Rechte Trollfabrik Infokrieg mit allen Mitteln
Die Online-Attacken organisieren sie mit militärischer Sprache und Präzision: Rechte Aktivisten, die im Netz Politiker und Medien angreifen. Ein Ziel ist derzeit ein Film der ARD.
"Mittwoch - 20 Uhr in der Haupthalle erscheinen!!" - so lautet der virtuelle Befehl von "Lui Tagel". Adressiert hat der "Offizier der Heeresgruppe Ost" diese Anweisung im Internet über die Chat-Plattform Discord an die Mitglieder der Gruppe Reconquista Germanica. Hier sind Hunderte Netzaktivisten unterwegs - streng sortiert nach Hierarchien: Oberbefehlshaber, Generäle, Offiziere, Gefreite und Rekruten.
In einem Organigramm werden zudem die rechtsextremen Identitären und die AfD-Organisation "Junge Alternative" als Teil von Reconquista Germanica aufgeführt. Bekannte Identitäre treten in dem Netzwerk auf und verlinken von ihren Seiten darauf.
Organigramm von "Reconquista Germanica" - erwähnt wird auch die AfD-Jugendorganisation "Junge Alternative".
Reconquista Germanica ist eine virtuelle Trollfabrik, die bereits im Wahlkampf die AfD unterstützte. Sich selbst bezeichnet RG als satirisches Projekt von Gamern. Tatsächlich koordinieren Rechtsradikale hier gezielte Online-Attacken.
Im "Nachrichtenzentrum" sammeln sie Presseberichte. In einer anderen Untergruppe produzieren sie täglich Dutzende von sogenannten Memes; manipulierte Fotos oder kurze Bildsequenzen, die über die sozialen Netzwerke ausgespielt werden, um Stimmung zu machen. Zumeist richten sich die Memes gegen Angela Merkel, Flüchtlinge oder etablierte Medien.
In der Meme-Werkstatt werden täglich Dutzende Motive entworfen und Bilder manipuliert.
Über die Gruppe "Tagesbefehl" geben die Rangoberen Order, wann und wo die Mitglieder mit ihren möglichst vielen Fake-Profilen aktiv werden sollen. Dabei werden nicht nur Gegner attackiert, sondern auch gezielt Bewertungen manipuliert: So sollte in dieser Woche beispielsweise der neue Videoblog eines "Identitären" auf YouTube mit möglichst vielen positiven Rückmeldungen bewertet werden, um Relevanz und Zustimmung zu simulieren. Im "Unterstützungszentrum" wird zudem dazu aufgerufen, ein neues Video von Donald Trump zu verbreiten, um damit "Linke zu triggern".
Attacke auf Böhmermann geplant
Anfang Februar lautete der Tagesbefehl in dem Netzwerk, auf Twitter Jan Böhmermann zu attackieren. Doch der Satiriker wurde gewarnt, so dass er der organisierten Online-Attacke mit einem eigenen Tweet zuvorkommen konnte.
Handbuch für "Medienguerillas"
Böhmermann wurde auch in einem "Handbuch für Medienguerillas" erwähnt. Darin beschreiben rechte Aktivisten detailliert, wie man im Netz vorgehen sollte:
Folge/ Like die Accounts (bzw infiltriere Foren) von allen Parteien, insbesondere den Grünen, bekannten Feministinnen, Regierungslakaien wie Till Schweiger oder Böhmermann und sämtlicher Propaganda-Regierungspresse, wie ARD, ZDF, Spiegel und dem Rest der Fake-News-Mischpoke. Und selbstverständlich den Zensur-Schreibtischtätern Correctiv und Amadeu-Antonio-Stiftung. Und sobald Du siehst, dass Sie wieder ihre Lügen und ihr Gift in die Welt verspritzen, sag ihnen die Meinung, verwickel sie in Diskussionen, markiere ihre Lügen als #fakenews und trolle den Fick aus ihnen heraus.
