Hintergrund Mammutprojekt Bankenunion
Die Bankenunion ist das Vorzeigeprojekt der Europäischen Union. Die Idee dahinter: Nie wieder sollen Banken ungehindert massenhaft faule Kredite anhäufen können, das Finanzsystem ins Wanken bringen und schließlich mit hunderten Milliarden Euro der Staaten, also der Steuerzahler, gerettet werden müssen.
Was ist die Bankenunion?
Die Bankenunion steht auf drei Säulen: der europäischen Bankenaufsicht, einem System zur Bankenabwicklung und -sanierung sowie der Einlagensicherung. Bislang ist die Bankenaufsicht die einzige Säule, die bereits sicher steht. Insgesamt soll damit des europäische Bankensystem sicherer werden und das Vertrauen der Investoren zurückgewonnen werden. Mit nächtlichen Ad-hoc-Rettungsaktionen soll Schluss sein.
Was ist das Ziel der Bankenaufsicht?
Die Zentralaufsicht (Single Supervisory Mechanism, SSM) soll verhindern, dass Banken von nationalen Aufsichtsbehörden nicht genug kontrolliert werden und dann durch Finanzprobleme Staaten oder gar das gesamte europäische Finanzsystem in Schwierigkeiten bringen. Ziel ist es, die enge Verflechtung zwischen den nationalen Staaten und ihren Banken zu durchbrechen. Die Bankenaufsicht ist auch Voraussetzung für direkte Bankenhilfen aus dem EU-Rettungsfonds ESM, die grundsätzlich bereits beschlossene Sache sind. Gestritten wird allerdings noch über die Details.
Wer übernimmt die zentrale Bankenaufsicht?
Dazu wird eine neue Behörde geschaffen - unter dem Dach der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Besetzung ist hochkompliziert, viele Interessen müssen berücksichtigt werden. Das Führungsgremium (Supervisory Board) ist mit einer Vorsitzenden, einem Stellvertreter und den nationalen Chef-Bankenaufsehern besetzt. In Deutschland sind das zwei: Bundesbank und BaFin. Präsidentin der zentralen Aufsichtsbehörde ist Danièle Nouy, bisher Chefin der französischen Bankenaufsicht. Ihr Vize kommt aus dem Direktorium der EZB. Das Aufsichtsgremium bereitet alle grundsätzlichen Aufsichtsentscheidungen vor, muss diese aber immer noch dem EZB-Rat vorlegen, der dann Ja oder Nein sagt. Bei Uneinigkeit entscheidet ein Vermittlungsgremium, in dem wiederum Vertreter der Nationalstaaten, der EU-Kommission sowie der europäischen Bankenaufsichtsbehörde EBA sitzen.
Der Unterbau der zentralen EZB-Aufsichtsbehörde in Frankfurt am Main besteht aus vier Abteilungen. Rund 1000 Mitarbeiter sollen hier beschäftigt werden, die Personalsuche läuft auf Hochtouren. Bislang sind lediglich die Posten der Chefs und deren Stellvertreter besetzt.
Wie kommen die Zentralaufseher an Informationen?
Innerhalb der zwei, für die tägliche Aufsicht zuständigen Abteilungen, soll es gemischte Aufsichtsteams geben, bestehend aus mehreren nationalen Aufsehern und EZB. Chef ist ein Vertreter der EZB. Diese Teams sind dann für bestimmte Banken zuständig. Ein regelmäßiger Datenaustausch sowie Gespräche vor Ort sollen plötzliche und überraschende Schieflagen verhindern. Die Kontrolleure können die Institute verpflichten, Risiken mit zusätzlichen Eigenmitteln zu unterlegen, sie können eine bestimmte Rückstellungspolitik vorschreiben oder einzelne Geschäftsbereiche einschränken. Notfalls können auch Geldbußen verhängt werden. "Bankenaufsicht ist immer präventiv", unterstreicht Bundesbank-Sprecherin Ute Bremers. Kommen die Zentralaufseher bei einer systemrelevanten Bank aber doch einmal zu dem Ergebnis, dass diese nur noch in Teilen oder gar nicht mehr zu retten ist, kommt der einheitliche Abwicklungs- und Restrukturierungsmechanismus ins Spiel (s.u.).
Wie ist die Aufgabenteilung zwischen EZB, nationalen Aufsehern und EBA?
