Anlegerfehler Per Selbsterkenntnis zum Erfolg
Wer hat sich noch nicht über seine Fehler an der Börse geärgert? Die meisten folgen einem typischen Muster. Ein Überblick der größten Anlegerfehler und wie man sie vermeiden kann.
"Erkenne Dich selbst" - was einst den Besuchern des delphischen Orakels nahegelegt wurde, hat bis heute nichts an Weisheit eingebüßt. Auch für den Erfolg an der Börse ist es entscheidend, seine Stärken zu erkennen. Vor allem aber seine Schwächen.
Denn viele Fehler, die Anleger im alltäglichen Spiel um den schnöden Mammon begehen, sind von vornherein vermeidbar. Sie haben nämlich eines gemeinsam: Sie sind schlicht menschlich. Sie folgen einem typischen Muster, dem alle Individuen mehr oder weniger unterliegen. Meist lassen sie sich auf einen natürlichen Hang zur Selbstüberschätzung oder das Widerstreben, Fehler einzugestehen, zurückführen.
Doch wo Schwächen erkannt werden, kann man ihnen auch abhelfen: Der sechsteilige Schwerpunkt von boerse.ARD.de erläutert die schwerwiegendsten Fehler, erklärt ihre Ursachen und zeigt Handlungsalternativen auf. Ein Patentrezept für nachhaltigen Erfolg an der Börse ist nicht dabei - doch Dummheiten zu vermeiden, ist der erste wesentliche Schritt dorthin.
Fehler A: Selbstüberschätzung
Fehler A: Selbstüberschätzung
Man kann sie getrost "die Mutter aller Fehler" nennen: Viele systematische Anlegerfehler gehen auf Selbstüberschätzung zurück. Diese lässt sich zwar kurieren, aber nur schwer. Sie ist einfach allzu menschlich.
Welcher vernunftbegabte Anleger wollte sich davon völlig frei sprechen? Hier ein glückliches Händchen, da ein gutes Timing, dort ein Kursverdoppler - schon naht die Gewissheit, das Börsenspiel durchschaut zu haben. Ein paar Erfolgserlebnisse später ist man geneigt zu glauben, der souverän agierende Macher zu sein, der den Markt im Griff hat.
"Den Markt im Griff" - von wegen
Dass die Anlageideen vielleicht gar nicht auf dem eigenen Mist gewachsen sind, oder andere Titel besser abgeschnitten haben als die eigenen Lieblinge, wird dabei gerne unterschlagen. Denn allzu leicht wird pures Glück mit eigenem Können verwechselt.
Zwangsläufig verleiten solche Allmachtsgefühle zu typischen Fehlern bei der Geldanlage: Der Anleger wird sorglos, trifft vorschnelle Entscheidungen, handelt mehr als zuvor und verliert den Blick für allgemeine Trends, Depotstruktur und Timing. Auch wenn das eine Weile gutgehen kann - kein Mensch wird damit auf Dauer positive Renditen erzielen.
Dokumentieren Sie Ihr Verhalten!
Zwar ist es durchaus rational, vor einer Entscheidung nicht sämtliche denkbaren Informationen zu sammeln - die Kosten dafür würden in keinem vernünftigen Verhältnis zu den Chancen stehen.
Doch ein gewisses System mit klaren Handelsgrundsätzen sollte sich jeder Anleger angewöhnen. Der erste Schritt wäre, vor jeder Anlageentscheidung Risiko und erwarteten Ertrag bewusst abzuschätzen und einander gegenüberzustellen - das ist schon mehr, als viele Börsianer tun. Wer danach auch einmal eine verlockende Anlageidee verwirft, ist auf dem richtigen Weg.
Zur Selbstkontrolle ist auch eine Art Börsentagebuch empfehlenswert: Wann habe ich welches Papier gekauft - und vor allem warum? Automatisch werden dabei Fehler dokumentiert - der erste Schritt zur Selbsterkenntnis. Wer bereit ist, sich eigene Fehler einzugestehen, wird sein Anlageverhalten schrittweise verbessern.
Lehrgeld ist die beste Investition
Der beste Lehrmeister bleibt aber der Markt selbst. Wer Verluste erleidet, hat den größten Anreiz, es künftig besser zu machen. Und wer aus Fehlern lernt, kann das gezahlte Lehrgeld als Investition verbuchen - eine der besten, die es an der Börse gibt.
Fehler B: Missachten von Trends
Fehler B: Missachten von Trends
Trends an der Börse lassen sich mit den Naturgewalten vergleichen: Allzu oft unterschätzen Anleger deren Macht - und bezahlen teuer dafür. Wer dagegen ihre Kräfte für sich nutzt, hat mehr von der Börse.
