Erneuerbare Energien Neuer Schub für Windkraft an Land?
Der Ausbau der Windenergie lief zuletzt schleppend. 2022 gab es bei neuen Onshore-Anlagen immerhin ein leichtes Plus. Doch die längerfristigen Ziele sind weit entfernt. Die Branche hofft auf einen Neustart.
Nach jahrelanger Flaute hoffen Branche und Politik in diesem Jahr auf eine Trendwende beim Ausbau der Windräder in Deutschland. "2023 kann für die Windenergie das Jahr des Aufbruchs werden", sagte der Präsident des Bundesverbands WindEnergie (BWE), Hermann Albers, zur Wochenmitte auf einer Pressekonferenz.
Auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz erhofft sich einen Schub. Zum Jahreswechsel hätten sich die Rahmenbedingungen für Windenergieanlagen noch einmal deutlich verbessert, so eine Sprecherin gegenüber tagesschau.de. Das trage zu einem stärkeren Zubau und beschleunigten Verfahren bei.
Kurve zeigte seit 2017 deutlich nach unten
Der Ausbau von Ökostrom - etwa aus Windkraft - gilt als einer der Schlüssel bei der Energiewende und auch beim Bestreben Deutschlands, weniger abhängig von Energieimporten zu werden. Zuletzt lief die Entwicklung allerdings schleppend. 2016 und 2017 war die Zahl der neuen Windkraftanlagen an Land ("Onshore") noch um mehr als 1300 pro Jahr gewachsen, ehe sie stetig abnahm. 2021 wurden lediglich 233 Windräder installiert. Nun befindet sich Deutschland laut Bundesregierung jedoch wieder im Aufwärtstrend.
2022 wurden laut Ministerium an Land Anlagen mit einer Kapazität von 2,3 Gigawatt (GW) installiert. Damit liege die ausgebaute Leistung knapp 24 Prozent über dem Vorjahr. Einerseits ist die durchschnittliche Nettoleistung der einzelnen neuen Windanlagen den Daten zufolge von vier auf 4,4 Megawatt gestiegen. Andererseits habe auch die Zahl der Windkraftanlagen nach Abzug der zurückgebauten alten Anlagen netto um 306 zugenommen.
Dies entspricht allerdings gerade einmal rund einem Prozent sämtlicher Onshore-Windkraftanlagen in Deutschland. Für den Branchenverband BWE bleiben die Zahlen deswegen auch "im fünften Jahr in Folge ernüchternd". Der Zubau von neuen Anlagen an Land sei weiterhin zu gering, meint auch Dennis Rendschmidt, Geschäftsführer von VDMA Power Systems, einem Fachverband des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau.
Kapazität soll sich bis 2030 verdoppeln
Bereits im Dezember hatte das Umweltbundesamt argumentiert, dass zwar die Ausbauziele für 2022 erreicht worden seien. Allerdings handele es sich nicht um einen großen Erfolg, weil die Zwischenschritte nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz "eher mäßig ambitioniert" seien. Denn ob die längerfristigen Ziele in Deutschland mit diesem Tempo erreicht werden können, scheint weiter fraglich.
Mit der im Juli 2022 beschlossenen Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) hat die Bundesregierung gesetzlich verankert, dass die Ausbauraten der Onshore-Anlagen pro Jahr auf das Niveau einer Leistung von bis zu zehn Gigawatt (GW) steigen sollen. Im Jahr 2030 soll an Land schließlich eine Kapazität von rund 115 GW in Deutschland installiert sein. Zum Vergleich: Insgesamt gab es dem BMWK zufolge Ende 2022 rund 29.000 Windkraftanlagen mit einer installierten Leistung von etwa 58 GW.
Der Vorsitzende der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch, sprach daher jüngst von einem ein "Windkraftausbau im Schneckentempo". "Die Ampel stagniert auf Groko-Niveau", sagte er dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland". "Die Worte vom 'schnelleren Ausbau erneuerbarer Energien' sind bisher eine Floskel."
Neue gesetzliche Regeln in diesem Jahr
Das soll sich ab diesem Jahr ändern. Um die Lücke zwischen Plan und Wirklichkeit zu schließen, hat die Ampel-Koalition im Sommer neben der EEG-Novelle auch das "Wind-an-Land"-Gesetz auf den Weg gebracht. Darin ist etwa der Grundsatz enthalten, dass erneuerbare Energien künftig im überragenden öffentlichen Interesse liegen und der öffentlichen Sicherheit dienen. "Damit haben sie bei Abwägungsentscheidungen künftig Vorrang vor anderen Interessen", betont das BMWK.
