Olha Stefanischyna
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Krieg gegen die Ukraine ++ Vizeregierungschefin warnt vor Kriegsmüdigkeit ++

Stand: 24.11.2023 22:08 Uhr

Die ukrainische Vizeregierungschefin Stefanischyna warnt vor einer wachsenden Kriegsmüdigkeit in Europa. Ukrainische Behörden melden neue russische Angriffe auf die Stadt Awdijiwka. Der Liveblog zum Nachlesen.

24.11.2023 • 22:08 Uhr

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Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat per Erlass mehrere hochrangige Generäle der Nationalgarde entlassen. Als hochrangigster Offiziere musste der 1. stellvertretende Chef der Nationalgarde, Generalleutnant Wolodymyr Kondratjuk gehen, wie aus neuen Präsidialerlassen hervorgeht. Daneben traf es drei weitere Stellvertreter, Generalleutnant Olexandr Nabok, und die beiden Generalmajore Oleh Sachon und Mykola Mykolenka. Bis auf Sachon waren alle Generäle schon vor dem Krieg im Amt.

Die Hintergründe der Umbesetzungen in der Führung der Nationalgarde sind noch nicht bekannt. Erst vor wenigen Monaten hatte Selenskyj den Chef der Behörde ausgetauscht und mit Olexandr Piwnenko einen kampferfahrenen Offizier an die Spitze gesetzt. Die Nationalgarde ist ein paramilitärischer Verband, der dem ukrainischen Innenministerium untersteht und eigentlich für Grenzsicherung und den Schutz der inneren Sicherheit verantwortlich ist. Nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine kämpft die Nationalgarde aber auch an der Front.

Die Ukraine hofft nach Angaben ihres Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auf den Beginn von Beitrittsverhandlungen zur EU im Dezember. Bei einem Treffen habe er Lettlands Präsidenten Edgars Rinkevics darüber informiert, wie die Ukraine die Empfehlungen der Europäischen Kommission umgesetzt habe und dass das Land bereit zu Beitrittsgesprächen im Dezember sei, sagte er in seiner täglichen Videobotschaft. "Wir warten auf diese Entscheidung und darauf, dass die Europäische Union ihre Versprechen erfüllt", fügte Selenskyj hinzu.

Das russische Justizministerium hat den früheren Ministerpräsidenten Michail Kasjanow als sogenannten ausländischen Agenten eingestuft. Kasjanow, der von 2000 bis 2004 erster Ministerpräsident in der Ära von Staatschef Wladimir Putin war, habe sich unter anderem an der Erstellung und Verbreitung von Botschaften anderer ausländischer Agenten beteiligt und Desinformation über Entscheidungen der russischen Behörden gestreut, hieß es in einer Mitteilung des Ministeriums. Nach einem vom Westen vielfach kritisierten Gesetz werden Personen und Organisationen, die Geld oder Unterstützung aus dem Ausland erhalten, in Russland als ausländische Agenten eingestuft. Allein schon die Bezeichnung kann die Glaubwürdigkeit der Betroffenen diskreditierten. Alle ihre Veröffentlichungen müssen auf diesen Status hinweisen.

Trotz des anhaltenden russischen Angriffskriegs will die ukrainische Führung Soldaten am Ende ihrer Pflichtwehrdienstzeit aus den Streitkräften entlassen. In der Generalstabssitzung seien schwere Fragen der Mobilmachung, Demobilisierung und Rotation angesprochen worden, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj am Freitag in seiner täglichen Videobotschaft. Es gehe um Wehrpflichtige, die noch vor Beginn des Kriegs eingezogen worden seien.

Während der Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats der Ukraine, Olexij Danilow, erklärte, die Entlassungen sollten schon in nächster Zeit beginnen, hielt sich Selenskyj selbst deutlich bedeckter. In der nächsten Woche soll demnach erst einmal ein konkreter Plan zur Mobilmachung vorgestellt werden.

Derzeit dienen rund 820 000 Ukrainer in den Streitkräften. Um zumindest einen Teil der Wehrpflichtigen für eine bestimmte Zeit nach Hause schicken zu können, müssen andere Soldaten rekrutiert werden, damit die Front nicht zusammenbricht. In den vergangenen Wochen gab es mehrere Demonstrationen von Angehörigen dieser Wehrdienstleistenden, die eine stärkere Rotation forderten, um den Kämpfern die Möglichkeit zu geben, sich für einen längeren Zeitraum zu erholen.

