Nach dem TV-Duell Trump war dem Wahlsieg nie näher
Das TV-Duell war eine Katastrophe für US-Präsident Biden - und für Trump hätte es kaum besser laufen können. Auch wenn es ein Risiko ist: Für die Demokraten muss es nun darum gehen, Biden zum Rückzug zu bewegen.
Es war ein Desaster für Joe Biden. Es war eine Katastrophe für die Demokraten. Wer die USA unter einem Präsidenten Donald Trump nicht noch einmal erleben möchte, dem hat dieses TV-Duell schon fast körperlich wehgetan.
Das Magazin der "New Yorker" fragt: War das der Anfang vom Ende von Joe Bidens Präsidentschaft? Ja. Das ist die einzige Antwort, die es darauf geben kann.
Joe Biden hat gestockt, gestammelt, er hat sich versprochen. Auch bei den für die Demokraten starken Wahlthemen Abtreibung und Demokratie verfranzte er sich, brachte Sätze nicht zu Ende oder landete im Nirgendwo. Oft war es schwer, ihm zu folgen, ihn überhaupt zu verstehen. Er nuschelte, die Stimme leise, brüchig, heiser. Es hilft auch nicht, dass das Präsidialamt noch während der Debatte mitteilte, der Amtsinhaber sei erkältet.
Manchmal schien es, US-Präsident Joe Biden schaue ins Leere. Er sah aus wie jemand, zu dem man im Alltag sagen würde: Komm, setz dich erstmal, ich mache Dir einen Tee.
Es hätten kaum besser laufen können für Trump
Eine Woche lang hatte sich Biden zurückgezogen, um sich in Camp David auf dieses Duell vorzubereiten. Er war nicht in der Lage abzuliefern. Selbst ohne Vorbereitung, mit einer Vorwarnung von nur fünf Minuten - "Du musst gleich in eine TV-Debatte" - hätte man vom amtierenden US-Präsidenten, dem mächtigsten Mann der Welt, einen besseren Auftritt erwarten dürfen.
Und Donald Trump? Es hätte kaum besser laufen können für ihn. Und dabei hat er nicht mal geglänzt. Er hat das gemacht, was er immer macht: Unwahrheiten verbreitet. Aber er hat etwas geschafft, woran viele Zweifel hatten: Er ist ruhig geblieben, er hat sich im Griff gehabt. Er wirkte deutlich souveräner als Biden.
Das TV-Format hat Trump in die Hände gespielt. Kein Faktencheck, keine intervenierenden Moderatoren. In einer E-Mail schrieb Trump später: "I love CNN" - "Ich liebe CNN".
Demokraten müssen öffentlich Druck machen
Nach dieser Debatte muss die demokratische Partei einsehen, sie hat einen Fehler gemacht. Sie hat zu lange an Biden festgehalten. Und sie hat nun zwei Probleme: Sie hat keinen Alternativ-Kandidaten, keine Alternativ-Kandidatin aufgebaut. Vizepräsidentin Kamala Harris ist unbeliebt. Und Biden müsste selbst aus dem Rennen um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten aussteigen. Er hat die Vorwahlen der Partei klar gewonnen, auf einem Parteitag Ende August soll er offiziell als Präsidentschaftskandidat gekürt werden.
In dieser Situation nützt es nichts, wenn Demokraten nach dem TV-Duell hinter vorgehaltener Hand von einer Katastrophe sprechen. Namhafte Demokraten müssten sich endlich aus der Deckung wagen, öffentlich Druck machen. Vertraute Personen müssten im Privaten auf Biden einwirken - allen voran seine Frau Jill - aber auch Ex-Präsident Barack Obama oder die ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi.
Das wäre schmerzhaft. Für Biden. Für die Partei. Aber zu schweigen könnte noch schmerzhafter sein. Nicht nur für die Demokraten, sondern für die USA. Ein Rücktritt Bidens von seiner Bewerbung würde die Partei ins Chaos stürzen, vier Monate vor der Präsidentschaftswahl.
Und natürlich gibt es keine Garantie, dass es danach für die Demokraten besser laufen würde. Aber die Partei muss das Risiko eingehen, denn Donald Trump war dem Wahlsieg nie näher als nach diesem TV-Duell.
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