Klimapolitik Wie China die Erneuerbaren Energien vorantreibt
China baut fast doppelt so viele Kapazitäten für Wind- und Solarenergie wie der Rest der Welt zusammen. Ein Pilotprojekt zur Klimaneutralität gibt es auf der Insel Chongming. Doch nicht alle sind überzeugt.
Wasser rauscht durch eine Schaufelrad-Turbine. So werden auf der zu Shanghai gehörenden Insel Chongming riesige Teiche mit Sauerstoff versorgt, in denen Krabben gezüchtet werden. Das Außergewöhnliche: Die Krabbenzucht-Teiche wurden mit Solaranlagen überbaut. Aus dem Wasser ragen Betonpfeiler, die die Solarpanele tragen, quasi als Überdachung der Teiche, die sich weitflächig rund um das Dorf Chenjia befinden.
Chongming als Vorzeigeprojekt
"Früher sahen diese Teiche bei Sonnenschein wirklich gut aus. Aber wegen dieser Solar-Paneele sehen sie jetzt nicht mehr so gut aus", sagt ein Dorfbewohner. "Das sieht definitiv nicht gut aus. Vorher war alles grün. Aber wir haben keine Wahl, wir haben nicht das Recht zu entscheiden", meint ein anderer.
Vor wenigen Jahren, so sagen die Menschen vor Ort, haben viele das Land noch selbst bewirtschaftet. Sie haben in den Teichen rund um das Dorf Wollhandkrabben gezüchtet - in China eine Delikatesse. Dann hat die Regierung die Landnutzungsrechte an eine Firma gegeben. Ein Solarpark wurde gebaut, direkt angrenzend an die Wohnhäuser.
Aus Sicht der Regierung wird das Land in Chongming nun effizient genutzt: Weiterhin werden Krabben gezüchtet und es wird Strom durch Sonnenlicht erzeugt. Die Insel wird vom Staat öffentlich als Vorzeigeprojekt beworben auf dem Weg zur Klimaneutralität. Innerhalb weniger Jahre wurden hier mehrere Wind- und Solarparks gebaut inmitten einer Landschaft grüner Wiesen, Wälder und Sumpfgebiete. Zu einem Interview waren die zuständigen Behörden nicht bereit.
China investiert so viel wie kein anderes Land
"Es handelt sich um ein kombiniertes Projekt, bei dem unten Krabben gezüchtet werden und oben Strom erzeugt wird", erzählt ein 66-jähriger Dorfbewohner, der seine Landnutzungsrechte für das Projekt abgegeben hat. "Das Land gehört dem Staat. Es kann weder gekauft noch verkauft werden. Wir haben nur das Recht, es zu nutzen."
Im kommunistisch regierten China hat der Staat die ultimative Kontrolle über Land. Einzelpersonen, Organisationen und Firmen können Landnutzungsrechte erwerben für eine Zeit von bis zu 70 Jahren. Diese Rechte können allerdings gegen eine finanzielle Entschädigung wieder entzogen werden. Große Bauprojekte wie auch Projekte für Erneuerbare Energien können auf diese Weise schnell und ohne demokratische Abstimmungsprozesse umgesetzt werden.
China ist weltweit Vorreiter beim Ausbau Erneuerbarer Energien. Das Land baut fast doppelt so viele Kapazitäten für Wind- und Solarenergie wie der Rest der Welt zusammen. Das war im Sommer das Ergebnis einer Studie der Nichtregierungsorganisation Global Energy Monitor. Außerdem investiert China so viel wie kein anderes Land in Erneuerbare Energien. Laut dem Umwelt-Thinktank "Centre for Research on Energy and Clean Air" mit Sitz in Finnland haben Chinas Investitionen in "grüne" Technologien im vergangenen Jahr maßgeblich zum Wirtschaftswachstum beigetragen - zu 40 Prozent.
Klimaneutralität bis 2060 als Ziel
Trotz der vielen Projekte für Erneuerbare Energien speist sich Chinas Strommix noch mehrheitlich aus Kohle. Die Volksrepublik baut weiterhin neue Kohlekraftwerke. Offiziell, um den Übergang zu den Erneuerbaren Energien reibungslos zu gestalten. Auf der Insel Chongming wird nach offiziellen Angaben mehr als 30 Prozent des Stroms aus Erneuerbaren Energien erzeugt. Das ist etwas mehr als der Landesdurchschnitt.
Bis 2060 will China klimaneutral sein. Den Höhepunkt an CO2-Emissionen will die Staats- und Parteiführung bis 2030 erreichen. Chinas massiver Ausbau Erneuerbarer Energien deutet allerdings darauf hin, dass die Volksrepublik schon früher diesen sogenannten "Peak" erreichen könnte als geplant. Unterschiedlichen Berechnungen zufolge könnte das sogar schon im vergangenen Jahr der Fall gewesen sein.
"Sie wissen nichts über Klimaneutralität"
Ein 77-jähriger Dorfbewohner Chongmings sagt, er sei zufrieden, weil die Solarparks die Entwicklung des Landes förderten. Was Solarenergie allerdings ist, weiß er selbst nicht so genau. "Ich weiß, dass es sich bei der Photovoltaik um eine Art von Ressource handelt, oder? Sie kommt vom Himmel, also kostet sie uns nichts." Viele der Dorfbewohner seien nie in der Schule gewesen, ergänzt ein anderer. "Sie wissen nichts über Klimaneutralität, die derzeitigen Propaganda-Bemühungen der Regierung reichen definitiv nicht aus."
Die großen Investitionen in Erneuerbare Energien und Klimaziele der Regierung gehen an der Lebensrealität vieler Menschen in China vorbei. Viele können mit dem abstrakten Begriff Klimaschutz wenig anfangen. Häufigere und heftigere Naturkatastrophen sowie Rekordtemperaturen werden in den chinesischen Staatsmedien meist nicht mit dem menschengemachten Klimawandel in Verbindung gebracht.
Umweltschutz ist dagegen häufiger Thema in chinesischen Medien. Denn die Verschmutzung von Boden, Luft und Wasser oder Plastikabfälle in der Natur sind im alltäglichen Leben sichtbarer.