Ein Ordner mit dem Emblem des sogenannten "Königreichs Deutschland".
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"Reichsbürger"-Szene sucht Mitglieder "Starker Expansionsdrang"

Stand: 23.01.2024 19:02 Uhr

Das sogenannte Königreich Deutschland wirbt bundesweit massiv um neue Mitglieder. Recherchen von Report Mainz zeigen, mit welchen zweifelhaften Inhalten die Gruppe auf Mitgliederfang geht. Behörden sprechen von einem "starken Expansionsdrang".

Von David Meiländer und Philipp Reichert, SWR

Sonntagmittag, Mitte Januar. Ein ehemaliger Aussiedlerhof, weit abgelegen von der nächsten Großstadt. Irgendwo in Baden-Württemberg. Es ist bitterkalt, die Straßen sind vereist. Und trotzdem haben sich an diesem Mittag dutzende Menschen hierher auf den Weg gemacht. Sie sind gekommen, um ein "Infoseminar" zu besuchen. Nach Informationen des ARD-Politikmagazins Report Mainz steckt dahinter die Reichsbürgergruppe um das selbsternannte "Königreich Deutschland".

Die Gruppe, die Sicherheitsbehörden als extremistisch und verfassungsfeindlich einstufen, weil sie anstelle der Bundesrepublik einen eigenen Staat gründen will, wirbt aktuell massiv um Anhänger. Allein seit Dezember hat sie rund 20 Veranstaltungen angekündigt, vor allem im Süden und im Westen Deutschlands, auch mit dem Ziel Untergruppen und Zweigstellen aufzubauen.

Das Innenministerium in Sachsen-Anhalt, wo das "Königreich Deutschland” seinen Sitz hat, spricht gegenüber Report Mainz von einem "starken Expansionsdrang", von "vielfältigen Maßnahmen", um neue Anhänger "aus der Mitte der Gesellschaft" zu rekrutieren. Auch andere Ministerien und Sicherheitsbehörden bestätigen das. Report Mainz wurden Aufnahmen eines der Seminare des "Königreiches" zugespielt. Die Aufnahmen offenbaren, mit welchen Inhalten die Gruppe auf Mitgliederfang geht.

Von der Corona-Pandemie zum Systemausstieg

In der Veranstaltung ist beispielsweise die Rede von den Rothschilds, einer jüdischen Bankiersfamilie, die schon den "Bundestag in Frankfurt mitfinanziert und den Haushalt gestellt" habe. Wer denke, dass das heute anders sei, sei ein "Schelm". Die Bundesrepublik Deutschland sei "nicht souverän", das jetzige System müsse "ersetzt" werden. Denn dieses sei einzig zum Nachteil der Bevölkerung ausgelegt, um diese "zu versklaven, kleinzuhalten, sie auszunehmen."

Auffällig ist, dass es in dem Seminar immer wieder auch um die Corona-Pandemie geht: um die Impfungen, die Maske, den "Widerstand" gegen die Maßnahmen. Auch bei der Veranstaltung Mitte Januar in Baden-Württemberg finden sich Bezüge zur Pandemie. Die Besitzerin der Veranstaltungsräume war Sprecherin des Ortsverbandes der Partei "Die Basis", die aus der Corona-Protestbewegung entstanden ist. Auch eine der drei Veranstalterinnen war für diese Partei in einem Landesvorstand aktiv. Die Basis distanziert sich auf Anfrage von Report Mainz von den Aktivitäten des "Königreich Deutschland".

Beratungsstelle: "Extremisten bieten Alternativen an"

Dass bei den Veranstaltungen noch immer die Pandemie eine große Rolle spielt, überrascht Tobias Meilicke von der Berliner Beratungsstelle "Veritas" nicht. Die Organisation berät Betroffene von Verschwörungserzählungen und deren Angehörige. "Während der Pandemie hat doch eine größere Bandbreite an Menschen eine sehr kritische Haltung gegenüber dem Staat entwickelt", erklärt Meilicke. Gerade extremistische Gruppen böten da Alternativen an. Auch er beobachte, dass immer mehr Gruppen aus der Reichsbürgerszene und dem verschwörungsgläubigen massiv auf Mitgliederfang gehen. Dabei versuche man, Menschen in ihrer Wut, Ohnmacht und Unzufrieden mit der Politik der Bundesregierung abzuholen, so Meilicke. Gefährlich sei das, so der Berater - vor allem jetzt in Zeiten, in denen die Unzufriedenheit in Teilen der Gesellschaft so groß zu sein scheint wie lange nicht.

"Demokratiefördergesetz" sollte Beratungsstellen stärken

Der Experte kritisiert, dass Beratungsstellen wie "Veritas" nicht ausreichend ausgestattet seien, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Es fehle Personal, um Menschen zu betreuen, die drohen, in die Szene abzurutschen oder sich von dieser lösen möchten. Dies sei fatal, vor allem, weil die Bundesregierung schon vor längerer Zeit angekündigt habe, die Finanzierung für solche Beratungsstellen zu verstetigen und in neue Beratungsangebote zu investieren.

Tatsächlich hatte die Bundesregierung schon 2022 das "Demokratiefördergesetz" in Aussicht gestellt und einen Gesetzentwurf vorgelegt. Es soll die Finanzierung von Beratungsangeboten auf sichere Beine stellen, von der Aufklärungs- und Demokratiebildungsarbeit bis hin zu Aussteigerprogrammen. Doch seit fast einem Jahr steckt das Gesetz im Bundestag fest, die Ampelkoalition wird sich offenbar nicht einig. Auf Anfrage von Report Mainz konnte keine der drei Fraktionen in Aussicht stellen, wann das Gesetz verabschiedet werde. "Das Demokratiefördergesetz befindet sich nach wie vor im parlamentarischen Verfahren", heißt es etwa aus der SPD im Bundestag.

Experte fürchtet weitere Radikalisierung

Tobias Meilicke von der Beratungsstelle sieht das alles mit großer Sorge: "Wenn ich auf das Demokratiefördergesetz gucke, dann muss ich sagen, dass ich nicht mehr damit rechne, dass es wirklich verabschiedet wird", sagt er. "Wenn wir jetzt nicht etwas tun, dann können wir damit rechnen, dass sich die Gesellschaft weiter polarisiert und die Radikalisierung noch weiter geht".

Unterdessen geht das "Königreich" weiter auf Mitgliedersuche. Die nächste Veranstaltung soll am Wochenende in Nordrhein-Westfalen stattfinden.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete "Report Mainz" am 23. Januar 2024 um 21:45 Uhr.