Bilanz der Heizperiode "Wir sind super durch den Winter gekommen"
Die Heizsaison neigt sich dem Ende zu. Die deutsche Energieversorgung war auch im zweiten Winter ohne russisches Pipelinegas gesichert. Obwohl Atomkraftwerke fehlten, wurde der Strommix klimafreundlicher.
Der Winter gilt als die schwierigste Jahreszeit für die Stromversorgung in Deutschland und Europa. Weil einerseits die Photovoltaik in den dunklen Monaten nur wenig Strom liefert, während andererseits der Strombedarf aufgrund der benötigten Heizenergie steigt. Nach dem Ende des meteorologischen Winters kann nun Bilanz gezogen werden - und die fällt positiv aus.
Bruno Burger, verantwortlich für die Datenbank Energy Charts des Fraunhofer Instituts für solare Energiesysteme (ISE), hat die Zahlen der drei Wintermonate ausgewertet. Und er resümiert: "Wir sind super durch den Winter gekommen. Es gab keine Stromknappheit. Die Abschaltung der Kernkraftwerke hat sich nicht negativ ausgewirkt auf die Stromversorgung im Winter."
Dabei wurde nicht nur das Mindestziel erreicht, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Sondern die deutsche Stromerzeugung war im vergangenen Winter auch klimafreundlicher als im Vorjahr - obwohl die weitgehend CO2-freien Kernkraftwerke erstmals nicht mehr zur Verfügung standen.
Fast ein Drittel weniger Kohle
Die deutschen Stromversorger mussten nicht häufiger auf Kohlekraftwerke zurückgreifen, wie von Teilen der Öffentlichkeit erwartet worden war. Im Gegenteil: Es wurden 29 Prozent weniger Kohle verbrannt als im Jahr zuvor.
Diese Entwicklung hatte sich bereits in den Monaten zuvor abgezeichnet. 2023 hat Deutschland - trotz des Atomausstiegs - so wenig Kohle in Kraftwerken verbrannt wie zuletzt 1959. Der Verbrauch von Erdgas für die Stromerzeugung blieb unterdessen konstant.
Neuer Rekord bei Wind und Sonne
Auf der anderen Seite stieg die Produktion von Strom aus Wind und Sonne während der Wintermonate im Jahresvergleich um ein Drittel auf ein neues Rekordhoch. Was einerseits dem Ausbau von Windkraft und Photovoltaik zu verdanken war, andererseits aber auch den günstigen Wetterbedingungen. Die nicht mehr vorhandenen Strommengen aus den Kernkraftwerken wurden im Jahresvergleich mehr als wettgemacht.
Im Ergebnis kamen im Winter 2023/24 rund 60 Prozent der deutschen Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen. "Ein sehr guter Wert", bilanziert Experte Burger.
Im Winter wieder Strom exportiert
Deutschlands Außenhandelsbilanz für Strom war zuletzt weitgehend ausgeglichen. Im Gesamtjahr 2023 hatte Deutschland per Saldo einen kleinen Anteil seines Stroms (knapp drei Prozent) aus Nachbarländern importiert. Während der Wintermonate dagegen kehrte sich das um, und es wurde etwas Strom exportiert. Hier hat sich eine Veränderung ergeben: In früheren Jahren hat Deutschland vor allem im Winter sehr viel Strom an Nachbarländer geliefert. Dieser Exportüberhang ist in den vergangenen Jahren Schritt für Schritt verschwunden.
Das ist unter anderem eine Folge des Kernkraft-Ausstiegs, aber auch des steigenden CO2-Preises, der deutsche Kohlekraftwerke unrentabler gemacht hat. Statt dessen laufen jetzt häufiger umweltfreundlichere Kraftwerke im Ausland. Sowohl die deutschen Stromimporte als auch die -exporte kamen 2023 überwiegend aus erneuerbaren Quellen.
Nach Zahlen des Thinktanks Agora Energiewende stammten 49 Prozent des im vergangenen Jahr importierten Stroms aus erneuerbaren Energien, 24 Prozent aus Kernkraft. Beim aus Deutschland exportierten Strom stammten 57 Prozent aus erneuerbaren Quellen.
