Arbeitszeit auf Höchststand So viele Stunden arbeiten die Deutschen
Im wiedervereinigten Deutschland wurde noch nie so viel gearbeitet wie im Jahr 2023. Gleichzeitig ist die durchschnittliche Wochenarbeitszeit der Beschäftigten allerdings kontinuierlich gesunken.
Trotz der Konjunkturflaute wird in Deutschland einer Studie zufolge so viel gearbeitet wie noch nie. Die abhängig Beschäftigten kamen im vergangenen Jahr auf insgesamt rund 55 Milliarden Stunden, wie aus einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hervorgeht. Das sei der höchste Wert seit der Wiedervereinigung.
1991 waren es danach noch 52 Milliarden Stunden, auf dem Tiefpunkt 2005 sogar nur 47 Milliarden Stunden. Gleichzeitig sinke aber die durchschnittliche Wochenarbeitszeit der Beschäftigten kontinuierlich. Die Analyse basiert auf Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) und der Volkwirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR).
Potenzial von Frauen teilweise ungenutzt
"Das Gesamtarbeitsvolumen ist vor allem gestiegen, weil immer mehr Frauen erwerbstätig sind", sagte Studienautor Mattis Beckmannshagen. "Allerdings ist fast die Hälfte der Frauen in Deutschland teilzeitbeschäftigt, obwohl einige gern mehr arbeiten würden." Ihr Potenzial für den Arbeitsmarkt bleibe also teilweise ungenutzt. Die hohe Teilzeitquote führe zu einer relativ geringen durchschnittlichen Arbeitszeit aller Beschäftigten von 34,7 Wochenstunden.
Die Erwerbsbeteiligung von Frauen in Deutschland ist den Angaben zufolge zwischen 1991 und 2022 um 16 Punkte auf 73 Prozent gestiegen. Darin spiegele sich der gesellschaftliche Wandel vom Einverdiener- zum Zweiverdienerhaushalt wider. Allerdings würden Frauen immer noch deutlich mehr Zeit für Kinderbetreuung und Hausarbeit aufwenden als Männer. Bei der Erwerbsarbeit ist es demnach nach wie vor genau umgekehrt: Frauen arbeiten durchschnittlich etwa 33 Stunden, Männer hingegen 40 Stunden.
Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit von Männern ist laut DIW zwar seit 2011 leicht rückläufig, bei der Sorge- und Hausarbeit holen sie aber nur langsam auf. Wenn sich der aktuelle Trend fortsetze, werde es vor allem bei der Kinderbetreuung "noch Jahrzehnte dauern, bis Männer und Frauen gleich viel Zeit dafür aufwenden", so die Forscher.
DIW empfiehlt Reform der Lohnsteuerklassen
Dabei entsprechen die realisierten Arbeitszeiten nicht zwangsläufig den Wünschen der Beschäftigten: Der Anteil von Frauen, die ihre Arbeitszeit aufstocken wollen, ist der Studie zufolge höher als bei Männern. Außerdem ermittelten die Wissenschaftler, dass Frauen in Westdeutschland häufiger unterbeschäftigt seien als in Ostdeutschland. Bei Männern bestehen dagegen keine regionalen Unterschiede.
Zudem seien geringfügig Beschäftigte beider Geschlechter besonders häufig unterbeschäftigt. Eine Ausweitung der Arbeitszeit scheine an der monatlichen Verdienstgrenze für einen Minijob (von derzeit 538 Euro) zu scheitern, hieß es weiter. "Um dem Fachkräftebedarf zu begegnen, sollten das Arbeitsmarktpotenzial von Frauen besser genutzt und Fehlanreize behoben werden", sagte Studienautorin Annika Sperling.
Reformen der Lohnsteuerklassen und des Ehegattensplittings könnten dazu beitragen, dass es sich für Frauen als Zweitverdiener mehr lohne, ihre Arbeitszeit über die Minijob-Grenze hinaus auszuweiten. Dazu bedürfe es aber auch einer gerechteren Aufgabenverteilung zwischen den Geschlechtern bei Kinderbetreuung und Haushalt. Die Politik könne diese Entwicklung mit zusätzlichen Kita-Plätzen und Elternzeitregelungen für Väter unterstützen.