Eine Frau tippt auf einem Tablet auf einen Link zum Beantragen des Bürgergeldes
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Deutscher Arbeitsmarkt Was bringen schärfere Bürgergeldsanktionen?

Stand: 06.01.2024 15:24 Uhr

Arbeitsminister Heil will schärfere Sanktionen für einige Bürgergeldbezieher. Doch wie viel bringt das für die Integration in den Arbeitsmarkt? Experten warnen vor "Nebenwirkungen".

Eine Analyse von Alina Leimbach, hr

Mehr fördern, weniger fordern: So lautete die Maxime des Bürgergelds, die Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bei der Reform der Grundsicherung ausgab. Die Idee: Mit mehr Unterstützungsangeboten und etwas weniger Druck sollten Arbeitslose sowohl nachhaltiger, als auch in besser bezahlte Jobs vermittelt werden. Die Sanktionen für Melde- und Mitwirkungsverstöße wurden auf maximal 30 Prozent reduziert. Das hatte zuvor auch das Bundesverfassungsgericht angemahnt.

Nun will Heil in der Haushaltskrise doch wieder ran an die Grundsicherung - und die Strafen, nur wenige Monate nach deren Abschwächung, wieder verschärfen. Wer einen Job ablehnt, dem soll künftig der Regelsatz von aktuell 563 Euro ganz gestrichen werden können. Die Miete und Heizkosten sollen aber weiter bezahlt werden. Wer "sich allen Angeboten verweigert, muss mit härteren Konsequenzen rechnen", sagte Heil der "Bild"-Zeitung. Das solle einige wenige adressieren, "die sich gegenüber einer zumutbaren Arbeitsaufnahme beharrlich verweigern", so die Begründung.

Welche Erfahrungen Jobcenter machen

Heil argumentiert auch mit den Bedürfnissen der Jobcenter. Auch auf Anfrage von tagesschau.de antworten einige Jobcenter in diesem Sinne. "Für einen Teil der Bürgergeldempfänger ist das Risiko finanzieller Einbußen der entscheidende Faktor, konstruktiv mit dem Jobcenter zusammenzuarbeiten", erklärt etwa die Sozialdezernentin Diana Stolz des Landkreises Bergstraße, in deren Verantwortungsbereich das dortige kommunale Jobcenter des südhessischen Kreises fällt.  

Doch wie groß ist die Wirkung von Sanktionen, vor allem auch die von schärferen? Joachim Wolff, Leiter des Bereichs Grundsicherung und Aktivierung beim Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB), sagt: "Inzwischen gibt es eine ganze Reihe Studien, die zeigen, dass durch Sanktionen Übergänge in Beschäftigung kurzfristig erhöht werden." Wie stark der Effekt sei, lasse sich aber nicht genau sagen, weil alle Studien sehr verschieden ausgelegt seien. Dazu kommen Konjunktureffekte. "Tatsächlich zeigt sich auch, dass schärfere Sanktionen tendenziell auch größere Wirkung auf die Übergänge in den Job haben", sagt der Grundsicherungsexperte.

Sanktionen wirken aber auch indirekt als Abschreckung. "Ich muss nicht sanktioniert werden. Es reicht, dass ich weiß, dass es die Option gibt, damit ich unter Umständen mein Verhalten anpasse", sagt Wolff. Doch wie groß dieser Effekt ausfällt, ist bisher wenig erforscht. Der Arbeitsmarkt-Experte arbeitet dazu aktuell an einer Studie.

Langfristig landen Sanktionierte in instabileren Jobs

"Das Ganze ist aber ein zweischneidiges Schwert", betont Wolff. Denn es gebe einige unerwünschte Nebenwirkungen. Zwar bescheinigen Studien, dass es Vorteile hat, möglichst schnell wieder in Arbeit zu kommen, um nicht dauerhaft ausgemustert zu werden. Doch eine weitere IAB-Studie kommt zum Schluss, dass Sanktionierte zwar kurzfristig schneller einen Job finden als Nicht-Sanktionierte, sich der Effekt aber langfristig umkehrt. Im Fünfjahresvergleich seien Menschen, die eine Sanktion erhalten haben, sogar etwas öfter ohne Arbeit. Zudem verdienten sie weniger als die Vergleichsgruppe.

Das steht konträr zu dem von Heil mit dem Bürgergeld anvisierten Hauptziel: Menschen in nachhaltige und auskömmliche Beschäftigung zu bringen, von der sie leben können. Und durch eine drohende 100-Prozent-Sanktion bei Nichtannahme eines Jobs könnte dieser Effekt sich wieder verstärken.

Dazu kommen weitere Probleme, vor allem bei scharfen Sanktionen. "30 bis über 50 Prozent haben in einer Studie von 2018 angegeben, ihrer Integrationsfachkraft nach einer Vollsanktion nicht mehr zu vertrauen", sagt Wolff. "Das ist für die Vermittlung in Arbeit nicht hilfreich."

Wirklich nur "beharrliche" Verweigerer im Fokus?

