Nominierung von der Leyens Die größte Enttäuschung nach der EU-Wahl
Aus dem Blickwinkel der Kanzlerin mutet die Nominierung von der Leyens wie ein strategisches Meisterstück an, meint Ralph Sina. Doch ob die Wähler das auch so sehen, ist fraglich. Und das könnte sich rächen.
'Hast Du einen Opa dann schick ihn nach Europa.' 'Hast Du eine unpopuläre und glücklose Verteidigungsministerin, dann schicke sie an die Spitze der EU.' Die Staats- und Regierungschefs haben ein als überholt geglaubtes Motto auf erschreckende Weise neu interpretiert. Allen voran Merkel und Macron.
Beiden ist vordergründig ein strategisches Meisterstück gelungen. Zum ersten Mal soll mit Ursula von der Leyen eine Deutsche Präsidentin der EU-Kommission werden. Und zwar ohne Zustimmung der Bundeskanzlerin: Angela Merkel enthielt sich der Stimme und hielt sich damit an den Koalitionsvertrag. Gleichzeitig entkräftet sie damit elegant den Vorwurf der deutschen Dominanz in Brüssel. Zumal der Vorschlag von der Leyen nicht von der Kanzlerin kam, sondern vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron.
Weber war Macron zu unerfahren
Macron wollte das nach seiner Anti-Weber-Kampagne stark belastete Verhältnis zur Kanzlerin nicht noch weiter demontieren. Und gleichzeitig demonstrieren, dass er nicht ganz prinzipiell etwas gegen einen Deutschen an der Spitze der EU-Kommission hat. Sondern ganz speziell etwas gegen den aus seiner Sicht international zu unerfahrenen Manfred Weber.
Damit das Interesse der Grande Nation bei der Verteilung der Topjobs dennoch gewahrt bleibt, sorgte Macron dafür, dass die amtierende Chefin des Internationalen Währungsfonds von Washington nach Frankfurt wechselt: an die Spitze der Europäischen Zentralbank. Zwar fehlt Christine Lagarde für diesen Euro-Topjob die fachliche Kompetenz. Doch die Kanzlerin hält Lagarde für lernwillig und offen für Ratschläge - zum Beispiel für die von Bundesbankpräsident Jens Weidmann, den die Kanzlerin gerne als Nachfolger des amtierenden EZB-Chefs Mario Draghi gesehen hätte.
Lagarde als Waidmann-Marionette an die Spitze der EZB. Und die nicht sonderlich beliebte und glücklos agierende Verteidigungsministerin von der Leyen nach Brüssel befördert - ein Doppelpass der Meisterklasse von Merkel und Macron.
Versprechen gebrochen
Ob dieses strategische Meisterstück den Ruf der EU und des Euro stärkt, ist allerdings mehr als zweifelhaft. Und vielleicht kommt an der Kommissionsspitze ja alles noch ganz anders. Denn noch ist es alles andere sicher, dass das EU-Parlament der Personalie von der Leyen zustimmt.
Und so könnten sich Merkel und Macron schneller wieder in Brüssel treffen als ihnen lieb ist. Es rächt sich, wenn sich die Wähler betrogen fühlen - und nicht wie versprochen, ein Spitzenkandidat oder eine Spitzenkandidatin an die Spitze der EU-Kommission rückt. Sondern eine unpopuläre Verteidigungsministerin. In Brüssel nichts Neues. Das ist die größte Enttäuschung, die der EU nach dieser Europawahl passieren konnte.
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