Flutkatastrophe im Ahrtal Verbindungsoffizier warnte vor Problemen
Wie schlecht der Krisenstab im Ahrtal aufgestellt war, war im Kreisverbindungskommando der Bundeswehr seit Jahren bekannt. Weil die Bundeswehr aber nur nach Anforderung beraten darf, waren dem damaligen Leiter die Hände gebunden.
Bei der Flutkatastrophe im Ahrtal im Juli 2021 haben 135 Menschen ihr Leben verloren. Ein Untersuchungsausschuss beschäftigte sich über Jahre mit der Frage der Verantwortung, noch immer ermittelt die Staatsanwaltschaft Koblenz gegen den ehemaligen Landrat. Auf politischer Ebene stellt sich die Frage: War der Kreis Ahrweiler auch deswegen nicht gut genug vorbereitet, weil der Landrat nie an Übungen teilgenommen und keinen Verwaltungsstab eingerichtet hat?
Als Leiter des Kreisverbindungskommandos der Bundeswehr war es über Jahre hinweg die Aufgabe des Reservisten Harald Trinkaus, den Landrat des Kreises Ahrweiler in Krisensituationen zu beraten. Das Kreisverbindungskommando agiert als Schnittstelle zwischen Militär und zivilen Einrichtungen wie der Kreisverwaltung. So koordinierte Trinkaus beispielsweise im Kreis Ahrweiler die Einsätze der Bundeswehr während der Flutkatastrophe oder der Corona-Pandemie.
2016 stellte Trinkaus während des sogenannten Jahrhunderthochwassers im Ahrtal fest, dass es der Kreisverwaltung an einem etablierten Verwaltungsstab - in anderen Bundesländern auch Krisenstab genannt - fehlte. Im Management der Hochwasser-Lage habe sich für ihn gezeigt, dass man für zukünftige Krisenszenarien "sicherlich noch einiges optimieren" könnte, erinnert sich der frühere Bundeswehrsoldat, der heute im Ruhestand ist, im Interview mit dem SWR.
Landrat nahm nicht an Katastrophenschutzübungen teil
Er habe das Thema immer wieder auch privat thematisiert, habe sich gefragt, "ob man da vielleicht was sagen sollte". Doch er sei von seinen "militärischen Vorgesetzten zurückgepfiffen" worden, sagt er. Da habe es geheißen: "Auf keinen Fall." Denn die Bundeswehr sei nicht dazu da, Organisationsstrukturen in Kreisverwaltungen zu kritisieren oder zu verbessern.
Als Reservist der Bundeswehr und Leiter des Kreisverbindungskommandos war es zwar seine Aufgabe, die Kreisverwaltung und ihren politisch Gesamtverantwortlichen im Krisenfall "natürlich in jeglicher Art und Weise zu unterstützen und zu beraten", allerdings nur nach Anforderung. Darüber hinaus dürfe die Bundeswehr keinen Einfluss nehmen.
Doch das Thema ließ dem einstigen Bundeswehrsoldaten keine Ruhe. Auch weil die Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivile Verteidigung (BABZ), an der sich Landräte und Verwaltungsstäbe aus ganz Deutschland im Katastrophenschutz schulen lassen, ihren Sitz in Bad Neuenahr-Ahrweiler hat, drei Kilometer entfernt von der Kreisverwaltung.
Vor Kameras lobte der damalige Landrat Jürgen Pföhler die Akademie in höchsten Tönen: "Man kann es nicht oft genug üben, damit im Ernstfall jeder Griff sitzt", sagte er beispielsweise 2013 in einem SWR-Beitrag anlässlich des 60. Geburtstags der Akademie. "Wir wollen auch immer gucken, dass wir das ganze Team dann auf gleichem Stand haben."
Für sich selbst sah er diese Notwendigkeit offenbar nicht. Im rheinland-pfälzischen Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe wurde bekannt, dass der Landrat nie selbst an einer Schulung dort teilgenommen habe.
Veranstaltung legte Defizite offen
Das wollte der langjährige Leiter des Kreisverbindungskommandos der Bundeswehr ändern. 2019 organisierte er hinter dem Rücken des Landrats und entgegen der Anweisung seiner militärischen Vorgesetzten eine Veranstaltung in der Bundesakademie, an der auch mindestens ein Mitglied der Technischen Einsatzleitung sowie mindestens ein Verantwortungsträger der Kreisverwaltung Ahrweiler teilgenommen haben sollen.
Sein Ziel: Eine gemeinsame Katastrophenschutzübung von Landrat und Verwaltungsstab. Er habe damit seine "Kompetenz weit überschritten", so Trinkaus. Er spricht von einer "Privatinitiative, um diese Sache vielleicht voranzubringen".
SWR-Reporter konnten Teile der Akten der aktuell gegen den früheren Landrat wegen des "Verdachts der fahrlässigen Tötung und fahrlässigen Körperverletzung im Amt durch Unterlassen" ermittelnden Staatsanwaltschaft Koblenz einsehen. Darin berichtet auch ein Zeuge der BABZ von dieser durch Trinkaus angeregten Veranstaltung. Hier habe sich bestätigt, heißt es sinngemäß in den Akten, dass der Kreis Ahrweiler beim Katastrophenschutz bezogen auf Räumlichkeiten und Ausbildung nicht gut aufgestellt sei und es auch keinen Verwaltungsstab gegeben habe.
