EU-Gipfel Die letzte Chance vertan
Vom Brexit abgesehen schafft es die EU kaum noch, gemeinsame Positionen zu finden. Der Letzte, der es versucht hat, Visionen zu entwerfen, wurde ausgebremst. Die EU geht kraftlos ins neue Jahr.
Fragende Blicke, heruntergezogene Mundwinkel, geschäftsmäßiges Nicken, aber auch scheinbar zielloses Herumgelaufe: Symbolischer können die Bilder für den Zustand der europäischen Führungsmannschaft am Ende des Jahre 2018 nicht sein, die von diesem EU-Gipfel auch noch per Fernsehübertragung nach draußen gingen.
Dabei lief es doch eigentlich gar nicht schlecht: Bei den Verhandlungen über den Austritt der Briten standen die 27 wie eine Eins. Ließen sich von den teils unwürdigen Tricks der Engländer nicht beirren. Sei es durch deren Verzögerungstaktik, präzise gelegte Finten oder auch das ständig rotierende Personalkarussell auf der Insel.
Die EU 27 blieben stur bei ihrer Linie und hatten letztlich Erfolg, das Austrittsabkommen beweist es: Ein Ausscheiden aus der EU ist nur unter größten Schmerzen möglich. Eine gute Lektion für alle am rechten Rand, die in Frankreich, Polen oder den Niederlanden schon einmal darüber nachgedacht haben.
Auch in Sachen Verteidigung hat man 2018 einiges geschafft: Man beginnt langsam, teure Parallelstrukturen abzubauen, gemeinsam in Technik zu investieren. Selbst gegenüber Russland hält die einheitliche Linie.
Bei Gefahren hält man zusammen
Sprich: Wann immer es eine Bedrohung gibt, hält man zusammen. Wo es sie aber nicht gibt oder nicht mehr gibt, da enden schnell die Gemeinsamkeiten und die große Leere beginnt.
Kein Beispiel zeigt das eindrucksvoller als die Frage nach dem richtigen Umgang mit Migration. Da steht Süd gegen Nord und Ost gegen West. Drei Jahre ringt man jetzt mit sich und einander und kam auch 2018 nur in Trippelschritten voran. Ganz einfach, weil die Bedrohung nicht mehr da ist: Die Zahl der Migranten ging deutlich zurück, warum soll da irgendjemand über seinen Schatten springen? Stattdessen: Jede Menge Ankündigungen und Luftschlösser.
Am langen Arm verhungert
Und wenn sich dann mal einer vorwagt und in die Zukunft denkt, dann lässt man ihn einfach am langen Arm verhungern: EU im Jahr 2018 pur. Es ist ja nicht so, dass Emmanuel Macrons Vorschläge zur Reform der EU-Institutionen, zur Umgestaltung der Eurozone oder zum Kampf gegen die steuervermeidenden Globalkonzerne wie Amazon und Co., dass das alles das Non-Plus-Ultra wäre.
Aber einfach gar nicht ausführlicher auf die Denkanstöße aus Paris zu reagieren, das war und ist verantwortungslos. Ganz vorne dabei ist Bundeskanzlerin Angela Merkel, die das deutsch-französische Tandem durch ihre Ideenlosigkeit fast vollständig zum Erlahmen brachte.
Aber nicht nur Merkel hat den Schwarzen Peter, damit wir uns richtig verstehen. Auch von anderen, die früher Motoren waren, ist so gut wie nichts Substanzielles zu hören. Der niederländische Premier schweigt. Der Luxemburger, der sonst immer die Rolle des Vermittlers hatte, schweigt. Die Mittelmeerländer sind vor allem mit sich und ihrer Wirtschaft beschäftigt, die Osteuropäer noch immer damit, nach 40 Jahren Kommunismus zu sich selbst zu finden.
Keiner da, der die Karre flott kriegt
Sprich: Es ist niemand da, der die liegengebliebene Karre EU wieder ein bisschen flott kriegt. Und der Letzte, der es versucht hat, Macron, muss sich nun auch von der europäischen Bühne in die Niederungen der eigenen Innenpolitik begeben, um in seinem protestgeplagten Land zu retten, was zu retten ist, bevor die Rechtsextreme Marine Le Pen oder der Linksextreme Jean-Luc Mélenchon mit dem Aufräumen beginnt.
Mit anderen Worten: Das Zeitfenster für große Reformen hat sich geschlossen. Ohne dass wirklich etwas passiert ist. Chance verpasst. Die Folge: düstere Aussichten für die EU 2019. Den Status quo bekommen sie und ihre Chefs gerade noch verwaltet. Mehr nicht. Und das ist schade.