Besetztes AKW Saporischschja Keine Sanktionen gegen Rosatom
Im russisch besetzten AKW Saporischschja sollen ukrainische Mitarbeiter mit Folter zur Arbeit gezwungen worden sein. EU-Sanktionen gegen den Betreiber Rosatom gibt es laut Recherchen von Report Mainz nicht. Der Grund: Abhängigkeit von russischem Uran.
Der ehemaliger Chef-Techniker im ukrainischen Kernkraftwerk Saporischschja, Oleg Dudar, erhebt schwere Vorwürfe gegen den russischen Staatskonzern Rosatom. Ukrainische Mitarbeiter des Kraftwerks sollen mit Folter zur Zusammenarbeit mit den russischen Besatzern gezwungen worden sein. Zudem sei das Kraftwerks-Gelände vermint worden.
Angesichts von fehlendem qualifiziertem Personal steige das Risiko eines atomaren Unfalls. Der im Exil lebende Dudar äußert sich im ARD-Politikmagazin Report Mainz im Ersten zum ersten Mal vor laufender Kamera.
Mit Folter zur Mitarbeit gezwungen?
Oleg Dudar war seit 1986 im ukrainischen Kernkraftwerk Saporischschja, zunächst als Schichtleiter und später als Betriebsleiter für das größte AKW in Europa zuständig. Als das Kraftwerk im Zuge des Russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine Anfang März 2022 vom russischen Militär übernommen wurde, war er noch im Dienst. An der Aktion seien auch hochrangige Vertreter von Rosatom beteiligt gewesen, erinnert sich Dudar und nennt Namen.
Später sollen Mitarbeiter mit brutaler Folter gezwungen worden sein, Verträge mit dem russischen Staatskonzern zu unterschreiben. Einem Angestellten seien beide Kniescheiben mit einem Bohrer aufgebohrt worden. Seinem Kollegen, dem Schichtleiter des Blocks, dem ranghöchsten operativen Mitarbeiter im Betrieb sei es noch schlimmer ergangen: "Ihm wurden die Sehnen an Armen und Beinen durchgeschnitten, weil die Russen von ihm verlangten, einen Vertrag zu unterschreiben."
Schikanen, Schläge - die Zahl dieser Fälle ist unglaublich. "Ich glaube, die Zahl derer, die durch diese Keller gegangen sind, geht in die Hunderte. Das sind meine Mitarbeiter und andere Mitarbeiter des Kernkraftwerks." Konfrontiert mit den Foltervorwürfen, bestreitet Rosatom diese gegenüber Report Mainz als "unbegründet".
Atomarer Unfall befürchtet
Der frühere Chef-Techniker zeigt sich jetzt auch besorgt über die Sicherheitslage in dem Kernkraftwerk. Nach der Übernahme des Kraftwerks durch die russische Armee seien viele ukrainische Mitarbeiter geflohen. Das Kommando hätten mittlerweile das russische Militär und der russische Staatskonzern Rosatom übernommen.
"Nur sehr wenige qualifizierte Mitarbeiter, zumindest in meiner Abteilung, haben einen Vertrag mit Rosatom unterschrieben und sind im Kraftwerk geblieben. Ich schätze, dass es etwa zehn Prozent der Belegschaft sind, die vor der Besetzung in meiner Abteilung gearbeitet haben. Das sind etwa 60 bis 70 Leute", sagt Dudar.
Die Mitarbeiter aus Russland, mit der Rosatom die Stellen nachbesetze, verfügen laut Dudar nicht über das notwendige Know-how, um die Reaktorblöcke sicher zu betreiben. Dadurch steige die Gefahr eines atomaren Unfalls. "Die Russen kennen unsere Abläufe in dem Kraftwerk nicht. Wenn etwas passiert, werden sie überhaupt nicht wissen, was zu tun ist."
Dem widerspricht Rosatom. Gegenüber Report Mainz erklärt der russische Staatskonzern schriftlich: "Derzeit ist das KKW mit dem notwendigen Personal ausgestattet, um den sicheren Betrieb des Kraftwerks zu gewährleisten." Mehr als 4.500 Personen seien aktuell in der Anlage beschäftigt.
Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde, Grossi zeigte sich zuletzt besorgt über den niedrigen Personalstand im ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja. Vor der Invasion arbeiteten dort etwa 11.000 Menschen.
Rosatom bestätigt Minen auf Kraftwerkgelände
Oleg Dudar schildert auch, dass das russische Militär das Kraftwerksgelände vermint hätte. Vor den angekündigten Besuchen der Kontrolleure der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA wären diese kurzzeitig teilweise entfernt und danach gleich wieder angebracht wurden.
Gegenüber Report Mainz hat nun Rosatom auf Anfrage die Minen auf dem Kraftwerksgelände schriftlich bestätigt. "Der Einsatz von Minen in der geschlossenen Pufferzone ist durch die Notwendigkeit gerechtfertigt, potenzielle ukrainische Saboteure abzuschrecken."
Für Dudar ist Rosatom einer der gefährlichsten Konzerne der Welt. Und wenn Europa weiterhin Uran aus Russland kaufe, finanziere man damit Putins Krieg, erklärt Oleg. Doch bisher gibt es keine Sanktionen gegen Rosatom oder Uran aus Russland. Statt Sanktionen wachsen die Geschäfte von Rosatom in der EU sogar weiter: etwa in Ungarn mit einem Kraftwerk in Bau, aber auch in Deutschland. Über ein französisches Joint-Venture will Rosatom demnächst auch Brennstäbe in der Brennelementefabrik im Niedersächsischen Lingen produzieren.
Komplizierte Rechtslage
Die zuständige Behörde für eine Genehmigung ist das Umweltministerium des Landes. Pikanterweise mit einem grünen Minister. Für Christian Meyer ist die Sache eigentlich klar: "Russland ist einer der größten Atomenergie-Exporteure und man unterstützt damit den Krieg. Deshalb sollte man sich davon unabhängig machen. Sowohl, was Uran, als auch was Brennelemente angeht. Da darf es keine Kooperation geben mit diesem Kriegstreiber", sagt Meyer gegenüber Report Mainz.
Doch die Frage von Sanktionen werde auf europäischer Ebene verhandelt. "Als Land Niedersachsen sind wir Auftragsverwaltung des Bundes im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren. Und in dem Verfahren sind natürlich alle Fragen der äußeren und inneren Sicherheit zu prüfen. Und deshalb wird das am Ende intensiv zu prüfen sein."
Aus Sicht des niedersächsischen Umweltministers dürfe es dabei keinerlei Risiko für die Sicherheit Deutschlands und Europas geben. "Und das wird am Ende auch mit Bestandteil der Entscheidungsgrundlage sein, ob man es genehmigt oder nicht."
Auf Sanktionen gegen Rosatom angesprochen erklärt ein Sprecher des Auswärtigen Amtes: "Die Bundesregierung setzt sich im EU-Rahmen weiterhin für Sanktionen gegen den zivil-nuklearen Sektor in Russland ein, auch um russische Staatseinnahmen zu mindern." Neue Sanktionen können jedoch nur auf europäischer Ebene verhandelt und müssen einstimmig durch die EU-Mitgliedsstaaten beschlossen werden.
Europaabgeordnete fordern Embargo von russischem Uran
Das EU-Parlament hatte nach dem russischen Angriff auf die Ukraine in einer Entschließung 2022 mit großer Mehrheit für ein sofortiges Embargo von russischem Uran gestimmt. Doch bisher scheitert die Forderung an dem Widerstand einzelner Mitgliedsstaaten.
Andrius Kubilius aus Litauen ist Mitglied des Europäischen Parlaments in der Fraktion der Europäischen Volkspartei und kritisiert gegenüber Report Mainz insbesondere die Blockadehaltung von Ungarn. "Es gibt EU-Staaten wie Ungarn, die aktuell an neuen Rosatom-Atomkraftwerken bauen, darum wollen sie keine Sanktionen“, erklärt er im Interview.
Die luxemburgische EU-Abgeordnete Isabel Wiseler-Lima - wie Kubilius Christdemokratin - betont, dass es auch anders gehe: "Es sind auch Länder, die gemacht haben, was gemacht werden muss. Schweden ist auf null gegangen, obwohl es der größte Importeur von russischem Uran war. Und Finnland hat einen Vertrag für ein russisches KKW zurückgezogen."
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