Drei Jahre Brexit Nichts zu feiern
Drei Jahre nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU hat sich der Brexit als historischer Fehler erwiesen. Er hat dem Land massive Probleme beschert, und das Erbe von Boris Johnson verschärft diese noch.
Ich kann mich noch gut an diese kalte, seltsame Nacht vor drei Jahren erinnern, als der Brexit dann tatsächlich unwiderruflich in Kraft trat. Ich stand mit einigen anderen Reportern etwas verloren vor der Downing Street, über die eine große Uhr projiziert war.
Boris Johnson saß drinnen, es hieß, er komme vielleicht später noch. Stattdessen feierte der durch fremdenfeindliche Parolen bekanntgewordene Nigel Farage mit vielleicht tausend Anhängern ein paar Meter weiter vor dem Big Ben seinen "Unabhängigkeitstag". Es war kalt und ungemütlich.
Und dann war es plötzlich 24 Uhr. Nichts geschah, es gab kein Feuerwerk, und Boris Johnson tauchte noch immer nicht auf und blieb unauffindbar. Als habe er schon damals geahnt, dass es nichts zu feiern gab. Kurz nach Mitternacht dann zerstreuten sich die Reporter schnell, ein hässlicher Nieselregen hatte eingesetzt, und auch wir verließen die enge Gasse vor der berühmtesten schwarzen Tür der Welt, desorientiert, verfroren und seltsam ratlos über das, was diesem historischen Moment denn nun wirklich folgen würde.
Die Befürchtungen haben sich bestätigt
Drei Jahre später wissen wir, dass es tatsächlich nichts zu feiern gab. Die Befürchtungen der EU-Befürworter, dass der Austritt dem Land wirtschaftlich massiv schaden werde, haben sich bestätigt. Das unabhängige Steuerschätzungsinstitut OBR prognostiziert den durch den Brexit bereits entstandenen Schaden auf vier Prozent des britischen Bruttosozialprodukts, Tendenz steigend.
Und auch sonst wurde kein einziges Versprechen der Brexiteers eingelöst. Das Gesundheitssystem ist so marode wie nie zuvor. Der berühmte Slogan "Take back control", der den Schutz der Insel vor Immigranten beschwören sollte - eine leere Floskel. Mehr Flüchtlinge denn je kommen seit dem Brexit in kleinen Booten über den Kanal.
Die mutwillig zerschlagenen diplomatischen Beziehungen zu Paris haben das Problem eher verschärft. Anstatt sich gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron um ein menschenwürdiges Asylverfahren schon auf französischem Gebiet zu einigen, dämonisiert die derzeitige britische Innenministerin Suella Braverman die Flüchtlinge als "Invasoren".
Bewusst inszeniert sie Bilder von sich selbst im Einsatz an der "Front", für die sie in Dover aus einem Militärhelikopter steigt. Damit bleibt sie dem eigentlichen Muster des Brexiteers treu: Man erschafft Probleme, für die man dann keine Lösungen hat.
Das Erbe von Boris Johnson
Und über all dem schwebt eine Regierung, die unter einer schweren Form von "Long Johnson" leidet, den Nachwirkungen der korrupten und chaotischen Regierungszeit eines Premiers, der dabei nicht nur die eigene Partei im Innen zerstört hat, sondern mit ihr auch die politische Kultur Großbritanniens.
Wenn der jetzige Finanzminister in einer Rede kürzlich davon sprach, mit ihm werde der Brexit jetzt sein volles Potenzial entfalten und neues Wachstum schaffen, ohne die Probleme der Wirtschaft, die durch den EU-Ausstieg entstanden sind, auch nur zu erwähnen, dann unterscheidet sich das nur wenig von den chronischen Lügen der letzten Regierung.
Sunaks Rücksichtnahmen
Auch Johnsons unaufhörliche Attacken gegen Presse und Justiz haben tiefe Spuren hinterlassen und sind weiter wirksam. Ein ganzes Gesetzespaket ist derzeit auf dem Weg durch die Instanzen, das neben der Pressefreiheit auch das Streik- und Demonstrationsrecht auf beunruhigende Weise einschränken soll.
Es ist ein Paket, gegen das auch der pragmatischere Premierminister Rishi Sunak nicht vorzugehen wagt, da er sonst einen Aufstand seiner in sich zerstrittenen und rechtspopulistischen Partei fürchten muss. Denn wenn einmal Tabus, Regeln und moralische Barrieren eingerissen sind, gelingt der politische Rückbau zum Status quo ante danach nur sehr selten.
Das gilt auch für die seit Beginn der Johnson-Zeit allgegenwärtige und immer massivere Korruption innerhalb der Tory-Partei, die unumgängliche Begleiterscheinung populistischer Regierungen. Erst am Sonntag musste Sunak aufgrund erdrückender Beweise Nadhim Zahawi, den Tory-Parteivorsitzenden, entlassen, nachdem der nicht nur Millionen an Steuergeldern zu hinterziehen versucht hatte, sondern auch Journalisten, die ihm dazu Fragen schickten, offen mit extrem kostspieligen Prozessen bedroht hatte.
Neuwahlen - das kann noch dauern
Die allermeisten Briten sehen diesem Verfall ihrer politischen Kultur mittlerweile weitestgehend resigniert zu und warten auf Neuwahlen. Die könnten tatsächlich eine Wende bringen: Jüngsten Umfragen zufolge dürften die Tories bei der nächsten Wahl so gut wie ausgelöscht werden.
Aber bis dahin sind es noch mindestens 18 Monate. Und in einem Land, das sich im vergangenen Jahr drei Premierminister in vier Monaten leistete, ist das eine lange Zeit.
Starmers Unklarheiten
Hinzu kommt, dass sich der Chef der Labour-Opposition, Keir Starmer, beim Brexit ebensowenig wie die Tories zu klaren Worten durchringen kann. Er verspricht dagegen, "to make Brexit work", den Brexit besser zu machen, also eine Wiederannäherung an die EU, aber ohne Aussicht auf eine erneute Mitgliedschaft im Binnenmarkt.
Unerwähnt lässt er dabei, dass eine echte Erholung der britischen Wirtschaft ohne den Binnenmarkt kurz- und mittelfristig kaum möglich ist. Die Taktik ist klar: Er will die linken Brexiteers, die 2019 scharenweise zu Johnson übergelaufen sind, wieder zurück ins Labour-Boot holen.
Eine Strategie, für die das Land aber einen hohen Preis zahlen wird. Denn solange noch nicht einmal die Opposition die Nachteile des EU-Austritts klar benennen will, wird es auch keine echten Lösungen für die durch ihn entstandenen Probleme geben können.
Ein schwer zu korrigierender Irrtum
Und so taumelt die Insel auch drei Jahre nach dem Brexit weiter von Krise zu Krise. Letzten Umfragen zufolge sehen fast 60 Prozent der Briten den EU-Austritt als die falsche Entscheidung an. Aber ein historischer Fehler dieses Ausmaßes ist nun einmal nicht so leicht zu korrigieren wie ein beliebiges Wahlergebnis.
Statt des versprochenen goldenen Zeitalters, dem gloriosen nationalen Alleingang, wartet jetzt auf die Briten eine kostspielige und womöglich Generationen dauernde Wiederannäherung an Europa. Boris Johnson wusste schon, warum er sich in der Nacht des 31.1. 2020 noch nicht einmal für einen kurzen Moment der Presse zeigen mochte.
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