Zudem gibt es Kritik an der Treffsicherheit der Maßnahme. Zwar hat Hubertus Heil gegenüber der "Bild"-Zeitung gesagt, die geplanten Verschärfungen sollten "Totalverweigerer" treffen, die dauerhaft nicht mitarbeiten. "Das steht so aber nicht im Gesetzentwurf", sagt Sozialrechtler Harald Thomé. "Es besteht die deutliche Gefahr, dass diese Sanktionsregel breit gestreut angewendet wird, also bei Ablehnung oder Abbruch einer Arbeit, was dann den Verlust sämtlicher Leistungen nach sich ziehen würde."

Dann gebe es "kein Geld mehr für Essen, kein Geld für Strom, und auch kein Geld für Telekommunikation", erklärt er. Die Folgen: Verschuldung droht, besonders, weil das Bürgergeld so niedrig bemessen sei, dass Bezieher keine Rücklagen bilden können.

"Sanktionen treffen vor allem die Verwundbarsten"

Die Wetzlarer Arbeitsloseninitiative WALI im hessischen Lahn-Dill-Kreis arbeitet mit Bürgergeldempfängern mit psychosozialen Problemen, zum Beispiel Angststörungen oder Suchtproblemen. Sie werden hier wieder stabilisiert und für den Arbeitsmarkt fit gemacht, indem sie beispielsweise das Essen für die anderen Teilnehmer planen und zubereiten, mit Gartenarbeit oder Kreativkursen.

Arbeitsanleiter Stefan Wagner hat Sorge vor der Verschärfung: "Sanktionen treffen vor allem die Verwundbarsten." Bei WALI bekomme er mit, dass viele Angst haben, den Briefkasten zu leeren, oder Post aufzumachen. Sollte es in einer schlechten Phase doch mal zu einem Jobangebot kommen, das dann übersehen wird, stünden die Betroffenen schnell vor dem Nichts. Mit möglicherweise dramatischen Folgen: Verschuldung, soziale, psychische oder gesundheitliche Probleme verschärfen sich. "Und von so Menschen gibt es im Bürgergeld viele. Viel mehr zahlenmäßig, als man denkt."

Kinder könnten mitbetroffen sein

Auch einige Landkreise, die selbst Jobcenter betreiben, weisen auf diese Risiken hin. So beispielsweise die Sozial- und Jugenddezernentin Christel Sprößler des Landkreis Darmstadt-Dieburg, in deren Verantwortungsbereich das dortige kommunale Jobcenter fällt. "Eine Totalstreichung führt zu absoluten Härten, insbesondere wenn Kinder mit dabei sind. Obwohl die Mieten in diesen Überlegungen nicht betroffen sind, kann die Unterversorgung der Menschen auch zu Wohnungsverlusten führen, was eine Rückkehr in den Arbeitsmarkt weiterhin drastisch erschwert."

Auch sie beobachtet, dass weniger Unwille, sondern gesundheitliche Beeinträchtigungen und psychische Erkrankungen der Grund für fehlende Zusammenarbeit seien. Nur ein verschwindend kleiner Personenkreis seien absolute Verweigerer. 

Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit

Der Sozialrechtler Thomé hält die geplante hunderprozentige Streichung des Regelsatzes in der Tragweite ohnehin für nicht verfassungsgemäß. "Es müssten mindestens Lebensmittelgutscheine vorgesehen sein, und auch die Strom- und Telekommunikationspauschalen müssten weiter ausgezahlt werden, denn Strom gehört zu den Unterkunftskosten, und das Bundesverfassungsgericht hat klar und deutlich gesagt: Diese dürfen nicht tangiert werden, denn dann wäre eine Sanktion verfassungswidrig." Sonst könnten Betroffene gar nicht weiter nach Jobs suchen. Auch er weist auf das Risiko der Kollektivbestrafung für Verwandte mit hin. "Und wie genau man diese erhebliche Sanktion dann beenden soll, das erscheint mir derzeit nicht ausreichend definiert."

Zusammenfassend lässt sich sagen: Sanktionen wirken, sie haben aber auch teils drastische Nebenwirkungen und möglicherweise sogar Effekte, die dem eigentlichen Ziel der Integration in den Arbeitsmarkt schaden. Je größer die Sanktion ausfällt, umso stärker zeigen sich diese Effekte - in beide Richtungen. Und sie können offenbar auch die Falschen treffen.

Welche Alternativen gibt es?

IAB-Forscher Wolff rät daher vom aktuell geplanten kompletten Leistungsentzug ab: "Wenn man den Weg der Verschärfung gehen will, halte ich es für sinnvoller, die Sanktion über einen längeren Zeitraum zu strecken als auf eine so drastische Maßnahme wie der Totalstreichung zurückzugreifen."

Auch im Jobcenter im Landkreis Darmstadt-Dieburg würde man sich über einen anderen Ansatz freuen. Dort setzt man nach eigenen Angaben schon einige Zeit erfolgreich auf aufsuchende Arbeit, um Menschen zu erreichen, die fürs Jobcenter sonst nicht gut zu fassen sind. Und auch Arbeitsanleiter Wagner aus Wetzlar glaubt, dass statt Sanktionieren etwas anderes besser wirken könnte: "Motivieren, den Menschen zeigen, dass sie etwas können, mit ihnen zusammenarbeiten. Das machen wir hier. Und hier zeigt sich: das funktioniert."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 06. Januar 2024 um 16:00 Uhr.