Trends haben nämlich eine äußerst wichtige Eigenschaft: Es ist schlicht ungleich wahrscheinlicher, dass ein Kurstrend anhält, als dass er endet. Das gilt sowohl für Aufwärts- als auch für Abwärtstrends. Und es ist eine der wenigen Tatsachen, die man tatsächlich als eine Gesetzmäßigkeit der Börse bezeichnen kann.
Und doch werden Trends selbst von erfahreneren Anlegern immer wieder missachtet. Schließlich ist die Versuchung groß, "schlauer als der Markt" zu sein und gegen einen etablierten Trend zu handeln. Leider zahlt sich das aber in den seltensten Fällen aus - Stichwort Selbstüberschätzung.
Der fahrende Zug
So gilt es allgemein als Fehler, "auf einen fahrenden Zug aufzuspringen" - das betreffende Papier scheint einfach schon zu teuer, was es rein betriebswirtschaftlich gesehen häufig auch ist. Trotzdem ist genau das oft das Rationalste, was ein aktiver Anleger tun kann.
Allerdings sollte ein Trend dafür schon etabliert, das heißt die Trendlinie durch mehrere Wendepunkte im Chart bestätigt sein. Außerdem sollte das Engagement mit einer Stop-Loss-Order abgesichert werden (vgl. den Beitrag "Die Stop-Loss-Order - gewusst wie"). Denn irgendwann endet an der Börse jeder Trend - und wenn dies geschieht, fällt die Gegenbewegung oft heftig aus.
Die ebenso simple wie kluge Methode, nur Aktien zu kaufen, die sich gerade auf Rekordniveau befinden, wird oft auf den ungarischen Tänzer Nicolas Darvas zurückgeführt, der in den fünfziger Jahren nach dem Motto "Der Markt hat immer Recht" an der Wall Street ein Millionenvermögen machte.
Das fallende Messer
Ein typischer Anfängerfehler ist es auf der anderen Seite, eine Aktie zu kaufen, die gerade abstürzt oder sich in einem stabilen Abwärtstrend befindet. Der Reflex "Die ist jetzt aber billig, da steig ich ein" ist schon unzähligen Anlegern zum Verhängnis geworden. Denn die Börsenweisheit "Greife nie in ein fallendes Messer" kommt nicht von ungefähr: Hinter einem plötzlichen Kurseinbruch oder einem anhaltenden Abwärtstrend stehen meist handfeste fundamentale Gründe, deren ganze Tragweite erst im Nachhinein offenbar wird.
Bei einem solchen Kursverlauf den Boden zu erwischen, ist daher reine Glückssache und gelingt nur in den seltensten Fällen.
Viel klüger ist es in solchen Fällen abzuwarten, bis sich ein Papier wieder fängt und den Abwärtstrend eindeutig verlassen hat, beziehungsweise noch besser: in einen stabilen Aufwärtstrend übergegangen ist. Die anfänglichen Gewinne einer Kurserholung sind dann zwar verpasst. Aber die Chance, seinen Einstieg nicht teuer zu bezahlen, ist ungleich höher. Die Suche nach dem Boden kann man dagegen getrost anderen überlassen.
Fehler C: Mangelnde Diversifikation
Fehler C: Mangelnde Diversifikation
Wer alles auf eine Karte setzt, ist an der Börse auf Dauer verloren. Das Risiko zu begrenzen, ist eines der wichtigsten Erfolgsgeheimisse. Viele Anleger verschenken aber unnötig Geld, weil sie sich auf zu wenige Werte konzentrieren.
Können Sie von sich behaupten, dass Sie bei Ihren Anlageentscheidungen stets klaren Grundsätzen folgen? Wenn ja, Glückwunsch! Denn Sie sind in der Minderheit. Viele Depots wirken nämlich wahllos zusammengewürfelt - und heillos unterdiversifiziert. Wie die Universität Bochum einmal herausfand, bestehen 43 Prozent der deutschen Depots aus einer bis vier Aktien. Und selbst wenn zusätzlich etwa ein Fonds das Depot ziert, enthält er oft dieselben Werte wie das Depot selbst.
Ein erschreckendes Ergebnis. Denn sei es aus Selbstüberschätzung oder Nachlässigkeit: Anleger, die sich zu sehr auf einzelne Aktien, Branchen oder Märkte konzentrieren, nehmen damit unnötig hohe Risiken in Kauf.
"Nicht alle Eier in einen Korb!"