Das ist in einer EU-Verordnung geregelt, die seit November 2013 in Kraft ist. Sie regelt die Übertragung von Aufsichtskompetenzen an die EZB.
Die nationalen Aufseher sind in der laufenden täglichen Arbeit weiter allein für die Banken zuständig, die nicht groß und bedeutend genug für die Zentralaufsicht sind.
Die Europäische Bankenaufsichtsbehörde EBA mit Sitz in London hat entgegen ihrem Namen kaum etwas mit praktischer Bankenaufsicht zu tun. Sie entwickelt Standards für die Aufsichtspraxis oder macht Risikoanalysen für den Bankensektor als Ganzes. Sanktionsmöglichkeiten hat die EBA kaum.
Und was ist mit der Unabhängigkeit der EZB?
Bankenexperten sehen durch die personelle Vermischung von EZB und Bankenaufsicht die Unabhängigkeit der Zentralbank in Gefahr. Vor allem Deutschland sah die strikte Trennung zwischen Geldpolitik und Aufsicht aufgeweicht. "Wir hätten ein Institution unabhängig von der EZB befürwortet", sagt auch Bundesbank-Sprecherin Bremers. Damit der Gouverneursrat der EZB, der das letzte Wort bei der Geldpolitik hat, nicht auch bei der Bankenaufsicht das letzte Wort hat, spielt im Zweifelsfall das unabhängige Vermittlungsgremium die entscheidende Rolle.
Welche Banken werden zentral kontrolliert?
Die neue Aufsicht soll besonders große und international tätige Banken überwachen. Dazu gehören immer die drei größten Banken in jedem Teilnehmerland, also den 17 Euro-Staaten sowie freiwilligen Teilnehmern aus der EU (Großbritannien mit seinem Finanzplatz London will nicht mitmachen). Weiteres Kriterium ist eine Bilanzsumme von mehr als 30 Milliarden Euro oder mehr als 20 Prozent der Wirtschaftskraft des Heimatlands. Auch Banken, die direkte Hilfen aus dem Rettungsfonds ESM bekommen, werden künftig zentral kontrolliert. Insgesamt dürften die EZB-Aufseher künftig direkt auf rund 130 Großbanken der Euro-Zone schauen, davon 24 deutsche Geldhäuser. Die anderen etwa 6000 Banken bleiben unter nationaler Aufsicht - es sei denn, die EZB zieht die Überwachung in begründeten Fällen an sich.
Wann startet die zentrale Bankenaufsicht?
Im Herbst 2014. Bevor die EZB die direkte Aufsicht übernimmt, will sie die Bilanzen der rund 130 Großbanken umfassend prüfen und sie einem Stresstest unterziehen. Ziel ist, dass vor der Übernahme der Aufsicht durch die EZB Klarheit herrscht über die Risiken und Lasten der entsprechenden Banken. Schwachstellen müssen dann notfalls mit frischem Geld des jeweiligen Nationalstaats ausgebessert werden.
Was ist die zweite Säule der Bankenunion?
Zweite Säule der Bankenunion ist der einheitliche Abwicklungs- und Restrukturierungsmechanismus (Single Resolution Mechanism, SRM). Denn wenn es eine gemeinsame Aufsicht für Europas Großbanken geben soll, muss auch einheitlich geregelt sein, wie im Notfall Banken abgewickelt oder saniert werden können.
Worum geht es?
Es geht darum, wer haftet, wenn Banken am Abgrund stehen und abgewickelt werden müssen. Anders als nach der Finanzkrise wollen die Staaten ihre Banken nicht mehr mit Steuergeld herausboxen. Zukünftig sollen sich die Banken selber retten.
Was heißt das konkret?
Steht eine Bank finanziell am Abgrund soll künftig eine Haftungskaskade greifen, also eine festgelegte Reihenfolge, nach der erst Aktionäre, Gläubiger und Großsparer für eine Krisenbank zahlen. Sie sollen zusammen für einen Betrag von bis zu acht Prozent der Verbindlichkeiten geradestehen. Wenn das nicht reicht, kommt ein europäischer Abwicklungsfonds ins Spiel. Der muss aber erst noch gefüllt werden.
Die Vorlage für diese Haftungsreihenfolge lieferte Zypern. Als dort die Banken in Schieflage gerieten, wurden auch Sparguthaben von mehr als 100.000 Euro an den Verlusten beteiligt. Auf europäischer Ebene soll die Reihenfolge ab Januar 2016 gelten.
