Ein Milizionär der selbsternannten Volksrepublik Luhansk bei der Wahl zum Beitritt zu Russland
Kommentar

Scheinreferenden in der Ukraine Eine todsichere Farce

Stand: 23.09.2022 20:37 Uhr

In den besetzten Regionen der Ukraine sind Folter und Einschüchterung an der Tagesordnung. Täter sind russische Soldaten und ihre Handlanger. Solange Russland Gebiete besetzt hält, wird es weitere Gräber wie in Isjum geben.

Ein Kommentar von Andrea Beer, WDR, zzt. in der Ukraine

Neulich stand ich neben der exhumierten Leiche eines Menschen, der ganz offensichtlich keines natürlichen Todes gestorben war. Sein steifer Körper war gerade aus einem dunklen Massengrab im Wald von Isjum gehoben worden. Er lag auf einer banalen Plastikhülle mit verkrümmten Gliedern und um seinen Hals lag ein Seil. Mit diesem Seil kann er stranguliert worden sein, so die erste Erkenntnis der ukrainischen Behörden.

Die Kleinstadt Isjum im Osten der Ukraine war bis vor kurzem besetzt von Angehörigen der russischen Armee und ihren Handlangern aus Tschetschenien, Donezk und Luhansk. Und verstörende Szenen wie das Exhumieren von Hunderten Leichen in Isjum bestätigen einmal mehr die blutige Realität der Besatzung unter Moskauer Regie: Ein System, in dem es nur Zwang geben kann. Niemals eine echte Wahl so wie bei den Pseudoabstimmungen jetzt.

Eilfertige Folterknechte

Der gesamte heuchlerische Vorgang mit geradezu skurril wirkenden "Wahlkommissionen" oder "Wahllokalen" ist schlicht völkerrechtswidrig und wird zurecht nicht anerkannt, zumal bewaffnete Gruppen die Menschen zwingen sollen.

All das dient Russland nur als Vorwand, sich die besetzten Gebiete der Ukraine einzuverleiben. In Cherson, Mariupol, Enerhodar, Donezk oder Luhansk  - überall sind Rechtlosigkeit, Folter und Einschüchterung an der Tagesordnung durch die Besatzer der russischen Armee und ihre eilfertigen Folterknechte.

Noch schlimmere Zeiten drohen

Die Zwangsabstimmung ist eine Farce, aber dennoch eine wichtige Zäsur. Nach einer Annexion durch Russland kämen auf die Menschen in den russisch besetzten Gebieten wohl noch schlimmere Zeiten zu, als sie schon bisher erleben müssen. Auch auf diejenigen, die eher für Russland und gegen Kiew sind. Sei es als Folge jahrelanger russischer Propaganda in den Gebieten Donezk und Luhansk, sei es aus Überzeugung.

Die ukrainische Vize-Regierungschefin Iryna Weretschtschuk ruft die Menschen regelmäßig auf, die besetzten Gebiete zu verlassen. Doch nicht alle wagen diese lebensgefährliche Flucht und sie wäre nach einer rechtswidrigen Annexion wohl bald auch nicht mehr möglich.

Leichen mit Folterspuren

Noch ist unklar, was passiert, wenn Russland die Kämpfe um möglicherweise annektierte ukrainische Gebiete als direkten Angriff wertet - auf Russland. Aber ich bin schon jetzt todsicher: Es wird weitere Gräber geben, in denen Leichen mit Folterspuren vergraben liegen. So wie der Mann mit der Schlinge um den Hals in dem dunklen Massengrab in Isjum.

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Andrea Beer, WDR, 23.09.2022 19:58 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 23. September 2022 um 21:45 Uhr.