Die alte Börsenweisheit "Nicht alle Eier in einen Korb!" ist durchaus wissenschaftlich fundiert. Schon 1952 wies der Portfoliotheoretiker Harry Markowitz nach, dass ein gut diversifiziertes Portfolio eine günstigere Chance-Risiko-Struktur aufweist.
Die entscheidende Größe ist die Korrelation der einzelnen Positionen. Korrelieren die einzelnen Titel zu stark miteinander, erhöht der Anleger unnötig sein Risiko. Je schwankungsanfälliger das Depot, desto geringer ist die Chance, auf eine ordentliche Rendite zu kommen.
Man kann auch übertreiben
Allerdings kann man es mit der Streuung auch übertreiben: Nach der genannten Studie besitzen sieben Prozent der deutschen Aktionäre 20 oder mehr Aktien. Da ist es leicht, den Überblick zu verlieren und Fehlentwicklungen bei einzelnen Titeln zu spät zu erkennen.
Das Deutsche Aktieninstitut empfiehlt für ein gut gestreutes Depot acht bis zehn verschiedene Aktien. Dabei kommt es natürlich auch darauf an, wie verschieden die Aktien sind. Eine einseitige Ausrichtung auf bestimmte Branchen wie etwa den Banken- oder den Technologiesektor erhöht die Schwankungsanfälligkeit.
Empirische Untersuchungen ergeben zudem eindeutig, dass sich eine internationale Streuung der Anlagen vorteilhaft auf die Chance-Risiko-Struktur auswirkt. Dabei sollte es natürlich nicht unbedingt ein chinesischer Energie-Startup oder eine brasilianische Goldmine sein, wenn man nur über wenige Depotpositionen verfügt.
Gedanken machen!
Anleger sollten also bei der Gestaltung ihres Depots planvoll vorgehen. Was will ich, und wieviel Verlust kann ich vertragen? Je nach Risikoneigung und Anlagehorizont lassen sich den Aktien Anleihen, Zertifikate oder entsprechende ETF- und Fondslösungen beimischen.
Wer nicht genug Kapital hat, um sich mehrere Titel ins Depot zu legen, sollte überlegen, ob er mit Fonds nicht besser fährt. Denn einer der wesentlichen Vorteile eines Investmentfonds ist die breite Streuung, die sich besonders in kleinen Depots günstig auf das Chance-Risiko-Verhältnis auswirkt.
Fehler D: Falsches Timing
Fehler D: Falsches Timing
Wann die Zeit reif ist, ein Papier zu verkaufen, hängt von vielen Faktoren ab. Doch ein systematischer Anlegerfehler lässt sich klar erkennen: Viel zu oft werden Gewinner zu früh und Verlierer zu spät verkauft.
Kennen Sie das? Nicht nur fallende Kurse strapazieren die Anlegernerven. Auch wenn die Börse ausgesprochen gut läuft, neigt man zur Nervosität: "Was, wenn der Markt plötzlich dreht, und meine schönen Kursgewinne futsch sind?" Kommen noch ein paar Aspekte dazu, die für ein Ende der Rally sprechen, wird der Reiz, den Gewinn mitzunehmen, unwiderstehlich. Schließlich ist das Erfolgserlebnis erst komplett, wenn der Gewinn "im Sack" ist.
Gewinne laufen lassen!
Einfach in einem steigenden Markt zu verkaufen, ist also menschlich - aber meist ein Fehler. Und verschenktes Geld, denn leichter als in einer solchen Börsenphase lassen sich Gewinne nicht erzielen. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass ein etablierter Trend weiter geht, ist größer, als dass er endet (vgl. Fehler 2: Missachten von Trends). Ob die steigenden Kurse noch fundamental zu begründen sind, ist dabei zweitrangig. Recht hat am Ende immer nur einer - der Markt.
Der einfachste Rat: Nerven behalten und den Gewinn sichern - und zwar ohne zu verkaufen. Das kann sich als äußerst gewinnbringend erweisen. Das wichtigste Werkzeug dafür ist die Stop-Loss-Order (vgl. den Beitrag "Die Stop-Loss-Order - gewusst wie").
Verluste begrenzen!
Noch wichtiger als steigende Kurse voll auszureizen ist es aber, Verluste zu begrenzen. Denn viel zu oft ziehen Anleger zu spät die Reißleine, wenn sich ein Wert nicht wie erhofft entwickelt. Gerade deswegen schneiden Anlegerdepots oft schlechter als Indizes ab.