Welche Banken werden erfasst?
Auf jeden Fall die rund 130 Großbanken, die künftig von der EZB beaufsichtigt werden. Zusätzlich sollen wohl auch kleinere, grenzüberschreitend tätige Banken im Krisenfall unmittelbar in die Kompetenz der Abwicklungsagentur fallen. Die anderen Institute können im Ernstfall von nationalen Behörden abgewickelt werden, allerdings nach einheitlichen Regeln.
Wie wird ein finanzielles Sicherheitsnetz aufgebaut?
Einzahlen müssen die Banken der Eurozone selbst, um die Kosten einer Abwicklung zu tragen. Wieviel hängt von Größe und Risikoprofil der Bank ab. Rechtliche Grundlage des Abwicklungsfonds' soll eine zwischenstaatliche Vereinbarung werden, die bis Ende Februar 2014 ausgearbeitet werden soll. Binnen zehn Jahren soll der Fonds mit bis zu 55 Milliarden Euro gefüllt sein - nicht viel, angesichts der 1,6 Billionen Euro, die die EU-Staaten in der Finanzkrise insgesamt für Krisenbanken aufwenden mussten. Der deutsche Anteil liegt bei etwa zehn Milliarden. Um dies zu erreichen, müssen die deutschen Banken künftig deutlich höhere Abgaben in den nationalen Krisenfonds zur Abwicklung angeschlagener Geldhäuser zahlen als bisher. Deutsche Banken zahlen bereits seit drei Jahren in diesen Fonds. Im dritten Jahr der Abgabe befinden sich erst rund 1,8 Milliarden Euro in dem Fonds.
Anfangs setzt sich der europäische Fonds noch aus den nationalen Krisentöpfen der Mitgliedstaaten zusammen. Erst nach und nach sollen die nationalen Abschottungen fallen und die Töpfe miteinander verschmelzen, bis nach zehn Jahren ein komplett gemeinsamer Notfalltopf entstanden ist. Das war eine Forderung Deutschlands, um zu verhindern, dass deutsche Geldhäuser für Krisen in anderen Mitgliedstaaten aufkommen müssen.
Wer zahlt, wenn der Fonds nicht reicht?
Dann soll nicht sofort der Rettungsschirm ESM angezapft werden können, wie insbesondere von Frankreich und den südeuropäischen Ländern gefordert. Damit hat sich die Bundesregierung mit einer ihrer Kernforderungen durchgesetzt. Sie sieht im Krisenfall die Nationalstaaten in der Pflicht. "Der ESM ist keine allgemeine Kreditlinie für jedermann", stellt Finanzminister Wolfgang Schäuble klar. Die ESM-Kredite müssen vom Heimatstaat der Bank beantragt werden, der dann auch für die Rückzahlung gerade steht. Im Krisenfall soll sich der neue Abwicklungsfonds aber Geld leihen können, das die Banken später zurückzahlen müssen.
Wann geht's los mit dem Abwicklungsmechanismus?
Vollkommen in Kraft sein sollen die neuen Regeln zu Jahresbeginn 2016, ein Jahr später als ursprünglich geplant. 2016 soll auch das separate EU-Gesetz zur Haftungskaskade bei Bankenschieflagen in Kraft treten.
Was ist mit dem gemeinsamen Einlagensicherungsfonds?
Eigentlich wollten die EU-Staaten nach der gemeinsamen Bankenaufsicht und dem gemeinsamen Abwicklungsfonds auch einen gemeinsamen Topf zur Einlagensicherung gründen. Daraus wird aber wohl vorerst nichts, nicht zuletzt wegen des Widerstands Deutschlands. Denn dann hätte man die deutschen Banken - und damit letztlich die deutschen Sparer - auch dann in Haftung nehmen können, wenn anderswo in Europa eine Bank pleitegeht und Kleinsparer bedroht sind.
Ein Kompromiss sieht nun vor, dass die Staaten einzeln ihren Einlagensicherungsfonds aufbauen. Die nationalen Töpfe sollen mit 0,8 Prozent der gedeckten Einlagen aufgefüllt werden. In Deutschland gibt es bereits Schutztöpfe der privaten Banken, Sparkassen und Volks- und Raiffeisenbanken sowie eine gesetzliche Einlagensicherung bis zu 100.000 Euro.