnis des Klimawandels, der auch in der Landwirtschaft spürbar sei, so Rukwied.
Was die Erntemengen beim Getreide betrifft, so sei es noch fraglich, ob die 40-Millionen-Tonnen-Marke erreicht werden könne. Im vergangenen Jahr sei mit 43 Millionen Tonnen Getreide deutlich mehr eingefahren worden. Ausnahmen gebe es bei der Wintergerste - die konnte vor der Regenperiode eingebracht werden, hier ist die Erntemenge größer als im Vorjahr. Von den rund 20 Millionen Tonnen Weizen tauge ein erheblicher Teil nur als Futter, zu groß seien die Qualitätsverluste durch die Niederschläge zur falschen Zeit gewesen.
Besser als in Deutschland sehen die Ernteergebnisse laut Rukwied in anderen Ländern der Europäischen Union aus. Frankreich zum Beispiel habe eine ordentliche Getreideernte eingebracht, Österreich eine überdurchschnittliche. Spanien habe allerdings unter der Trockenheit zu leiden gehabt. Insgesamt sei der europäische Markt gut versorgt - auch durch die ukrainischen Importe.
Die Folgen des Ukraine-Krieges sind weiter spürbar
Doch dieses Getreide werde vor allem in den Entwicklungs- und Schwellenländern in Afrika, dem Nahen Osten und in Asien benötigt. Hier müsse die Politik dafür sorgen, dass der Seeweg wieder in Gang komme und Russland Getreide nicht weiter als politische Waffe benutzen könne, fordert Rukwied.
Unter anderem durch die insgesamt angespannte Lage auf dem Weltmarkt seien die Marktpreise beim Getreide unter Druck. "Wenn ich den Vergleich ziehe, zum Vorjahr nach der Ernte, da hat Brotweizen einen Ertrag von 310 bis 350 Euro für die Tonne erzielen können. Momentan erhält der Landwirt so etwa 220 bis 230 Euro, also ein markanter Preiseinbruch." So skizziert der DBV-Präsident die Lage. Das zusammen mit den Ernteverlusten belaste die Liquidität vieler Betriebe.
Den Folgen des Klimawandels will Bauernpräsident Rukwied unter anderem durch die Züchtung von Pflanzen entgegenwirken, die vor allem extremen Trockenperioden - die häufiger vorkommen würden als Niederschlagsperioden - besser widerstehen können. Hier müsse die EU baldmöglichst Vorgaben dahingehend verändern, dass entsprechende Züchtungstechniken eingesetzt werden können.
Hoffnung auf gute Herbsternte bei Obst, Gemüse und Wein
Wichtig sei es für Rukwied auch, dass die EU-Düngemittelverordnung nachgebessert werde, damit eine bedarfsgerechte Anwendung möglich werde. "In manchen Gebieten dürfen wir gar nicht mehr so düngen, wie die Pflanze es braucht, da treten dann Mängel bei Qualität und Menge auf." Hier habe der Regen den Pflanzen gutgetan, sagt der DBV-Präsident auf einer Pressekonferenz in Berlin.
Ob bei Kartoffeln, Gemüse oder Kichererbsen - selbst bei den Äpfeln, die im Frühjahr ein paar Frostschäden verkraften mussten, sehe es nach einem ordentlichen Ergebnis aus. Auch sei, was Menge und Qualität betrifft, ein gutes Weinjahr zu erwarten.
Hoffen auf steigende Preise
Der Brandenburger Landwirt Hollstein steht vor einer Lagerhalle, 600 Tonnen Weizen liegen hier. Verkauft hat die BPG noch nichts davon - sie hoffen noch auf steigende Preise, jenseits der jetzt erzielbaren 220 oder 230 Euro je Tonne. Jeder Euro zählt in diesen Zeiten.
Wegen der hohen Energiepreise haben sich nicht nur Strom und Diesel, sondern vor allem auch die Düngemittel extrem verteuert - Kosten, die kompensiert werden müssen und den Überschuss schmälern. Den würde Hollstein lieber investieren: zum Beispiel in die Ernte des nächsten Jahres.