Personalnot im Erziehungswesen Die Kita-Katastrophe
Viele Kitas leiden unter akutem Personalmangel. Bei Ausfällen müssen Betreuungszeiten reduziert oder ganze Gruppen geschlossen werden. Die Leidtragenden sind berufstätige Eltern.
"Heute keine Betreuung möglich" - eine Nachricht von der Kita, die Alex Liefermann und seine Partnerin in letzter Zeit regelmäßig morgens per E-Mail erreicht. In der Tagesstätte ihres Sohnes Liam fehlt es immer öfter an Erzieherinnen und Erziehern. Inzwischen hat sich die Situation so zugespitzt, dass der Vierjährige oft zwei Tage die Woche zu Hause bleiben muss.
Die Mutter arbeitet im Einzelhandel - Homeoffice unmöglich. Und auch auf die Arbeit kann sie Liam nicht einfach mitbringen. So bleibt die Betreuung oftmals an ihrem Partner hängen. Inzwischen sage er viele Aufträge bereits im Vorhinein ab, so Liefermann, der freiberuflich in der Medienbranche arbeitet. "Man hat immer wieder Angst, bei der Arbeit anzurufen und zu sagen, man kann heute wieder nicht kommen", sagt er.
Die Ungewissheit belastet nicht nur den Alltag, sondern wirkt sich inzwischen auch finanziell auf das Familienleben aus. "Wir haben zwischen 300 Euro und 500 Euro im Monat weniger. Wir können uns einfach nicht mehr alles leisten. Eis essen ist nicht mehr so oft drin oder einfach mal ein Kinobesuch. Das belastet, weil vor allem die Kinder so oft zurückstecken müssen", erklärt der Vater.
Erzieherinnen und Erzieher an Belastungsgrenze
Fehlende Kitabetreuung kennen auch Danny Eggert und seine Partnerin Christin Dieckhöfer. Am Morgen checken sie als allererstes ihre Handys. "Man schaut, ist da eine Nachricht, ist da eine Mail oder ein verpasster Anruf. In unserer Kita gibt es zehn Notfall-Betreuungsplätze. Die wollen alle haben. Und wenn man zu spät aufs Handy schaut, ist man der Elfte. Dann haben wir echt ein Riesenproblem", sagt der Vater. Die beiden sind voll berufstätig und somit auf die Kita von Tochter Hannah angewiesen. Die Eltern sorgen sich, dass die Betreuungszeiten in Zukunft dauerhaft reduziert werden könnten.
Auch für die Erzieherinnen und Erzieher ist die aktuelle Situation nicht einfach. Sie bekommen oft den Frust der Eltern zu spüren und können gleichzeitig nicht ihren eigenen pädagogischen Anspruch erfüllen. "Es ist an den meisten Tagen sehr frustrierend: Man nimmt sich etwas vor, und dann kommt es zu Personalausfällen. Man möchte mehr leisten, doch schafft es nicht, wenn man die Aufsichtspflicht noch nebenbei erfüllen muss", sagt Erzieherin Ann-Christin Schlosza. Ihrer Meinung nach wollen immer weniger Menschen in der Kita arbeiten, weil die Bedingungen so schlecht seien: "Keiner hat Lust auf eine Mängelverwaltung und den sehr stressbelasteten Arbeitsalltag", so Schlosza.
Rechtliche Rahmenbedingungen als Problem
Viele Kindertagesstätten suchen händeringend nach Erzieherinnen und Erziehern. In den 48 Einrichtungen der Diakonie Düsseldorf fehlen derzeit rund 80 qualifizierte Vollzeitkräfte. Oft sind die Einrichtungen nicht in der Lage, die Betreuung der Kinder sicherzustellen. "Es gibt im Augenblick nicht ausreichend ausgebildetes Personal. Die Ausbildung dauert drei Jahre", sagt Michael Schmidt, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Düsseldorf. "Das heißt, wir können diese Lücke nicht von heute auf morgen stopfen. Gefühlt sind wir jeden Tag in einer Notsituation".
Auf der anderen Seite müsse darauf geachtet werden, dass die Belastung für die bestehenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht weiter ansteige. Sein Vorschlag: Die Personalstandards aufgrund des Fachkräftemangels temporär absenken. "Wir haben sehr erfahrene Kinderpfleger und Helfer, die durchaus in der Lage wären, eine Gruppe zu betreuen. Da haben wir hohes Vertrauen. Doch im Augenblick ist das rechtlich nicht möglich", erklärt Schmidt.
Geringer qualifizierte Kinderpfleger sollen Erzieher entlasten
Das Land Niedersachsen plant bereits derartige Änderungen. Ein Gesetzesentwurf sieht vor, dass in Zukunft auch erfahrene pädagogische Kräfte ohne eine dreijährige Ausbildung unter bestimmten Bedingungen Gruppen betreuen können. Das Gesetz in Nordrhein-Westfalen verlangt für die Betreuung von Gruppen bislang eine dreijährige Ausbildung. Kinderpflegerinnen und Kinderpfleger mit zweijähriger Ausbildung dürfen das nicht allein. Mit einer Gesetzesänderung könne mehr Flexibilität und Verlässlichkeit geschaffen werden, so Schmidt.
Bund und Länder sind gefragt
Die Krise in den Kitas beschäftigt auch Berlin: Bundesfamilienministerin Lisa Paus präsentierte jüngst gemeinsam mit den Ländern ein Strategiepapier, um mehr Fachkräfte zu gewinnen. Danach fehlen bundesweit derzeit bis zu 90.000 Erzieherinnen und Erzieher. Die Bundesfamilienministerin sei sich bewusst, dass der Personalmangel in den Kitas Eltern immer wieder dazu zwingt, kurzfristige Lösungen zu finden. Dies sei kein akzeptabler Zustand.
Paus' Lösungsansatz: Der Bund finanziert eine dreijährige Umschulung für Menschen, die den Beruf als Erzieherin oder Erzieher ergreifen wollen. Und auch ausländische Fachkräfte sollen die Personallücken künftig schließen. "In der aktuellen Situation braucht es dringend Maßnahmen, die sofortige Entlastung für die Familien bieten", fordert auch Familienvater Liefermann. Er fürchtet vor allem um das, was Liam jetzt in der Kita verpasst.