Experte zu Steam "Hass wird normalisiert"
Im Interview mit tagesschau.de erklärt der Kulturwissenschaftler Christian Huberts, wie rechtsradikale Aktivisten versuchen, Propaganda und Hetze zu normalisieren. Deutlich kritisiert er die Betreiberfirma von Steam. Huberts beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Computergames und schreibt über deren Ästhetik in verschiedenen Medien.
tagesschau.de: Steam hat viele Millionen Nutzer, darunter finden sich auch Rechtsextreme, die Terroristen glorifizieren. Einige sagen, es sei nur ein kleiner Teil der riesigen Community. Warum ist das möglicherweise dennoch ein Problem?
Christian Huberts: Es stimmt auf jeden Fall, dass der Anteil tatsächlich problematischer Userinnen und User im Verhältnis zur Größe der gesamten Steam-Community relativ gering ist. Gleichzeitig gelingt es dieser Minderheit jedoch relativ viel Wirkung zu erzeugen, insbesondere bei der Normalisierung radikalisierter Sprache auf der Plattform. Die Steam-Community funktioniert auch als Aufmerksamkeitsökonomie - ebenso wie nahezu alle anderen Netzwerke zwischen Facebook und 4chan.
Rechtsextreme Symbole und Codes sowie die Glorifizierung von Terroristen erweisen sich in dieser Hinsicht als sehr effektiv. Hier verschwimmen oft die Grenzen zwischen den Wenigen, die es ernst meinen, und jenen, die für mehr soziale Resonanz provozieren, trollen und triggern. Problematisch daran ist, dass so langfristig Formen menschenverachtender Sprache und Symbole zur Normalität werden, sich der Korridor des Sag- und Zeigbaren nach rechts verschiebt.
tagesschau.de: Von welchen Inhalten oder Symbolen sprechen Sie?
Huberts: Es gibt kaum Widerspruch gegen Hatespeech, Hakenkreuze und schwarze Sonnen, Memes der Alt-Right und so weiter. Nicht zwingend, weil andere Nutzerinnen und Nutzer die damit verbundene Ideologie aktiv teilen, sondern weil der problematische Content als legitime Meinungsäußerung auf einem offenen Ideenmarktplatz verstanden wird. Ein Verständnis, dass auch der Steam-Konzern Valve offen vertritt: "we've decided that the right approach is to allow everything onto the Steam Store, except for things that we decide are illegal, or straight up trolling".
tagesschau.de: Viele menschenverachtende Inhalte werden als vermeintliche Satire verpackt, was steckt hinter dieser Strategie?
Huberts: Insbesondere die Schutzbehauptung der Satire erlaubt hier auch, dass Formen radikalisierten Sprechens geduldet und legitimiert werden, die eigentlich schon als Hatespeech gelten müssten - das antimuslimische "Remove Kebab/Kebab Remover"-Meme ist hierfür ein sehr gutes Beispiel. Menschen, die eventuell anfällig für eine Radikalisierung sind - durch biografische Brüche oder Identitätskrisen - stoßen auf Steam also bereits schon auf viele Inhalte, die man sonst erst auf 4chan und Co. zu sehen bekommt, in einer Umgebung, die eigentlich dem gemeinsamen Spielen dienen sollte. Die Plattform ist dadurch zumindest potenziell ein erster Schritt in einer Radikalisierungskarriere entlang der so genannten "Alt-right pipeline".
Die Satire dient ebenso der Gruppenzugehörigkeit. Man kann zur In-Group gehören und sich einfach mal ein bisschen locker machen bei Nazi-Jokes. Oder man ist eben eine Spaßbremse aus der Out-Group. Durch lancierte Begriffe wie "Social Justice Warrior" (in etwa "Gutmensch") hat es rechte Ideologie geschafft, sich selbst als offen, tolerant und subversiv zu vermarkten, während Gegenrede von Links und aus der Mitte als Verbohrtheit und Humorlosigkeit erscheint.
tagesschau.de: Sind das gezielte Strategien?
