Sicherheit in Europa Ohne Abschreckung geht es nicht
Wer unsere Demokratien vor dem russischen Präsidenten schützen will, darf nicht ohnmächtig wirken - vor allem nicht militärisch. Doch der von Putin in Europa entfesselte Krieg erwischt die Bundeswehr auf falschem Fuß.
Es ist ein heftiger Zusammenprall mit der Realität, den die deutsche Politik da gerade erlebt: Auch in der traditionell russlandfreundlichen SPD schwant jetzt vielen, dass sie den russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht als das wahrgenommen haben, was er ist: Ein machthungriger, skrupelloser Imperialist - der nichts mehr fürchtet, als funktionierende Demokratien in seiner unmittelbaren Nachbarschaft. Und dem mittlerweile alles zuzutrauen ist, weil in seiner Welt nicht die Stärke des Rechts, sondern nur das Recht des Stärkeren zählt.
Die für viele bittere Erkenntnis daraus lautet: Wer unsere verletzlichen Demokratien vor einem nur in Machtkategorien denkenden Mann schützen will, darf nicht ohnmächtig wirken. Vor allem nicht militärisch.
Da kommt es äußerst ungelegen, dass der von Putin in Europa entfesselte Krieg die Bundeswehr auf dem falschen Fuß erwischt: "Blank" stünde man da, so formulierte es der Chef des deutschen Heeres, Alfons Mais. Und in der Tat: Bis 2014 wurde die deutsche Truppe so kleingespart, dass der russische Generalstab sie selbst durch das Fernglas nur noch als Winzling wahrgenommen haben dürfte.
Einige Truppenteile in erbarmungswürdigem Zustand
Seitdem sich Russland die ukrainische Krim einverleibte, steigt der Wehretat stetig. Doch auch heute noch sind zumindest einige Truppenteile in so erbarmungswürdigem Zustand, dass sie die gewünschte Abschreckungswirkung kaum entfalten können.
So müsste die seit Jahren am Rande ihrer Möglichkeiten auf den Weltmeeren aktive Marine die zwei aktuell zur Verstärkung für die NATO angebotenen Schiffe aus laufenden Einsätzen im Mittelmeer abziehen. Und die Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes in Mali könnte allen Ernstes daran scheitern, dass die Deutschen fünf bald aus der Krisenregion abziehende französische Kampfhubschrauber nicht ersetzen können - obwohl die Bundeswehr auf dem Papier über 60 Helikopter verfügt. Gut möglich, dass die beharrliche Weigerung der Ampel-Koalition, der Ukraine mit Waffen gegen die russische Aggression zu helfen, auch schlicht diesem Umstand geschuldet ist: Dass man gar nicht so genau weiß, was man denn überhaupt entbehren kann.
Und schließlich ist da noch die mangelnde "Kaltstartfähigkeit" der Bundeswehr. Der Umstand, dass es auch mal ein halbes Jahr dauern kann, bis man ein Bataillon - 300 bis 1000 Mann - mit voller Montur in ein Krisengebiet verlegt bekommt. Beruhigend ist das alles weder für Deutschland noch für die osteuropäischen NATO-Partner - allenfalls für Russlands Präsident Putin.
Eine Art Kalter Krieg 2.0
Dass Moskau einen blutigen Angriffskrieg gegen einen friedlichen Nachbarn anzettelte, hat auch hierzulande bereits einen Sinneswandel ausgelöst. Nur muss der nachhaltiger sein als der nach der Krim-Annexion 2014.
Der 24. Februar 2022 dürfte Europa ähnlich prägen wie der 11. September 2001: Nachdem Putin lange von einer angeblichen "Einkreisung" durch die NATO schwadronierte, dürfte er nun ganz dicht an die NATO-Grenzen heranrücken: Belarus gehört bereits zum neuen russischen Imperium. Die Ukraine soll wohl nach seinem Willen folgen. Heißt im Klartext: Wir dürften es in Europa auf längere Zeit mit zwei sich feindselig gegenüberstehenden Blöcken zu tun haben - eine Art Kalter Krieg 2.0. Will der demokratische Teil dieses Blocks ernst genommen werden, kommt er um glaubwürdige Abschreckung leider nicht herum.