Dahinter steht zuweilen eine emotionale Bindung zu einzelnen Papieren, die sich mit deren tatsächlicher Performance nicht begründen lässt. Liegt eine Aktie im eigenen Depot, identifiziert man sich einfacher mit dem Geschäftsmodell des Unternehmens und dessen Management. Und das bis hin zu blinder Gefolgschaft, wie sie häufig in Anlegerforen zu beobachten ist - Wirecard lässt grüßen.
Aber auch ohne die fatale Neigung zu bestimmten Titeln fällt es einfach schwerer, mit Verlust zu verkaufen, als einen Gewinn einzustreichen. Das liegt an der wenig ausgeprägten Bereitschaft des Menschen, sich Fehlentscheidungen einzugestehen.
Auch hier verspricht eine Stop-Loss-Strategie Abhilfe: Definiert man gleich beim Kauf charttechnische Marken, an denen weitere Verluste drohen, wie Unterstützungslinien, und trennt sich konsequent von enttäuschenden Titeln, kann man sich eine Menge Kummer ersparen.
Fehler E: Zu viel Hin und Her
Fehler E: Zu viel Hin und Her
Börse macht Spaß! Welcher aktive Anleger wollte das bestreiten? Doch manche handeln zu hektisch und verschenken damit eine Menge Geld. Das hat einen eher technischen sowie einen psychologischen Grund.
"Hin und her macht die Taschen leer" lautet eine der bekanntesten Börsenweisheiten. Sie bestand schon, als es noch keine Wissenschaft gab, die sie genauer überprüft hätte. Mittlerweile gibt es eine Reihe von Studien, die zeigen, wie Anleger ihre Rendite durch zu häufiges Umschichten und damit zu hohe Kosten zerstören.
Das Ergebnis: Besonders aktive Börsianer schneiden nach Transaktionskosten fast immer deutlich schlechter ab als ein Aktienindex. Bevor der Anleger an Gewinne denken kann, wollen jedes Mal die teils noch immer stattlichen Provisionen, Maklergebühren, fremden Auslagen und/oder Spreads verdient sein.
Das gilt für Börsenprofis nur eingeschränkt. Aktienhändler bei den Investmentbanken zum Beispiel handeln oft ein und denselben Titel mehrmals am Tag hin und her, um Mini-Trends zu nutzen oder Arbitragegewinne zu realisieren. Dies allerdings mit Transaktionskosten nahe Null. Und ohne Erfolgsgarantie übrigens, denn auch die Eigenhandelsergebnisse der Banken fallen zuweilen peinlich schwach aus. Dabei unterliegen die Börsenprofis einer scharfen Beschränkung durch ausgeklügelte Kontrollsysteme, die Risikopositionen begrenzen und Fehlentwicklungen früh erkennen - von spektakulären Ausnahmen einmal abgesehen.
Umso leichter geht es schief, wenn sich Privatanleger ohne solche Sicherungen als "Daytrader" versuchen - die Erfahrungen aus den Zeiten der New-Economy-Blase sind eindeutig.
Psychofalle Selbstüberschätzung
Das liegt aber nicht allein an den Transaktionskosten - die wahren Gründe liegen tiefer. Wer rasche, riskante Entscheidungen bei unvollkommener Information trifft, darf sich als "Macher" fühlen. Und stellt sich dabei Erfolg ein, sind Allmachtsfantasien nicht weit. Allzu leicht wird dabei Glück mit Urteilsvermögen verwechselt - Stichwort Selbstüberschätzung. Vorschnelle Entscheidungen und erhöhte Handelsaktivität lassen da nicht lange auf sich warten.
Wie sehr sich die Strategie des "buy and hold", also kaufen und halten, lohnen kann, mag ein Beispiel illustrieren: Wer vor zehn Jahren ein simples Indexzertifikat auf den Dax gekauft hat, könnte derzeit rund 85 Prozent Rendite nach Kosten einstreichen. Ohne die ganze Zeit über auch nur einen Finger krumm gemacht zu haben. Auch wenn es keiner zugeben mag - mit aktivem Handeln haben das längst nicht alle Anleger geschafft.
Stillhalten nicht übertreiben
Erst recht auf lange Sicht wird der selige André Kostolany mit seinem berühmten Rat "Kaufen Sie Standardaktien und eine Packung Schlaftabletten und legen Sie sich ein paar Jahre hin" Recht behalten. Allerdings - wie der Zehn-Jahres-Chart des Dax auch zeigt - sind die Zeiten seit der Jahrtausendwende schwieriger geworden: Auch die Standardwerte schwanken stärker als zuvor. Die "paar Jahre" dauern also unter Umständen etwas länger als früher.
