Unsichere Perspektiven Auslaufmodell Lebensversicherungen?
Noch immer ist die Lebensversicherung die beliebteste Altersvorsorge der Deutschen. Doch sie ist nicht mehr so lukrativ wie einst. Vielfach wurden die Beitragsgarantien gesenkt. Lohnt sich das Produkt noch?
Langweilig und sicher: Dieses Image heftete den Lebensversicherungen jahrzehntelang an. Die Lebensversicherer versprachen eine Überschussbeteiligung, die bisweilen etwas schwankte, und vor allem einen dauerhaften Garantiezins.
Immer weniger klassische Policen
Doch die Nullzinsen haben den Altersvorsorge-Klassiker in seinen Grundfesten erschüttert. Viele Anbieter haben sich von der klassischen Lebensversicherung verabschiedet. Laut einer Studie der Ratingagentur Assekurata bieten von 47 Versicherern inzwischen nur noch 16 klassische Policen mit einem lebenslangen Garantiezins von 0,90 Prozent im Neugeschäft an. Solche Verträge seien ein "Auslaufmodell", sagte Assekurata-Chefanalyst Lars Heermann. Das sieht auch Ergo-Chef Markus Rieß so: "Die klassische Police hat sich überlebt", verkündete er gegenüber dem "Handelsblatt".
Viele Anbieter erfinden gerade die Lebensversicherung neu und bauen auf Verträge mit weniger Garantien und teils sogar ohne feste Renditezusage. Sie bieten keine hundertprozentige Garantie für die eingezahlten Beiträge mehr an. "Für 2021 haben mehrere Lebensversicherer den Garantiezins im Neugeschäft gesenkt", sagt Deutschlands oberster Versicherungsaufseher, Frank Grund. "Viele Versicherer konzentrieren sich im Neugeschäft inzwischen auf Tarife, deren Garantieniveau deutlich unter dem von klassischen Policen mit 0,9 Prozent Rechnungszins liegt", erklärte der Chef der Versicherungsaufsicht bei der Bafin. In einigen Tarifen liege er mittlerweile bei 0,25 Prozent.
Allianz senkt die Beitragsgarantie
Den Anfang machte jüngst Marktführer Allianz, dessen operatives Ergebnis 2020 erstmals seit neun Jahren sank. Der blaue Riese baute sein meistverkauftes Produkt um. Künftig haben Neukunden nur noch die Wahl zwischen einer Beitragsgarantie von 60, 80 und 90 Prozent.
Einen ähnlichen Schritt verkündete Konkurrent R+V. Im Neugeschäft wird künftig nur noch eine Nettobeitragsgarantie von 90 Prozent gewährleistet. Assekurata-Experte Heermann erwartet, dass noch viele andere Gesellschaften der Allianz folgen werden. "Die Abkehr von der vollständigen Beitragsgarantie bei der Mehrheit der Tarife ist ein klares Signal dafür, dass sich hohe Garantien mit dem Dauerzinstief am Kapitalmarkt nicht vertragen."
Bund der Versicherten: "Eine Bankrotterklärung!"
Für Axel Kleinlein vom Bund der Versicherten sind die Garantiesenkungen von Allianz & Co eine "Bankrotterklärung" der Branche. Die Lebensversicherer hätten sich verkalkuliert, sagt er gegenüber tagesschau.de. Sie schaffen es nicht mehr, ihre Produkte zu vertreiben. Statt die Kosten zu reduzieren, senken sie nun die Garantien. "Es gibt keine Existenzberechtigung mehr für die Branche", schimpft Kleinlein.
Hermann Weinmann, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Ludwigshafen, bemängelt die Vergleichbarkeit. Der eine biete 60 Prozent Garantie, der andere 90 Prozent. "Kein normaler Mensch blickt da noch durch auf dem Lebensversicherungsmarkt", moniert er gegenüber tagesschau.de.