Innenminister: Zu Übungen gesetzlich verpflichten
Die Akademie habe dem Landrat konkrete Seminarangebote gemacht. Angenommen worden seien sie nicht. Auf SWR-Anfrage zu all diesen Vorwürfen antwortete Jürgen Pföhlers Anwalt mit einem Schreiben, das auf keine der gestellten Fragen einging. Der Anwalt teilte mit, die "umfangreichen, wenn auch zum Nachteil meines Mandanten einseitigen und damit nicht objektiven Ermittlungen" hätten "keinerlei Tatsachen ergeben, die geeignet wären, den Vorwurf einer Strafbarkeit durch angebliche Unterlassungen zu begründen".
Bislang sind verpflichtende Übungen für Landräte und deren Krisenstäbe im rheinland-pfälzischen Brand- und Katastrophenschutzgesetz nicht vorgeschrieben. Innenminister Michael Ebling (SPD) kündigte im Interview mit dem SWR nun eine Novellierung des Gesetzes sowie den Erlass einer Katastrophenschutzverordnung "noch in dieser Legislaturperiode" an. Der nächste Landtag wird in Rheinland-Pfalz 2026 gewählt.
Mit der Novelle des Gesetzes sowie dem Erlass einer Katastrophenschutzverordnung werde den Erkenntnissen aus der Flutkatastrophe im Juli 2021, dem Bericht der Enquete-Kommission sowie den Forderungen von Expertinnen und Experten aus dem Bereich des Katastrophenschutzes Rechnung getragen, so der Innenminister: "Aber dass auch regelmäßig zu üben ist, das muss eine Pflicht werden."
Gesetzliche Verpflichtungen für Bundeswehroffizier überfällig
Nach der Flutkatastrophe 2021 setzte der rheinland-pfälzische Landtag eine Enquete-Kommission ein, die sich unter anderem mit der Frage beschäftigen sollte, wie der Katastrophenschutz in Rheinland-Pfalz nach den Erfahrungen im Ahrtal besser aufgestellt werden müsse. Ende vergangenen Jahres stellte die Kommission im Landtag ihren Abschlussbericht vor. Darin heißt es, zur "Optimierung des ebenen-übergreifenden Katastrophen- und Bevölkerungsschutzes" seien "landesweit einheitliche und verbindliche Vorgaben notwendig".
Die Kommission empfiehlt eine Novellierung des Katastrophenschutzgesetzes zu prüfen und für "kurzfristig zu treffende Optimierungen und Präzisierungen" konkrete Angaben zur Umsetzung durch die kommunalen Aufgabenträger "im Rahmen einer Katastrophenschutz-Verordnung bzw. eines Landeskatastrophenschutzkonzeptes" zu machen. Hervorzuheben seien hier unter anderem "Angaben für verpflichtende und regelmäßige Übungen" sowie "die Aufstellung und Vorhaltung gleich strukturierter Einheiten wie schichtfähige Krisenstäbe (Technische Einsatzleitung und Verwaltungsstab)".
Für den damaligen Leiter des Kreisverbindungskommandos ist die nun angekündigte Überarbeitung des Gesetzes schon lange überfällig. Aus seiner Sicht müsse gesetzlich wesentlich mehr vorgegeben werden, als das aktuell noch der Fall sei. "Wenn ich keine Vorgabe mache, dann muss auch ein Landrat oder Bürgermeister nicht unbedingt freiwillig irgendwas durchführen." Wozu das aber führen kann, hat der frühere Berufssoldat selbst während der Flutkatastrophe in den Räumen der Technischen Einsatzleitung erlebt.
Katastrophenschutz "stiefmütterlich" behandelt
Auch Jörg Beckmann betont die Bedeutung von Übungen im Katastrophenschutz. Beckmann führte für die Landesfeuerwehr- und Katastrophenschutzschule, heute Feuerwehr- und Katastrophenschutzakademie Rheinland-Pfalz, 19 Jahre lang Übungen für Verwaltungsstäbe und Technische Einsatzleitungen durch.
Seine Erfahrung: "Der Katastrophenschutz in Rheinland-Pfalz wurde eigentlich immer recht stiefmütterlich behandelt. Wenn ich das jetzt mit anderen Ländern vergleiche, war man dort schon immer bereit, richtig Geld in die Hand zu nehmen." Auch was das Thema Verwaltungsstab betreffe, sei es in Rheinland-Pfalz seiner Erfahrung nach lange "nicht so verbreitet gewesen, sich da Gedanken zu machen".
Seit 2019 leitet Beckmann die Abteilung Katastrophenschutz im zuständigen Landesamt in Mecklenburg-Vorpommern. Dort stehe nicht nur die Verpflichtung zu Übungen im Gesetz. Er habe beim Landesamt auch Geld zur Verfügung, um die Kreise bei den Kosten zu unterstützen.