Neben Änderungen im Baugesetzbuch und bei den Abständen zur Funknavigation sollen zudem neue Regeln für den Artenschutz, die Konflikte mit Naturschützern entschärfen könnten, zu schnelleren und rechtssicheren Planungs- und Genehmigungsverfahren beitragen. Dazu kommt eine Erhöhung der Förderung angesichts der Inflation und gestiegenen Zinsen um bis zu 25 Prozent. Nachdem früher jedes Unternehmen Windkraftanlagen bauen konnte und eine feste Einspeisevergütung dafür bekam, wurden 2017 Ausschreibungen eingeführt. Wer die geringste Förderung verlangt, bekommt den Zuschlag.
Für die Subventionen wird darüber hinaus eine Höchstgrenze festgelegt, die 2023 um ein Viertel höher liegen kann als im Vorjahr. 2023 schreibe der Staat eine Rekordmenge von Projekten mit fast 13 Gigawatt aus, hieß es vom BWE. Das könnte sich ab 2024 in deutlich höheren Zubau-Zahlen niederschlagen. Für dieses Jahr prognostiziert die Branche eine Neuinstallation zwischen 2,7 und 3,2 Gigawatt Leistung an Land - was also nur leicht über Ausbau im Vorjahr läge.
"Umsetzung im LNG-Tempo ist notwendig"
Um die Geschwindigkeit zu erhöhen, müssten die Bundesländer von den neuen Möglichkeiten bei der Genehmigung Gebrauch machen, fordert Verbandspräsident Albers. "Umsetzung im LNG-Tempo ist notwendig", sagte er mit Blick auf den schnellen Bau von Flüssigerdgas-Terminals. Im Schnitt dauere eine Genehmigung für Windräder immer noch zwei Jahre. "Die Situation darf sich nicht weiter verschärfen. Sie muss sich um das Vierfache verbessern."
Gleichzeitig verwies Albers auf die Notwendigkeit, mehr Flächen für neue Anlagen bereitzustellen. Das gilt unter Experten als wichtigster Punkt beim Ausbau der Windkraft. "Der größte Hemmschuh sind zu wenig verfügbare Flächen, die für Windenergie ausgewiesen werden", sagte Andreas Löschel, Professor für Umwelt- und Ressourcenökonomik sowie Nachhaltigkeit an der Ruhr-Universität Bochum, Ende September im Gespräch mit tagesschau.de.
So waren im September bundesweit 0,8 Prozent der Landesfläche für Windenergie an Land ausgewiesen, allerdings nur 0,5 Prozent tatsächlich verfügbar. "Besonders der Süden muss endlich liefern und darf sich nicht länger aus der Verantwortung stehlen", forderte Albers. Vor allem im flächenmäßig größten Bundesland Bayern werden bislang wenig Windräder gebaut. Dort kam von Januar bis November 2022 laut Bundesnetzagentur lediglich eine Leistung von 25,1 Megawatt (MW) hinzu. Im zweitgrößten Bundesland Niedersachsen waren es im gleichen Zeitraum 350 MW.
Abstandsregel in Bayern bremst Ausbau
Dabei spiele auch der Widerstand vor Ort eine Rolle, sagte jüngst Volker Quaschning, Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Berlin: "Wir sehen, dass einzelne Bundesländer nicht mitziehen". In Bayern gebe es bremsende Vorgaben wie die sogennante "10H-Regel", wonach beim Bau von Windkraftanlagen ein Mindestabstand vom Zehnfachen ihrer Höhe zu Wohngebäuden eingehalten werden muss.
Durch das "Wind-an-Land"-Gesetz sind die Bundesländer nun aber verpflichtet, ausreichende Flächen für den Ausbau der Windenergie an Land zur Verfügung zu stellen. Halten sie diese nicht ein, entfällt ihre landesspezifische Abstandsregel. Der Bundesregierung erwartet, dass die neuen Rahmenbedingungen die Windkraft voranbringen. Zwar müssten die neuen Gesetze erst noch wirken, doch mittelfristig würden sie zu einem beschleunigten Ausbau führen, sagte die Sprecherin des Wirtschaftsministeriums.
BWE-Präsident Albers zeigte sich allerdings skeptisch, dass die kompletten Projekte mit 13 Gigawatt Leistung schon in diesem Jahr einen Zuschlag erhalten. Das Ziel müsse zehn Gigawatt sein. "Es helfen nur genehmigte Projekte und Aufträge." Wichtig sei außerdem die Umrüstung alter Windparks auf moderne Windräder ohne neue Genehmigung.