Bahnstreik Die Härte der GDL - und die Aussichten auf Erfolg
Im Tarifstreit mit der Bahn ruft die GDL zum bisher längsten Streik in der Unternehmensgeschichte auf. Die Fronten sind verhärtet. Müssen Bahnreisende jetzt mit Dauerstreiks rechnen?
Die Bundesrepublik steht vor einer neuen Streikwoche. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) ruft ihre Mitglieder erneut zum Arbeitskampf auf. Für die Güterverkehrssparte DB Cargo läuft der Streik seit Dienstagabend. Ab Mittwochmorgen wird dann der Personenverkehr bestreikt.
Ganze sechs Tage lang will die GDL in den Arbeitskampf treten - so lang wie noch nie in der bisherigen Geschichte der DB. Wie heftig wird der Streik? Und wird GDL-Chef Claus Weselsky damit Erfolg haben können?
Warum sind die Fronten so verhärtet?
Nach Darstellung der GDL ist die Bahn - Stand jetzt - nicht bereit, über zwei der Kernforderungen der Gewerkschaft zu verhandeln. Zum einen will die GDL auch für Fahrdienstleiter eine Tarifeinigung erreichen. Das lehnt die Bahn ab. Zum anderen fordert die GDL eine schrittweise Absenkung der Wochenarbeitszeit im Schichtdienst von 38 auf 35 Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich. Auch hierüber will die Bahn bislang nicht verhandeln.
Bisherige Angebote blieben deutlich hinter der Forderung der GDL zurück. Beginnend bei der Laufzeit - die Bahn bot 32 Monate, während die GDL zwölf Monate verlangt - über den Gültigkeitsbereich bis hin zum Arbeitszeitmodell sah die GDL in den jeweiligen Offerten keine Verhandlungsgrundlage.
Tatsächlich beinhaltet das jüngste Angebot der Bahn zwar eine Option auf Arbeitszeitverkürzung um eine Wochenstunde bei gleichbleibenden Bezügen; diejenigen Mitarbeitenden, die weiter regulär 38 Stunden arbeiten wollen, steht dafür aber eine prozentuale Lohnerhöhung von 2,7 Prozent zu, so dass Beschäftigte mit verkürzter Arbeitszeit de facto weniger verdienen würden. Hinzu kommt, dass sich die Bahn vorbehält, diesen Teil der Tarifvereinbarung bei zu geringer Personaldecke auszusetzen.
Die Bahn argumentiert, aufgrund des Fachkräftemangels könnte in den kommenden Jahren gar nicht genügend Personal eingestellt werden, um ihren Beschäftigten eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich zu ermöglichen. Dem hält die GDL zweierlei entgegen: Erstens würde ein attraktiveres Jobprofil auch mehr Bewerber anziehen; zweitens verweist sie auf bereits erreichte Tarifeinigungen mit Bahn-Wettbewerbern, die trotz angespannter Personallage auf die Kernforderung der Gewerkschaft eingegangen sind und die Arbeitszeit schrittweise absenken.
Ist der Streik besonders lang?
Der jetzige Streik könnte in der Länge einen Rekord bei der Bahn markieren. Die GDL hat aber auch bei früheren Tarifrunden schon häufiger mehrtägige Streiks angesetzt, die nur knapp darunter lagen. 2021 streikte die GDL etwa für fünf Tage, 2015 einmal für sechs Tage.
Generell gehört die Bahn aber zu den Branchen, in denen es eher wenige Streiktage gibt. Im verarbeitenden Gewerbe kamen laut Statista 2022 auf 1.000 Beschäftigte im Schnitt 47,2 Ausfalltage wegen Streiks, bei allen privaten und öffentlichen Dienstleistern zusammen waren es im gleichen Jahr rund sieben Ausfalltage wegen Streik.
Weil nach Unternehmensangaben aber täglich im Schnitt mehr als zehn Millionen Menschen die Angebote der Bahn nutzen, ist der Streik dort aber zumindest für die Mehrheit der Bevölkerung deutlicher spürbar.
Verhilft konfrontatives Vorgehen zu besseren Abschlüssen?
Peter Renneberg, der Gewerkschaften in ihrer Strategie für den Arbeitskampf berät, sagt: "Mit jedem Streiktag wird der Druck auf den Arbeitgeber erhöht. Und es kann sein, dass das Ergebnis so näherkommt." Allerdings steige umgekehrt der Druck auf die Gewerkschaft, dann tatsächlich ein besseres Ergebnis zu erzielen, um "gesichtswahrend aus der Geschichte zu kommen". Das könne bei der GDL zum Problem werden.