Durch Fake-Accounts sollen die Gegner der Rechtsradikalen gedemütigt werden. Vor allem "junge Frauen, die direkt von der Uni kommen" seien "klassische Opfer", heißt es in dem Handbuch. Um inhaltliche Diskussion geht es den "Medienguerillas" nicht, sondern ausschließlich um die Wirkung:
Du willst bei Diskussionen im Internet nicht Deinen Gegner überzeugen, das sind eh meist verbohrte Idioten. Es geht um das Publikum. Und es geht hier nicht darum wer Recht hat, sondern wer vom Publikum Recht erhält.
Sollte man an jemand geraten, der diskutieren könne und sich durch bestimmte Strategien nicht vorführen lasse, gebe es nur noch eins, schreiben die rechten Netzaktivisten:
Beleidigen. Und da ziehe jedes Register. Lass nichts aus. Schwacher Punkt ist oftmals die Familie. Habe immer ein Repertoire an Beleidigungen, die Du auf den jeweiligen Gegner anpassen kannst.
Die Mitglieder von Reconquista Germanica setzen exakt das um, was in dem Handbuch als "memetische Kriegsführung" beschrieben wird: Fotos von politischen Gegner stehlen und manipulieren; möglichst viele gefälschte Profile pflegen - und Kampagnen mit Gleichgesinnten koordinieren.
Rechte sollen sich als Syrer ausgeben
Doch die Strategie der rechten Medienaktivisten ist riskant: Sie wollen eine schlagkräftige Troll-Armee aufbauen - und müssen daher möglichst viele Mitstreiter rekrutieren, die auch untereinander oft anonym bleiben. Und so fließen Informationen aus dem Führungskreis der Recoquista Germanica regelmäßig nach außen.
Auf Twitter berichtete beispielsweise Alt-Right-Leaks über Interna und veröffentliche Mitschnitte von RG-Chats. In diesen Chats wurde beispielsweise empfohlen, in sozialen Netzwerken falsche Profile von angeblichen Flüchtlingen anzulegen, die behaupten sollten, in Syrien herrsche kein Krieg.
Zu dieser Strategie passen auch Twitter-Profile von angeblichen Deutsch-Juden, die im November 2017 zeitgleich auftauchten und zahlreiche Tweets von "Identitären" und AfD-Politikern teilten. Weitere mutmaßliche Fake-Profile, genannt Sockenpuppen, lassen sich auf Twitter im Umfeld der Aktivisten von Reconquista Germanica Dutzendfach finden.
Attacke auf ARD-Film geplant
Zuletzt riefen die rechten Medienaktivisten dazu auf, die Diskussion über den ARD-Film "Aufbruch ins Ungewisse" in den sozialen Netzwerken massenhaft und gezielt zu beeinflussen.
In dem fiktiven Spielfilm wird das Szenario eines von rechtsextremen Diktaturen dominierten Europas entworfen, aus dem Dissidenten nach Afrika flüchten müssen. Und bereits vor der Ausstrahlung am Mittwochabend kursieren auf Twitter Memes zu dem Film, die von Profilen aus dem Netzwerk von Reconquista Germanica geteilt werden.
Aufruf zur Kampagne gegen den Film "Aufbruch ins Ungewisse". Memes kursieren bereits auf Twitter.
Server mehrfach gelöscht
Doch die organisierte Attacke ist ins Stocken geraten. Denn der Anbieter Discord, auf dem Reconquista Germanica sein Netzwerk aufgebaut hat, will offenkundig keine Nutzer, die eine Trollfabrik betreiben. Und so wurde der RG-Server in den vergangenen Tagen mehrfach gelöscht.
Die rechten Medienaktivisten riefen daher zunächst den "Fall Grün, dann den "Fall Blau" und nun den "Fall Gelb" aus - alles Begriffe, die die Wehrmacht für Invasionen im Zweiten Weltkrieg verwendet hatte. Bei Reconquista Germanica werden diese nun als Codewörter für den Umzug auf einen neuen Server benutzt - genannt "Ausweichlager".
Solche Umzüge kosten aber Zeit und Ressourcen, außerdem gehen Mitglieder verloren. Daher diskutieren die rechten Medienaktivisten nun über andere Anbieter in Rumänien oder Russland. Und sie wollen das Netzwerk von Reconquista Germanica möglicherweise komplett abschotten. Die Strategien ändern sich also, doch der Infokrieg im Netz geht weiter - mit allen Mitteln.