Polnische Arbeiter beteiligen sich an einer Aktion zur Reinigung der Oder von toten Fischen mit Hilfe eines flexiblen Damms.
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Greenpeace-Report zur Oder Fischsterben geht wohl auf Bergbaubetriebe zurück

Stand: 02.03.2023 12:51 Uhr

Das Oder-Fischsterben geht offenbar auf Salzeinleitungen polnischer Bergbaubetriebe zurück. Das zeigt eine Untersuchung von Greenpeace, die dem SWR und dem "Tagesspiegel" vorliegt. Im Fokus standen dabei Zuflüsse, an denen die Betriebe Abwässer einleiten.

Von Marilina Görz y Moratalla und Nick Schader, SWR

Die Bilder des dramatischen Fischsterbens in der Oder gingen im vergangenen Sommer um die Welt. Damals waren ein erheblicher Teil des Fischbestandes und zahlreiche weitere Tierarten verendet. Lange Zeit war unklar, was zu der Umweltkatastrophe führte.

Das könnte sich nun ändern. Wissenschaftler von Greenpeace Polen führten in den vergangene Wochen immer wieder Wasseranalysen im Süden Polens durch. Jetzt legten sie einen Bericht vor, der dem "Tagesspiegel" und dem SWR exklusiv vorab vorliegt.

Laut diesem Report sind Verursacher mehrere Betriebe der Steinkohleindustrie in der Region Schlesien, die in großen Mengen Salzwasser in die Zuflüsse der Oder einleiten. Gewässerexperten waren sich schon länger einig, dass ungewöhnlich hohe Salzgehalte im Sommer zur Vermehrung einer giftigen Algenart (Prymnesium Parvum) geführt hatten, die das Fischsterben auslöste. Nur woher das Salz kam, war bisher unklar.

Problematisches Salzwasser aus dem Bergbau

Im Fokus der aktuellen Greenpeace-Untersuchungen standen die Zuflüsse der Oder, in die Bergbaubetriebe ihre Abwässer einleiten. In der Region gibt es zahlreiche Steinkohleminen. Diese pumpen unentwegt sehr große Mengen Wasser aus den Stollen ab, damit dort gearbeitet werden kann. Es ist bekannt, dass dieses "Pumpwasser", je nach Region, sehr salzhaltig sein kann.

Die Greenpeace-Wissenschaftler entnahmen rings um die Bergbaubetriebe mehrmals Wasserproben und analysierten sie. Die höchsten Salzkonzentrationen dokumentierte Greenpeace in den Oderzuflüssen Klodnica, Bierawka und Potok Bielszowicki, an denen mehrere Steinkohleminen liegen.

Greenpeace untersucht Ursachen des Fischsterbens in der Oder: Hoher Salzgehalt durch Steinkohleminen

Nick Schader, SWR, tagesschau, 02.03.2023 17:00 Uhr

Hierbei ergab sich laut Untersuchungsbericht ein eindeutiges Bild. Während oberhalb, also flussaufwärts, die Salzgehalte sehr niedrig lagen, stiegen die Salzgehalte ab den Einleitungsstellen der Minenbetriebe massiv an. Die Salzkonzentration lag an mehreren Stellen sogar höher als in Meerwasser. Die Toxikologen von Greenpeace sind sich sicher, dass diese Salze zur massenhaften Vermehrung der giftigen Algen führten.

Christian Wolter, Fischökologe des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), begrüßte im Interview mit dem SWR die Greenpeace-Untersuchung: "Es war wichtig, dass Proben an den Einleitungsstellen genommen wurden, um die Verursacher klar zu identifizieren. Damit bestätigen die Ergebnisse dieses Berichts, worauf das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei schon lange hinweist: Die optimalen Wachstumsbedingungen für die giftige Alge, also die hohe Salzkonzentration in der Oder, wurden vom Menschen verursacht."

"Chronisch krank"

Das größte polnische Bergbauunternehmen Polska Grupa Górnicza (PGG), das die meisten Minen im Einzugsgebiet betreibt, beantwortete Fragen des SWR trotz mehrfacher Nachfrage nicht. Das Unternehmen JSW SA, das dort eine Mine betreibt, teilte auf Anfrage mit: "Die Einleitung von Salzwasser in die Umwelt basiert auf Genehmigungen der zuständigen Behörden. Es gab zahlreiche Überprüfungen, bei denen keine Unregelmäßigkeiten festgestellt wurden."

Das polnische Umweltministerium beantwortete konkrete Fragen des SWR ebenfalls nicht - teilte lediglich allgemein zu ihren Gewässerkontrollen mit: "Das zentrale Forschungslabor für Umweltschutz führt Tests und Messungen einschließlich Probenahmen zum Zwecke der Kontrolltätigkeit und der staatlichen Umweltüberwachung durch. In diesem Rahmen werden derzeit zweimal wöchentlich an 20 Mess- und Untersuchungsstellen Proben des Oderwassers entnommen."

Wer sich die öffentlich verfügbaren Messergebnisse der polnischen Behörden ansieht, findet auch dort immer wieder Grenzwertüberschreitungen beim Salzgehalt. Dazu schreibt das polnische Umweltministerium, das zu ähnlichen Ergebnissen wie Greenpeace kommt: "Die höchsten Salzgehalte werden im Oberlauf des Flusses beobachtet, wo unterirdisches Wasser aus dem Steinkohlebergbau eingeleitet wird."

Dietrich Borchardt, Hydrobiologe des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ), warnt schon länger, dass die Oder "chronisch krank" sei: "Was die Oder jetzt braucht, ist eine konsequente Überwachung der Einleitungen, gepaart mit weiteren Maßnahmen zur Stärkung der Widerstandskraft des Flussökosystems. Dass sich so Flüsse erholen können, haben wir auch schon bei anderen schweren Fällen, wie beispielsweise dem Rhein, gesehen."

Greenpeace warnt vor weiteren Umweltkatastrophen

Greenpeace Polen warnt davor, dass sich solch eine Umweltkatastrophe wiederholen könnte. Zudem sei von den massiven Salzwassereinleitungen der Bergbauindustrie nicht nur die Oder, sondern auch die Weichsel massiv betroffen. In seinem Abschlussreport fordert Greenpeace daher die polnischen Umweltbehörden zum Handeln auf. Es müssten sofortige Umweltprüfungen bei den Bergbaubetrieben durchgeführt, die Abwassermengen reduziert und Entsalzungsanlagen eingebaut werden.

Ob und wie die polnischen Umweltbehörden nun handeln, ist zur Stunde noch unklar, da erst heute die Untersuchungsergebnisse von Greenpeace Polen veröffentlicht wurden. Der Druck dürfte aber zunehmen.

Fischereiexperte Christian Wolter vom Leibniz-Institut: "Wir hoffen, dass hinter den Kulissen auf politischer Ebene bereits an Lösungen wie Rückhaltebecken oder der Festlegung eines ökologisch verträglichen Grenzwertes auf wissenschaftlicher Basis gearbeitet wird." Die Einleitungen müssten dringen reduziert werden, damit die Umweltkatastrophe sich in diesem Sommer nicht wiederhole.

Nick Schader, SWR, 02.03.2023 14:04 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 02. März 2023 um 13:09 Uhr.