Der häufige Luftalarm wegen der Gefahr russischer Raketenangriffe in der Ukraine ist nicht nur lästig, sondern auch teuer. Jeder Tag erzwungenen Stillstands durch Luftalarme koste den ukrainischen Haushalt drei Milliarden Hrywna (etwa 76 Millionen Euro) an Steuereinnahmen, rechnete der Chef des Steuerkomitees im Parlament, Danylo Hetmanzew, vor. Pro Monat würden durch die häufigen Alarmsirenen mindestens zwei Tage verloren gehen. Damit liege der Verlust für Budget und Rentenkasse bei monatlich sechs Milliarden Hrywna (152 Millionen Euro). Das sei mehr, als die Ukraine beispielsweise im Monat für die Vorschulausbildung (umgerechnet 112 Millionen Euro) ausgebe, schrieb Hetmanzew.

Luftalarme werden häufig durch das Aufsteigen russischer Kampfjets provoziert. Nicht immer folgt dann auch ein Raketenabschuss. Allerdings hat Russlands seit vergangenem Herbst regelmäßig Städte und zivile Objekte im Hinterland der Ukraine mit Drohnen, Raketen und Marschflugkörpern attackiert.

Seit dem Sommer sind nach Angaben aus Kiew mehr als 13.500 geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer aus Russland oder besetztem Gebiet heimgekehrt. Sie seien nach der Öffnung eines einzigen Grenzübergangs durch Russland über einen humanitären Korridor in der ostukrainischen Region Sumy zurück ins Land gekommen, teilte das für die besetzten Gebiete zuständige ukrainische Ministerium in Kiew mit. Unter ihnen seien 1653 Kinder gewesen.

Nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022 waren Tausende Ukrainer auf russisches Gebiet geflohen. Kiew wirft Moskau überdies vor, Tausende Ukrainer gezwungen zu haben, nach Russland überzusiedeln. Demnach wurden allein etwa 20.000 ukrainische Kinder nach Russland verschleppt. Der Internationale Strafgerichtshof hatte wegen der Verschleppung von Minderjährigen aus der Ukraine im März Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin erlassen.

Der neue slowakische Ministerpräsident Robert Fico hat den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine als einen eingefrorenen Konflikt bezeichnet, der nicht durch Waffenlieferungen an das ukrainische Militär gelöst werden könne. Fico sagte nach einem Treffen mit seinem tschechischen Kollegen Petr Fiala in Prag, er würde es vorziehen, wenn Russland und die Ukraine Verhandlungen aufnehmen würden. Wie beide Seiten an den Verhandlungstisch gebracht werden sollen, sagte er nicht.

Fico beendete die Militärhilfe seines Landes für die Ukraine, nachdem seine neue Regierung am 25. Oktober vereidigt worden war. Tschechien unterstützt die Ukraine dagegen weiterhin und hat Kiew schwere Waffen und andere Rüstungsgüter geliefert. "Es besteht kein Zweifel, dass wir in einigen Fragen unterschiedliche Ansichten haben", sagte Fiala. Fico erklärte, er respektiere die tschechische Position und bekräftigte, die Slowakei sei bereit, die Ukraine zu unterstützen. Kiew will der slowakische Regierungschef vorläufig aber nicht besuchen. Dafür sehe er keinen Grund, sagte er. Er werde aber mit seinem ukrainischen Kollegen Denys Schmyhal telefonisch besprechen, was das Land vor dem Winter brauche.

Der slowakische Ministerpräsident Fico (l.) und sein tschechischen Amtskollege Fiala (r.).

Die Aufenthaltserlaubnisse von Geflüchteten aus der Ukraine sind bis März 2025 verlängert worden. Der Bundesrat stimmte in seiner Sitzung einer entsprechenden Rechtsverordnung des Bundesinnenministeriums zu. Damit müssen die Betroffenen laut Ministerium keinen Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltsstatus stellen und es sind auch keine damit verbundenen Termine bei den Ausländerbehörden notwendig. 

Dies sei "eine große Entlastung für die Ausländerbehörden und gibt Sicherheit und eine klare Perspektive für die Betroffenen", erklärte Bundesinnenministerin Nancy Faeser. "Wir werden weiterhin die Leben vieler Menschen aus der Ukraine schützen - so lange wie dieser furchtbare Krieg andauert."

Derzeit leben laut Innenministerium in Deutschland rund 1,1 Millionen Menschen, die im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine seit dem 24. Februar 2022 nach Deutschland eingereist sind. Rund 350.000 von ihnen sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Unter den erwachsenen Geflüchteten sind rund zwei Drittel Frauen.

