Umstieg auf Elektromobilität Wie viele Ladesäulen braucht Deutschland?
Je nach Region sind die Unterschiede bei der öffentlichen Ladeinfrastruktur noch immer groß. Die Automobil-Branche mahnt ein höheres Ausbautempo an. Mancher Experte hingegen lenkt den Blick lieber auf private Steckdosen.
Wenn Rainer Kling durch die Straßen in seinem Heimatort fährt, dann entdeckt er quasi an jeder Ecke eine Ladesäule. "Da steht ein Auto dran, dann haben Sie hier eine. Und wenn wir um die Kurve rumfahren, ist hier auch noch eine", zeigt Kling aus seinem roten Renault heraus. Der Rentner aus dem hessischen Schmitten bezieht sich allerdings nicht auf öffentliche, sondern auf private Ladestationen, die sogenannten Wallboxen, die sich jeder installieren lassen kann. "Hier in Schmitten ist es sicherlich so, dass die heimische Wallbox entscheidend ist", sagt Kling.
Seine Beobachtung aus dem Speckgürtel von Frankfurt am Main lässt sich auf ganz Deutschland übertragen: Viele Fahrer von Elektroautos verfügen inzwischen über eine eigene Ladestation zu Hause. Das ist nicht verwunderlich, denn die Bundesregierung hatte über die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) solche Wallboxen an Wohngebäuden seit Herbst 2020 finanziell stark gefördert, mit bis zu 900 Euro pro Stück. Inzwischen ist die Förderung ausgelaufen.
Boom von privaten Wallboxen
Laut Statistik der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur wurden bis dato exakt 688.562 der geförderten Ladestationen in Betrieb genommen. Weitere 285.887 Wallboxen sind noch in Planung. Doch nicht nur Privatpersonen kamen in den Genuss staatlicher Gelder. Die KfW legte auch für Pkw-Flotten von Kommunen und Unternehmen ein Förderprogramm auf. Rechnet man alles zusammen - inklusive einer unbekannten Zahl nicht-geförderter Wallboxen -, kommt man wahrscheinlich auf mehr als eine Million privater und gewerblich genutzter Ladestationen für Elektroautos in Deutschland.
Heißt: Auf ein reines E-Auto in Deutschland kommt derzeit mutmaßlich ein Ladepunkt. Denn das Kraftfahrtbundesamt hat die Zahl der in Deutschland zugelassenen Elektroautos zum Stichtag 1. Januar 2023 mit 1,01 Millionen angegeben. Hinzu kommen noch knapp 865.000 Plug-in-Hybride.
Diskussion über öffentliche Ladeinfrastruktur
In der öffentlichen Diskussion allerdings scheinen die privaten Wallboxen oft nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. In seinem Ladesäulen-Ranking zum Beispiel konzentriert sich der Automobilverband VDA nur auf die öffentliche Infrastruktur. Ende April veröffentlichte der Verband seine neue Jahresauswertung. Fazit von VDA-Präsidentin Hildegard Müller: Der Ausbau der Ladeinfrastruktur hinke nach wie vor hinterher. "Deutschland braucht nun endlich mehr Tempo und mehr Entschlossenheit beim Ausbau", so Müller.
Die Statistik der Bundesnetzagentur, die der VDA detailliert pro Region auswertet, verzeichnet zum Jahresbeginn 80.541 öffentliche Ladesäulen. Im Durchschnitt teilen sich rund 23 Elektroautos - reine E-Autos sowie Plug-in-Hybride - einen öffentlichen Ladepunkt. Die Unterschiede innerhalb Deutschlands sind allerdings enorm: Während in der Stadt Emden auf eine öffentliche Ladesäule 5,9 E-Autos kommen, müssen in Offenbach 116,9 E-Autos um einen Ladepunkt in der Stadt kämpfen.
Ausbau-Ziel der Bundesregierung in Gefahr
Im Interview mit dem Hessischen Rundfunk erinnert VDA-Präsidentin Müller an das Ziel der Bundesregierung: Bis 2030 sollen 15 Millionen E-Autos auf Deutschlands Straßen fahren und eine Million öffentliche Ladesäulen verfügbar sein. "Ich will mich gar nicht nur an dieser einen Million festhalten", sagt Müller. "Klar ist aber, wenn wir in der Geschwindigkeit weitermachen, ist es auf jeden Fall zu wenig."
Natürlich sei es wunderbar, wenn die Zahl privater Wallboxen steige. "Aber wenn das neue Normal das Elektroauto sein soll, dann kommt das an in den großen Städten, wo Menschen in Mietwohnungen leben und keine eigenen Parkplätze haben", so Müller.
Laden zu Hause und am Arbeitsplatz
Etwas anders sieht das Till Gnann, der beim Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe arbeitet und dort den Bereich Elektromobilität koordiniert. "Die Frage ist halt: Brauche ich wirklich so viel öffentliche Ladeinfrastruktur?", gibt der Experte zu bedenken. Mit Lademöglichkeiten zu Hause und am Arbeitsplatz könne man genauso viel oder auch mehr bewirken.
In seinen Präsentationen unterfüttert Gnann seine Argumentation gerne mit Zahlen wie diesen: Rund 60 Prozent aller Pkw-Fahrer verfügten über eine eigene Garage. Und die Hälfte aller Pkw in Deutschland stünden in Gemeinden, die weniger als 20.000 Einwohner hätten.
Trend zu höherer Ladeleistung
Das Großstadt-Problem, das VDA-Präsidentin Müller anspricht, sieht der Fraunhofer-Experte deshalb nicht als entscheidende Hürde an. Zumal die Ladeleistung pro Säule seiner Meinung nach in Zukunft zunehmen wird, gerade was den Ausbau von sogenannten Schnellladesäulen mit bis zu 350 Kilowatt Leistung anbelangt. "Je höher meine Leistung ist, die ich installiert habe an den Fahrzeugen, desto mehr Fahrzeuge kann ich auch durchschleusen an den Ladesäulen", sagt Gnann. In Zukunft kann er sich Relationen zwischen öffentlicher Schnellladesäule und E-Auto von 1:100 bis 1:1000 vorstellen. Bei 15 Millionen E-Autos im Jahre 2030, so das Ziel der Bundesregierung, wären das deutlich weniger als die geplanten eine Million öffentlichen Ladesäulen.
Allerdings räumt er ein, dass Schnellladesäulen gerade in Ballungszentren aktuell noch zu dünn gesät sind. "Die sind im Moment noch vornehmlich an Autobahnen, und bis die dann in der Fläche in Deutschland verfügbar sind, wird das noch ein gewisses Hemmnis bleiben", sagt er.
Suche nach flächendeckenden Konzepten
Rainer Kling, der passionierte Elektro-Fahrer aus Schmitten, hält ein flächendeckendes Netz von Schnellladesäulen für Großstädter nicht für die beste Variante. Einerseits sei der Preis dafür noch zu hoch - Schnellladesäulen kosteten teilweise deutlich mehr als die leistungsschwächeren AC-Säulen. Zudem müsste man mehrmals pro Woche eine halbe Stunde zum Vollladen warten. "Schnellladen ist ein Konzept für die große Fahrt", meint er, nichts für die Grundversorgung.
Stattdessen wünscht er sich in den Ballungszentren eine Art Anwohner-Laden. "Zum Beispiel auf Parkplätzen von Einkaufszentren oder von Supermärkten: dass die nachts mit Wallboxen ausgestattet zum Laden benutzt werden können", so Kling. Das wären seiner Ansicht nach Konzepte, die für all jene funktionieren könnten, die zu Hause ausnahmsweise keine private Wallbox haben.