Streit um das Homeoffice Pflicht-Rückkehr ins Büro als Kündigungsgrund?
Arbeiten im Homeoffice ist etabliert - doch immer mehr Firmen fordern die Rückkehr ihrer Mitarbeiter ins Büro. Bei vielen Beschäftigten löst das Unmut aus. Manche sind deshalb sogar zum Jobwechsel bereit.
"Return to Office": Dieser Begriff beschreibt die aktuelle Entwicklung in vielen Unternehmen, Mitarbeiter zumindest für eine gewisse Anzahl an Tagen aus dem Homeoffice zurück ins Büro zu holen.
Eine weltweit angelegte Studie des Immobilien-Beratungsunternehmens JLL ergab kürzlich, dass 33 Prozent der befragten Unternehmen bereits eine Präsenzpflicht eingeführt haben. Weitere 27 Prozent könnten sich vorstellen, dies demnächst zu tun.
Immer mehr Unternehmen ziehen danach auch in Erwägung, Beschäftigte dafür zu belohnen, dass sie ins Büro kommen - mit bevorzugten Aufgaben, Gehaltserhöhungen oder Beförderungen.
SAP will Büropflicht einführen
Der deutsche Softwarekonzern SAP beispielsweise kündigte im Januar an, eine Büropflicht zu verordnen. Ab April sollen die Mitarbeiter an drei Tagen pro Woche im Büro oder vor Ort bei Kunden oder Partnern arbeiten.
Auf Nachfrage von tagesschau.de, warum SAP dies tue, heißt es vom Unternehmen: "Bei SAP sind wir nach wie vor davon überzeugt, dass ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeit im Homeoffice und im Büro die Produktivität und Innovationskraft als auch das Wohlbefinden der Mitarbeiter fördert."
"Vielleicht blutet sein Controller-Herz"
Eberhard Schick, Betriebsratsvorsitzender bei dem Softwarekonzern, spricht sich gegen diesen Schritt aus: "Ich weiß nicht genau, was sich SAP-Chef Christian Klein davon verspricht. Vielleicht blutet ihm sein Controller-Herz. Jedenfalls muss er das erst einmal mit dem Betriebsrat verhandeln. Das kann dauern."
Schließlich hätten sich die Mitarbeiter auf das Arbeiten aus dem Homeoffice eingestellt und entsprechend eingerichtet. Außerdem habe SAP während der Pandemie zahlreiche physische Arbeitsplätze abgebaut. "Wir wissen gar nicht, wo die Mitarbeiter sitzen sollten."
Unmut der Belegschaft wächst
Gegenüber tagesschau.de kündigt Schick an, sich bei einer Betriebsversammlung gegen die geplanten Maßnahmen zu stellen: "Ein Arbeitgeber kann eine bestehende Betriebsvereinbarung nicht einseitig ändern und für Mitarbeiter Präsenztage im Büro anordnen. Wir hoffen, das auch ohne einen Rechtsstreit hinzubekommen."
Auch in der Belegschaft mache sich zunehmend Unmut breit. "Die Mitarbeiter sind sauer. Ihnen fehlt die Verlässlichkeit", sagt Schick.
Väter-Sonderurlaub wird gestrichen
Neben der geplanten Büropflicht soll bei SAP nun auch der geplante Sonderurlaub für Väter nach der Geburt gestrichen werden. "Das ist unseriös. Als wären wir in einem kleinen Betrieb, in dem Patriarchen entscheiden, was passiert", so der Betriebsratschef.
Seitdem Klein das Unternehmen führe, habe sich vieles verändert. "Sicher verspricht er sich durch die zahlreichen Maßnahmen mehr Anbindung an das Unternehmen und Kommunikation zwischen den Beschäftigten, insbesondere die bessere Einbindung jüngerer Kolleginnen und Kollegen", sagt Schick. Das Wichtigste für den Konzernchef sei, die finanziellen Zielsetzungen für 2025 zu erreichen. "Dafür wird auch manches geopfert."
"Es wird ungern darüber verhandelt"
Auch in anderen Firmen löst eine eingeforderte Rückkehr ins Büro Unzufriedenheit bei den Mitarbeitern aus. Fehlt im Unternehmen die Möglichkeit, orts- und zeitflexibel zu arbeiten, sehen dies laut einer Studie der Technischen Universität Darmstadt 24 Prozent der Beschäftigten sogar als möglichen Kündigungsgrund. Zu diesem Ergebnis kommt eine Befragung unter mehr als 1.100 Beschäftigten in der sogenannten "Wissensarbeit". Dazu werden Fachkräfte mit besonders hohen Qualifikationen gezählt, etwa Ingenieure, Forscher, Ärzte oder Juristen.
"Die Beschäftigten sehen mobile und flexible Arbeit überwiegend als enormen Zugewinn und möchten ungern darüber verhandeln", so Kyra Voll, Projektleiterin am Fachgebiet Immobilienwirtschaft an der TU Darmstadt. "Wenn also der Arbeitgeber die Beschäftigten zwingt, ins Büro zu kommen, dann agiert er gegen dessen Zufriedenheit und Produktivität und geht letztlich ein hohes Kündigungsrisiko ein."
"Coffee Badging" als stiller Protest
Auch nach Einschätzung des Generationenforschers und Unternehmensberaters Rüdiger Maas müssen Unternehmen mit einer Abwehrhaltung von Angestellten rechnen, wenn sie die Möglichkeit zum mobilen Arbeiten verwehren.
"Das sogenannte Coffee Badging ist zum Beispiel eine Art stiller Protest zur Büropflicht geworden, bei dem Mitarbeiter nur zu den wichtigen Meetings kommen und ihre Anwesenheit vorgeben", so Maas. "Anschließend verschwinden sie dann wieder ins Homeoffice." Vor allem eine Büropflicht, die unbegründet eingeführt wird, könne potenzielle Arbeitskräfte abschrecken.
Homeoffice hat auch Nachteile
Trotzdem habe die Arbeit aus dem Homeoffice auch eine Kehrseite, betont Maas. "Während der Pandemie haben viele Mitarbeiter beklagt, dass ihnen die soziale Interaktion fehle, dass die digitalen Meetings anstrengender seien als analoge. Die Rede ist von Videokonferenz-Fatigue."
Vor allem für Berufsanfänger sei der rein digitale Arbeitsplatz nicht geeignet. "Für sie birgt ein reiner Remote-Arbeitsplatz zu viele Grauzonen, der Arbeitgeber ist zu austauschbar und die Selbstorganisation zu schwer." Trotzdem sei es wichtig, auch den jungen Menschen die Option Homeoffice zu gewähren.
Eine gesetzlich verankertes Recht auf Homeoffice gibt es in Deutschland nicht. Wenn sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber einig sind, können sie darüber allerdings eine Betriebsvereinbarung treffen. Immer wieder gibt es Forderungen aus der Politik, dies dauerhaft gesetzlich zu regeln. So hat sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck für ein Recht auf Homeoffice ausgesprochen - mit Verweis auf den Fachkräftemangel. Auch Arbeitsminister Hubertus Heil unterstützt dies.