Die Ukraine hat nach russischen Angaben einen ihrer bisher größten Drohnenangriffe auf die von Moskau annektierte Halbinsel Krim verübt. Das russische Verteidigungsministerium teilte mit, die Luftabwehr habe 13 ukrainische Drohnen über der Krim und drei weitere über der südrussischen Region Wolgograd abgeschossen. Seit Beginn des Krieges nutzt das russische Militär die Halbinsel als wichtiges Nachschubzentrum.

Karte Ukraine, schraffiert: von Russland besetzte Gebiete

Schraffiert: von Russland besetzte Gebiete

Die ukrainische Vizeregierungschefin Olha Stefanischyna hat vor einer wachsenden Kriegsmüdigkeit der europäischen Länder gewarnt. An dem Willen der Ukraine, sich gegen den russischen Angriffskrieg zu wehren, habe sich in mehr als 600 Tagen nichts geändert. "Unsere Entschlossenheit ist gleich geblieben", sagte die Politikerin in Berlin. Doch lese sie Schlagzeilen über eine Kriegsmüdigkeit. Auf ihrer Reise durch mehrere EU-Staaten habe sie zu hören bekommen, dass der Krieg zu lange dauere. "Wir sollten nicht die Tage zählen. Wir sollten sehen, wie sich die Dinge entwickeln", sagte Stefanischyna.

Beispiel einer positiven Entwicklung sei, dass die Ukraine ihre Armee seit dem NATO-Gipfel im Juli weiter auf Standards des westlichen Bündnisses umgestellt habe. Der NATO-Gipfel in Vilnius hatte der Ukraine eine Mitgliedschaft in Aussicht gestellt, ohne aber einen genauen Weg dahin zu beschließen.

Als einen Schlüsselmoment nannte Stefanischyna den bevorstehenden Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs Mitte Dezember. Er soll über die Frage entscheiden, ob Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine begonnen werden. Einige Staaten, vor allem Ungarn, haben daran Zweifel angemeldet. Die EU-Mitglieder sollten diese Dinge vorher diskutieren und klären, sagte Stefanischyna. Das Veto eines EU-Landes bedeute eine Niederlage auch für alle anderen, warnte sie. "Wir müssen uns an das große Bild halten." Dazu gehöre, dass die Ukraine ein zuverlässiger EU-Mitgliedsstaat sein werde. Ein 'Ja' zu Beitrittsverhandlungen bewahre "den positiven Schwung der Erweiterung".

Zugleich betonte Stefanischyna die Gefahr, dass eine Niederlage der Ukraine für Europa einen Domino-Effekt haben könnte. Die Machtansprüche Russlands endeten ihrer Einschätzung nach nicht an den ukrainischen Grenzen. Deshalb brauche die Ukraine noch mehr Rüstungshilfe. Dabei nannte sie Kampfpanzer, weitreichende Artillerie und Flugabwehrsysteme.

Die russische Armee hat nach Angaben der ukrainischen Behörden neue Angriffe auf die ostukrainische Stadt Awdijiwka gestartet. "Die dritte Welle hat begonnen", erklärte Bürgermeister Vitaly Barabasch im ukrainischen Fernsehen. "Sie greifen von allen Seiten an, setzen viel Infanterie ein", das Zentrum der Industriestadt werde systematisch bombardiert. "In der Stadt gibt es 30 bis 40 massive Angriffe pro Tag", so Barabasch. Demnach setzt Russland auch Lenk- und Streubomben ein.

Bis auf eine Zufahrtsstraße ist die Stadt in der Region Donezk seit mehr als einem Monat fast komplett von russischen Truppen umstellt. Die russische Armee versucht seit Wochen, die Stadt unter ihre Kontrolle zu bringen. Die zum Großteil zerstörte Stadt ist zum Symbol des ukrainischen Widerstands geworden. In der Industriestadt leben nach Angaben der Stadtverwaltung derzeit noch rund 1.350 Einwohner.

Konfliktparteien als Quelle

Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.

Nach Darstellung des britischen Verteidigungsministeriums werden in der Ukraine immer wieder Truppenkonzentrationen mit Präzisionsangriffen großer Reichweite getroffen. Im täglichen "Intelligence Update" bei X nennt das Ministerium Vorfälle am 10. und 19. November, die sich gegen russische Soldaten gerichtet hätten, sowie einen russischen Angriff gegen ukrainische Soldaten am 3. November.

Nach Ansicht des Ministeriums sei den Soldaten zwar bewusst, dass sie sich in Reichweite feindlicher Waffensysteme befinden, aber in dem langen Krieg seien Kommandeure im Alltag immer wieder gezwungen, Truppen zusammenzuziehen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 24. November 2023 um 11:45 Uhr.