Produktionsrückgang und Sparsamkeit
Der Verbrauch von Strom und Gas in Deutschland ist unterdessen gesunken. 2023 verbrauchte Deutschland 3,9 Prozent weniger Strom als im Vorjahr, das entspricht 21 Terawattstunden. Nach Berechnungen von Agora Energiewende ist etwas mehr als die Hälfte dieses Rückgangs, nämlich 12,5 Terawattstunden, auf Produktionsrückgänge in der Industrie zurückzuführen. Dabei handelt es sich vor allem um energieintensive Unternehmen zum Beispiel aus der Chemieindustrie, die auf gestiegene Energiepreise reagierten.
Daneben wirkten sich aber auch erfolgreiche Einsparmaßnahmen in der Wirtschaft und den Haushalten senkend auf den Stromverbrauch aus, betont Marco Wünsch, Energieexperte bei der Prognos AG. Man hätte erwarten können, dass die Menschen nach einem Jahr die Lust am Energiesparen verlieren, meint er, aber: "Das ist nicht so. Die Leute sparen weiter, die Haushalte sparen weiter, die Betriebe sparen weiter. Auch in Büros wird weiter Gas und Strom gespart. Das ist gut."
Milder Winter mit viel Wind
Dazu kam Glück mit dem Wetter: Der Winter war wieder außerordentlich mild. Was in Deutschland zwar nicht allzu große Auswirkungen auf den Stromverbrauch hat, weil nur wenig mit Strom geheizt wird. Aber umso mehr auf den Gasverbrauch.
Der gesunkene Erdgasverbrauch hat zusammen mit der Importpolitik der Bundesregierung und der Bevorratung dafür gesorgt, dass der Gaspreis gesunken ist. Was über die Produktionskosten von Erdgaskraftwerken auch direkte Auswirkungen auf den Strompreis hat.
Energiepreise zurück auf Vorkrisenniveau
Strom und Gas kosten an der Börse inzwischen wieder so viel - oder wenig - wie 2021 vor der Energiekrise. Bei Haushaltskunden ist diese Entwicklung allerdings häufig noch nicht angekommen: Wer seinem Stromanbieter die Treue hält und nicht wechselt, zahlt in der Regel noch immer höhere Preise als 2021, weil Energieversorger Preisentlastungen an Bestandskunden oft nur mit Verzögerung weitergeben. Bei Neuverträgen dagegen ist auch für Haushalte das Vorkrisenniveau wieder erreicht.
Dass sich der Börsenstrompreis wieder erholt hat, obwohl Deutschland im vergangenen Jahr seine letzten drei Atomkraftwerke abgeschaltet hat, ist nach Einschätzung von Burger von Fraunhofer ISE kein Wunder. Dafür sei der Anteil der deutschen Kernkraft an der Stromproduktion schlicht zu gering gewesen: "Wir sind ja integriert in den europäischen Strommarkt. Und ob in Europa drei Kernkraftwerke fehlen oder nicht, das macht bei den Strompreisen so gut wie nichts aus."
Ganz Europa investiert in Photovoltaik
Andere, stärkere Effekte haben die Abschaltung von Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland im vergangenen Jahr überlagert. Neben den beschriebenen Entwicklungen im Inland war das unter anderem auch ein internationaler Boom der erneuerbaren Stromerzeugung, so Marco Wünsch von Prognos: "Der Ausbau von Photovoltaik war sehr stark in Europa." Und zwar flächendeckend, von den klassischen Sonnenländern Spanien und Portugal über Polen, Tschechien und Holland bis selbst nach Skandinavien.
Auch die Wasserkraft hat im vergangenen Winter wieder mehr Strom geliefert als im Jahr zuvor, als vor allem der Süden Europas unter Dürre litt. Und: Die Produktion der französischen Kernkraftwerke hat sich wieder stabilisiert, nachdem im Vorjahr viele Reaktoren wegen verschleppter Wartungsarbeiten stillstehen mussten.
Handlungsdruck bleibt
Der Effekt der Energiekrise ist also zwei Winter nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine weitgehend überwunden, was die Energiepreise an der Börse angeht. Und der Energiemix im deutschen Stromnetz ist inzwischen sogar sauberer als vor dem endgültigen Atomausstieg und dem russischen Lieferstopp für Pipelinegas.
Der Handlungsdruck bleibt trotzdem hoch, denn der Stromverbrauch Deutschlands wird absehbar wieder steigen. Der möglichst schnelle Ausbau von Windkraft, Photovoltaik und Stromspeichern, der Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft: All das und mehr bleibt auf der Agenda.