"Tatsächlich ist es kein Automatismus, dass hartes und konfrontatives Verhandeln zu einem besseren Abschluss führt", sagt auch Heiner Dribbusch, langjähriger Tarifexperte des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung. So geschehen etwa bei der Pilotengewerkschaft Cockpit im Jahr 2015. Die hatte damals im Herbst angekündigt, bis Jahresende wöchentlich die Arbeit niederzulegen. "Am Ende musste die Gewerkschaft dennoch Kompromisse eingehen, weil die Lufthansa mit der Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland drohte", sagte Dribbusch.
Renneberg, der unter anderem mit der GDL-Konkurrenzgewerkschaft EVG, aber auch NGG und ver.di zusammenarbeitet, rät im Gespräch mit tagesschau.de von zu konfliktträchtigen Streiks ab. "Es gibt aber Fälle, in der es aus Sicht der Gewerkschaft notwendig sein kann, sehr konfrontativ heranzugehen, etwa wenn die Gegenseite gar kein Interesse an Verhandlungen mit einer Gewerkschaft hat, wie Amazon oder Tesla."
In der Vergangenheit gab es aber auch immer wieder Kritik an der - aus Sicht von Beobachtern - zu geringen Konfliktbereitschaft der EVG und deren Vorgängergewerkschaften. Einmal mussten jene Vorläufer sogar ihr Einverständnis zu Tarifverträgen zurückziehen, nachdem sie den Widerstand in den eigenen Reihen unterschätzt hatten.
Welchen Einfluss hat die öffentliche Meinung auf die Tarifparteien?
Aktuell scheint die Stimmung gegenüber der GDL zunehmend kritischer zu werden. Doch Strategieexperte Renneberg sagt, dass wachsende öffentliche Kritik auch einen gegenteiligen Effekt haben kann. "Es gibt zwar Gewerkschaftsmitglieder, die sagen: 'Jetzt reicht's, wir können die Kundinnen und Kunden nicht mehr belasten.'" Doch bei vielen gelte auch: Druck von außen schweißt nach innen zusammen. Gleichzeitig könne ein positiver Blick von außen durchaus unterstützend auf das eigene Anliegen wirken, sagt Dribbusch.
Dass der Beruf des Lokführers systemrelevant ist, hat nach Dribbuschs Einschätzung zumindest in der Vergangenheit keinen Einfluss auf die Bezahlung gehabt: "Wenn das so wäre, würden die Lokführer wesentlich mehr verdienen als sie es tun."
Allerdings: Bei einem Streik kann es durchaus auf die öffentliche Wahrnehmung ankommen. So habe es im Gesundheitsbereich zuletzt auch deshalb tarifliche Verbesserungen gegeben, weil die Branche in der Pandemie im Fokus stand.
Wie geht es weiter?
Ein Faktor ist, wie gut gefüllt die Streikkasse der GDL ist. Denn wer streikt, bekommt von der Gewerkschaft einen Teil des Lohnausfalls ersetzt. Von diesen Mitteln hängt ab, wie lange der Streik finanziell betrachtet weitergehen kann. Wie es um die Kassen der GDL steht, ist derzeit unklar.
"Klar ist aber, dass die Eskalationsstufe noch einmal höher liegen dürfte, wenn es nochmal zu Streiks kommt", sagt Renneberg. Denn die Streiks würden von Mal zu Mal üblicherweise härter.
Ein unbefristeter Streik ist nach dem Ergebnis der Urabstimmung zwar möglich; diese Maßnahme hat GDL-Chef Weselsky aber bislang ausgeschlossen. Doch es gäbe andere Methoden, die Gangart zu verschärfen und den Druck auf die Arbeitgeberseite zu erhöhen: zum Beispiel sogenannte Wellenstreiks. Dabei wird in einzelnen Abteilungen und Schichten zu jeweils verschiedenen Zeiten unterschiedlich lange die Arbeit niedergelegt. Abwehrmaßnahmen - im Falle der Bahn ein Notfallfahrplan - sind für den Arbeitgeber oft nicht mehr planbar.
Eine Schlichtung kann im aktuellen Tarifstreit zwischen der Bahn und der GDL nur freiwillig erfolgen, wenn also beide Seiten darauf eingehen, erklärt Experte Dribbusch. Eine Vereinbarung mit einer Pflicht zur Schlichtung habe die Bahn 2021 auslaufen lassen. Und auch Gewerkschaftschef Weselsky hat sich - Stand jetzt - dagegen ausgesprochen.