Huberts: In den meisten Fällen handelt es sich wohl schlicht um eine individuelle, nicht-organisierte Strategie der Verantwortungsabwehr. Gleichzeitig ist das Framing von rechtsextremer Ideologie als "for the lulz" - also "nur Spaß" - aber auch explizite Strategie von Akteuren und Institutionen der Alt-Right bzw. der Neuen Rechten. Festgehalten wird sie zum Beispiel im "Normie's Guide to the Alt-Right" des US-amerikanischen Neonazis Andrew Anglin oder im "Handbuch für Medienguerillas" aus dem Umfeld der "Identitären Bewegung". Überdacht werden die verschiedenen Ansätze von der "metapolitischen" Idee eines rechten Kulturkampfes, wie sie etwa von Götz Kubitschek vertreten und popularisiert wird. Auf Steam kann man diese "Metapolitik" gut beobachten. Was Spaß und was Ernst ist, lässt sich in der Regel nicht mit Sicherheit sagen. Es gibt keinen Konsens mehr über Grenzen des Sprechens. Gleichzeitig lässt sich auch kein organisiertes Vorgehen eindeutig beobachten, weil die Doppelbödigkeit der Satire selbst Rechtsextremen erlaubt, ihre Ideologie kurzzeitig zu verleugnen.
tagesschau.de: Verschiedene Gruppen von Rechtsradikalen wie die der Identitären existieren zwar noch auf Steam, sind aber weitestgehend verweist. Inwieweit versuchen Akteure aus der "AltRight" weiterhin, Anhänger gezielt über Steam zu gewinnen?
Huberts: Es stimmt, dass viele einschlägige Gruppen verwaist oder kaum nennenswert aktiv sind. In vielen Einzelfällen lassen sich dennoch "Einladungen" auf Steam beobachten - zum Beispiel wird in den Kommentaren einer inoffiziellen AfD-Gruppe sowie einer Gruppe zu "Deutschlands Politik" vom selben Admin zu YouTube-Videos von Nikolai Alexander, dem Begründer von "Reconquista Germanica", verwiesen. Von dort führt der Algorithmus dann unter anderem zum rechten Verein "Ein Prozent" weiter. Ein Großteil der aktiven Gewinnung von Anhängern dürfte über dieses Weiterführen in andere Netzwerke funktionieren - insbesondere YouTube, Discord und Facebook.
tagesschau.de: Unternimmt der Betreiber Ihrer Ansicht nach genug, um die Community-Standards durchzusetzen?
Huberts: Im vergangenem Jahr ist Valve deutlich strenger geworden. Hakenkreuze, bekannte Hass- und Terrorgruppen, anerkannte Hatespeech werden nach einer Meldung nun in der Regel relativ schnell gelöscht. Anders sieht es bei Content aus, der sich in legalen Grauzonen befindet, beispielsweise die schwarze Sonne, Bilder von Attentätern oder eben Memes wie Pepe oder "Remove Kebab". Hier zeigt sich Steam nach wie vor sehr zurückhaltend und passiv.
tagesschau.de: Welche Sanktionen gibt es?
Huberts: Oft ist nicht klar, ob extremistische Inhalte wirklich gelöscht oder sie bei einer Suche einfach nicht mehr angezeigt werden. Dazu kommt, dass meist nicht Accounts gesperrt werden, sondern nur beanstandete Profilnamen oder -bilder. Die betroffenen Nutzerinnen und Nutzer können ihre Provokationen also weitgehend unbeeinflusst fortführen. Auch sollte es einem so großen und erfolgreichen Unternehmen wie Valve möglich sein, Community-Inhalte stärker proaktiv zu moderieren. Auch automatisierte Filter wären eine Möglichkeit. Dass sich ein User "jewkiller1488" nennen darf, ohne dass ein Filter-Algorithmus drauf anspringt, dürfte eigentlich nicht sein.
Das Interview führte Patrick Gensing, tagesschau.de