Schild zeigt ein Diesel-Fahrverbot an
Kommentar

Zwangshaft für Politiker Der Staat ist ein schlechtes Vorbild

Stand: 19.12.2019 13:50 Uhr

Keine Zwangshaft ohne klare Rechtsgrundlage - dieses EuGH-Urteil ist akzeptabel. Nicht akzeptabel ist, dass es überhaupt zu diesem Urteil kommen musste.

Ein Kommentar von Frank Bräutigam, ARD-Rechtsredaktion

Wenn ein Bürger seine Schulden nicht bezahlt, kommt am Ende der Gerichtsvollzieher. Wenn ein Bürger nicht tut, was ein Gericht verlangt, droht ein Zwangsgeld, als letztes Mittel sogar Zwangshaft.

Und wenn eine Behörde sich weigert, ein Urteil umzusetzen? Dann droht ein Zwangsgeld von 10.000 Euro. Gezahlt vom Staat an den Staat, also von der einen in die andere Tasche. Das ist ein stumpfes Schwert. Eine Zwangshaft für die verantwortlichen Politiker steht in der nötigen Klarheit nicht im Gesetz. Der Gesetzgeber hat sich womöglich gedacht: Na ja, die Behörden werden sich ja wohl an Gerichtsurteile halten, wo kommen wir denn sonst hin? So kann man sich täuschen.

Letzte Ausfahrt Fahrverbote

Es ist kein Problem, dass der EuGH jetzt entschieden hat: Ohne klare Rechtsgrundlage in Deutschland ist eine Zwangshaft nicht möglich. Es ist aber ein Problem, dass man überhaupt über solche Druckmittel als eine Art "Akt der Verzweiflung" diskutieren muss.

Fahrverbote sind keine populäre Sache, das ist klar. Sie fallen aber auch nicht vom Himmel. Dass man die gesetzlichen Grenzwerte der EU für Stickoxide einhalten muss, gilt seit 2010. Wenn so ein Fall vor die Gerichte kommt, fragen die Richter stets: Bekommt man das Einhalten der Grenzwerte auch mit anderen Mitteln als mit Fahrverboten hin? Das ist dann immer die Chance der Politik - und mittelbar auch der Automobilindustrie. Man könnte mit wirksamen Alternativen Fahrverbote verhindern. Die Gerichte verpflichten den Staat dazu nur, wenn sie das letzte wirksame Mittel sind.

Den Bürgern ein gutes Beispiel sein

Wenn Politiker aber sagen: "Wir machen das trotzdem nicht! Wir folgen dem Gericht nicht und verhindern dadurch Fahrverbote"? Dann kann das kurzfristigen Beifall sichern. Langfristig ist das ein großes Problem. Der Staat ist in so einem Fall nämlich ein schlechtes Vorbild. Denn: Wie möchte man den Bürgerinnen und Bürgern glaubhaft vermitteln, dass sie sich doch bitteschön an Gerichtsurteile zu halten haben, wenn man selbst genau das Gegenteil macht?

Auch Gerichte sind nicht unantastbar und können mal daneben liegen. Jede Behörde hat das Recht, durch die Instanzen zu ziehen und für ihre Position zu kämpfen. Aber wenn ein rechtskräftiges Urteil vorliegt, muss der Staat sich daran halten - von selbst und ohne Druckmittel wie eine Zwangshaft. Das ist schlicht und einfach selbstverständlich.

Frank Bräutigam, Frank Bräutigam, SWR, 19.12.2019 13:53 Uhr
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Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 19. Dezember 2019 um 12:00 Uhr.