Mehr Rendite bei mehr Risiko?
Andererseits könnte der Verzicht auf Garantien zu höheren Renditen bei den Lebensversicherungspolicen führen, weil die Versicherer in ertragsreicherere Anlageklassen investieren können. Tatsächlich zeigt eine Analyse von Assekurata, dass die seit knapp zehn Jahren angebotetenen Lebensversicherungen mit reduzierten Zinsgarantien mehr Rendite bringen - aber nur, wenn der Kunde bis zum Ablauf einzahlt. Bei der Gesamtverzinsung - einschließlich Schlussüberschuss und Beteiligung an den Bewertungsreserven - bringen sie im Schnitt 2,86 Prozent, während klassische Policen 2,76 Prozent abwerfen. Nur: So eine lange Geduld haben viele Versicherte nicht. Über die Hälfte der Verträge werden vorzeitig aufgelöst.
Hohe Nebenkosten fressen zudem einen nicht unerheblichen Teil der Renditen auf. Kleinlein vom Bund der Versicherten spricht von 15 bis 20 Prozent Nebenkosten in der Ansparphase und bis zu 30 Prozent beim Rentenbezug. Professor Weinmann hat bei einzelnen Gesellschaften Betriebskosten von mehr als zwanzig Prozent des Umsatzes festgestellt. Dabei machen die Vertriebskosten und damit die Abschlusskosten in der Regel den größten Anteil aus. Das Problem sei, dass das Zahlenwerk nur bedingt eine betriebswirtschaftlich korrekte Aussage erlaube, ob Lebensversicherer effizient wirtschaften und mit dem Geld der Kunden sorgsam umgehen. Dies würde sich durch die Vielfalt an Produkten mit unterschiedlichen Beitragsgarantien noch verschlimmern.
Zahl der Verträge um zwölf Prozent gesunken
Angesichts der unklaren Perspektiven wenden sich immer mehr Bürger vom einst beliebtesten Altersvorsorge-Produkt ab. Wie der Gesantverband der Deutschen Versicherungswirtschaft mitteilte, sank im vergangenen Jahr die Zahl der neu abgeschlossenen Verträge um mehr als zwölf Prozent. Als Begründung wird genannt, dass wegen des Lockdowns weniger Beratungstermine möglich gewesen seien. "Lebensversicherungen verkaufen sich schwer über Video", meint Allianz-Chef Oliver Bäte achselzuckend. Warum aber dann im Corona-Jahr mehr Schaden- und Unfallversicherungen sowie private Kranken- und Pflegeversicherungen abgeschlossen wurden, bleibt ein Rätsel.
"Lebenspolice stirbt nicht aus!"
Der Allianz-Chef zeigt sich unbeeindruckt von den schwachen Absatzzahlen der Lebensversicherungen 2020. Er glaubt weiter fest an die Zukunft des Produkts. "Die Lebenspolice stirbt nicht aus, sie ist quicklebendig", sagte Bäte im "Handelsblatt". Auch GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen sieht die Lebensversicherung nicht als Auslaufmodell und verweist im Interview mit dem ARD-Börsenstudio auf 84 Millionen geschlossene Verträge.
Allerdings prophezeien Experten wie Allianz-Chef Bäte eine Konsolidierung in der Branche. "Ich rechne gerade angesichts der massiven Verwerfungen damit, dass ein paar Wettbewerber, die nicht gut gewirtschaftet haben, ausscheiden." Schon jetzt hat die Finanzaufsicht BaFin 20 der 83 deutschen Lebensversicherer unter verschärfter Beobachtung. Interessenvertreter Kleinlein vom Bund der Versicherten befürchtet, dass in diesem Jahr einige Anbieter Probleme bekommen werden. BaFin-Versicherungsaufseher Grund gibt aber Entwarnung. "Aktuell ist die Lage nicht existenzbedrohend. Wir erwarten keine Dammbrüche", beruhigt er.