Entsprechend kann man es mit dem Stillhalten auch übertreiben. Auch passive Anleger mit erprobten Standardwerten im Depot sollten sich regelmäßig um ihre Schätzchen kümmern. Bei eindeutigen Fehlentwicklungen ist es ein Muss, das Depot umzuschichten und die Verluste zu begrenzen. Handlungsbedarf besteht etwa, wenn der Gesamtmarkt einen klaren Abwärtstrend etabliert oder wenn ein Unternehmen seinen bisherigen Gewinnpfad verlässt und wiederholt enttäuscht.
Fehler F: Selektive Wahrnehmung
Fehler F: Selektive Wahrnehmung
Das wussten schon die alten Griechen: Die Realität und wie wir Menschen sie verarbeiten, sind zwei verschiedene Dinge. An der Börse treibt die selektive Wahrnehmung aber besonders teure Blüten.
An der Börse ist er allgegenwärtig, der menschliche Tunnelblick. Meist begegnet er uns schon beim Kauf: Ist man auf die Idee gekommen, einen Titel zu kaufen, sucht man Verstärkung. Man neigt dazu, bestätigende Argumente unkritisch zu übernehmen. Gegenargumente werden dagegen eher als störend empfunden und verdrängt.
In verschärfter Form lässt sich dies schön in den einschlägigen Internet-Foren verfolgen. Vernünftige Warner haben dort oft einen schweren Stand. Manche Fans einer bestimmten Aktie oder Anlageidee lassen sich selbst durch erdrückende Fakten nicht von ihrer Meinung abbringen - Wirecard lässt grüßen.
Dieser Verdrängungsmechanismus setzt sich fort, wenn es um die Bewertung der eigenen Depotpositionen geht. Gewinner werden gefeiert, Verlustbringer umso lieber ausgeblendet. Ein Phänomen, das sich beispielsweise auch an der Nutzung der virtuellen Depots bei boerse.ARD.de beobachten lässt. Steigt der Dax, brummen die Server, weil sich viele Börsianer über die Fortschritte ihrer Schätzchen freuen wollen. Fallen die Kurse, wollen es viele nicht mehr so genau wissen und die Zahl der Depotzugriffe geht deutlich zurück.
Die Angst vor dem Versagen
Die Wissenschaft führt dieses Verhalten darauf zurück, dass Menschen sich ungerne Fehler eingestehen. Wie Studien mit Anlegern ergaben, schmerzen Verluste deutlich mehr, als Gewinne in gleicher Höhe erfreuen. Denn ein Kursverlust bedeutet zugleich eine Fehlentscheidung, deren Eingeständnis mit Schuldgefühlen und Reue einhergeht. Solche Dissonanzen versuchen Menschen gerne zu vermeiden.
Das erklärt die Zurückhaltung der Börsianer, wenn es ans Realisieren von Kursverlusten geht. Selbst wenn die Aussichten für den Kursverlierer trübe sind - die Hoffnung, dass der Posten doch wieder die Pluszone erreicht, stirbt zuletzt. Schließlich ist das Misserfolgs-Erlebnis erst komplett, wenn der Verlustbringer verkauft wurde. Aussitzen tut dagegen weniger weh. Hand aufs Herz: Lässt sich so nicht manche Depotleiche aus längst vergangenen seligen Zeiten erklären? Werden aber Verluste ausgeblendet, wird auch das Lernen aus Fehlern erschwert.
Tipp: Transaktionen andersherum betrachten!
Um der selektiven Wahrnehmung ein Schnippchen zu schlagen, ist es hilfreich, seine Transaktionen grundsätzlich auch aus der entgegengesetzten Perspektive zu betrachten. Wollen Sie eine Aktie kaufen, überlegen Sie sich, was für einen Verkauf des Titels sprechen würde. Denken Sie umgekehrt daran zu verkaufen, überlegen Sie sich zuerst, ob es nicht auch starke Argumente für einen Kauf des Papiers gibt. Würden Sie eine Depotleiche heute auf keinen Fall mehr kaufen, sollten Sie überlegen, ob Sie sie nicht schleunigst loswerden sollten.
Haben Sie sich zu einem Kauf entschlossen, sollten Sie gleichzeitig Ihre persönliche Schmerzgrenze bestimmen: Welchen Verlust will ich mir höchstens mit diesem Titel leisten? Ein einfaches Mittel, solche Schmerzgrenzen umzusetzen, sind Stop-Loss-Orders. Die funktionieren meist besser als rein "mentale" Verlustbremsen - die selektive Wahrnehmung lässt grüßen!