Tiergartenmord-Prozess "Ja, das ist er"
Im Tiergartenmord-Prozess hat ein Zeuge den Angeklagten als Vadim Krasikov identifiziert. Laut Anklage arbeitete Krasikov mit staatlichen Stellen Russlands, um den Mord zu begehen. Von S. Stöber.
Im Tiergartenmord-Prozess hat ein Zeuge den Angeklagten als Vadim Krasikov identifiziert. Laut Anklage arbeitete Krasikov mit staatlichen Stellen Russlands, um den Mord zu begehen.
"Ja, das ist er" - Diesmal hat der Zeuge V. den Angeklagten im Tiergartenmord-Prozess als seinen Schwager Vadim Krasikov identifiziert. Für die Frage nach der Beteiligung staatlicher Stellen in Russland an der Ermordung von Zelimkhan Khangoshvili, wie es in der Anklage heißt, können diese Worte von großer Bedeutung sein.
Denn viele Indizien verweisen darauf, dass die Person Krasikov mit russischen Sicherheitsdiensten in Verbindung stand. Doch dazu muss das Gericht die Aussage des Zeugen V. als glaubwürdig erachten.
Bei seinem ersten Auftritt Ende Juli wollte V. den Angeklagten wenige Meter von ihm entfernt noch nicht klar als den Ehemann der Schwester seiner Frau erkennen, mit dem er Familienfeste gefeiert und zehn Jahre lang in Kontakt gestanden hatte. Doch danach bat er das Gericht in einem Brief, ein zweites Mal aussagen zu dürfen, und reiste noch einmal aus Charkiw in der Ostukraine nach Berlin.
Auf die anfangs strengen Fragen des Vorsitzenden Richters Olaf Arnoldi wirkte der Zeuge gut vorbereitet. V. sprach ruhig und überlegt, trennte zwischen dem, was er selbst erfahren hatte, was ihm zugetragen worden war und was er aus fehlenden Angaben seines Schwagers geschlussfolgert hatte.
Furcht vor russischen Spezialeinheiten
Warum er bei seinem ersten Auftritt vor dem Kammergericht Ausflüchte gesucht hatte, erklärte er so: Als er Ende Juli den Gerichtssaal betreten habe, habe er sich unsicher gefühlt - als ob ihm jemand eine Pistole an die Schläfe halte. Er habe gefürchtet, "auf den Radar russischer Spezialeinheiten zu geraten".
Richter Arnoldi widersprach ihm: In Deutschland erhalte er Schutz - auch diesmal machte V. seine Aussage in Begleitung zweier Personenschützer des BKA. In seiner Heimat sei der ukrainische Staat zuständig. V. erklärte jedoch, dass die Gesetzeslage dort für ihn keinen Schutz vorsehe. Wenn er zurückkehre, werde ihn niemand bewachen.
Was V. bewog, das Risiko dennoch einzugehen: Zurück in Charkiw sei ihm klar geworden, dass er "so oder so in einer Tragödie enden werde". Auf Nachfrage der Verteidigung nannte er als Motiv zudem, dass er seinem Schwager helfen wolle. Dieser solle nicht wie ein Krimineller verurteilt werden, sondern als jemand, der als Militärangehöriger einen Auftrag erfüllt habe. Russland solle die Verantwortung übernehmen - jenes Russland, dass 30 Kilometer von Charkiw entfernt Krieg führe.
Strafverteidiger spricht von Lügen
Im August gab V. Journalisten in Kiew ein Interview. Schon da benannte er den Angeklagten als seinen Schwager. In der Folge nahm die Berliner Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen Falschaussage gegen ihn auf.
Strafverteidiger Robert Unger setzte an dieser Stelle an und warf V. vor: "Sie haben das letzte Mal gelogen. Sie erzählen heute das Gegenteil. Ich sage es Ihnen deutlich: Sie lügen heute wieder." Daraufhin verstrickten sich Unger und der Zeuge in ein Hin und Her darüber, ob und welche ukrainische Behörden Druck auf V. ausgeübt haben könnten.
"Plötzlich macht er eine 180-Grad-Wende. Und ob er das freiwillig gemacht hat, das scheint mir äußerst fraglich zu sein", erklärte Unger später vor Journalisten. Offensichtlich habe die Ukraine politisches Interesse daran, eine Verwicklung Russlands in den Fall festzustellen. Unger betonte, sein Mandant habe mehrfach erklärt, Vadim Sokolov zu heißen und mit Krasikov nichts zu tun zu haben.
Ein Schlüssel in der Beweiskette
Die Nebenklagevertreterinnen Johanna Künne, Barbara Petersen und Inga Schulz hingegen beschrieben das Verhalten des Zeugen als nachvollziehbar. Er habe schon beim ersten Auftritt in plausibler Weise seine Furcht zum Ausdruck gebracht. An den ukrainischen Behörden habe er hingegen jedes mal Kritik geübt, sagte Schulz.
Er habe durchaus Widersprüche produziert, so Künne. Aber man müsse sich in seine Lage versetzen: "Es ist die schwierigste Situation, in die man als Zeuge geraten kann." Hinzu seien Verständnisschwierigkeiten nicht allein wegen der Übersetzung, sondern auch wegen der völlig anders aufgebauten Sicherheitsstrukturen in der Ukraine gekommen, so Schulz.
Weitere Hinweise auf Krasikovs Leben
Die Aussage V.s sehen die drei Anwältinnen als einen wichtigen Schlüssel für die Identifikation des Angeklagten. Ein Steinchen führe dabei zum nächsten. Hinzu kommen beschlagnahmte Fotos aus dem Besitz von V.s Familie.
Zu sehen ist Krasikov mit zwei Tattoos, wie sie genauso auch der Angeklagte trägt. Zwei Gutachter stellten zudem zwischen Fotos des Angeklagten und der Person Krasikov sehr hohe Übereinstimmungen fest, was Strafverteidiger Unger allerdings so nicht gelten lassen will: Bei dem Verfahren würden subjektive Kriterien angelegt, es handele sich nicht um objektive Wissenschaft.
Von Bedeutung könnten Angaben V.s zum Leben Krasikovs sein, wenn sich für sie weitere Belege finden. Da geht es zum Beispiel um Krasikovs Ausbildung an einer Militäreinrichtung, um seine Geschäftsreisen nach Kirgistan mit einem Partner, der bei anderen Mordfällen auffiel, sowie um einen längeren Aufenthalt Krasikovs und seiner Familie in der Ukraine im Jahr 2013. Das war, nachdem die russische Polizei Krasikov zur Fahndung ausgeschrieben hatte - aufgrund eines Mordes in Moskau. Der Täter dort hatte sich dem Opfer mit einem Fahrrad genähert, bevor er schoss - wie beim Mord im Kleinen Tiergarten.
V. und seine Familie in der Ostukraine werden für immer in Unsicherheit leben. Einen solchen Zeugen könne man nicht auf Dauer schützen, sagt Anwältin Schulz und verweist auf den Mord im Tiergarten: Zelimkhan Khangoshvili sei getötet worden, viele Jahre, nachdem er in Tschetschenien gekämpft habe.