Eine Kriminaloberkommissarin vor einem Auswertungscomputer auf der Suche nach Kinderpornografie und Fällen von sexuellem Missbrauch.
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Fotos von Kindesmissbrauch BKA muss laut Regierung nicht löschen

Stand: 21.03.2022 12:13 Uhr

Das Bundeskriminalamt steht in der Kritik, weil es Aufnahmen von Kindesmissbrauch nicht aus dem Netz entfernen lässt. Die Bundesregierung rechtfertigt das nun. Opposition und Kinderschutzorganisationen sind empört.

Von Von Daniel Moßbrucker, NDR 

Wenn ein Ermittler des Bundeskriminalamts in einem pädokriminellen Internet-Forum auf Bilder von Kindesmissbrauch stößt, darf er sie nicht löschen lassen - selbst wenn dies einfach und schnell möglich wäre. Diese erstaunliche Aussage trifft die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion, die Panorama und STRG_F (NDR/funk) vorliegt. Demnach habe das BKA keine Rechtsgrundlage für eine Löschung auf eigene Initiative.

Mit der Stellungnahme verteidigt die Bundesregierung das BKA gegen Kritik, der sich die Polizeibehörde seit Monaten ausgesetzt sieht. Auslöser waren gemeinsame Recherchen von Panorama, STRG_F und dem Magazin "Der Spiegel", die gezeigt hatten, dass im aktuell größten pädokriminellen Darknet-Forum der Welt riesige Mengen an Fotos und Videos entfernt werden könnten. Dazu müssen die Inhalte, die bei Speicherdiensten im Netz liegen, lediglich gemeldet werden, um sie löschen zu lassen. Das BKA jedoch unternimmt diesen Schritt nicht.

"An Zynismus nicht zu überbieten"

Die Auffassung der Bundesregierung sorgt für Kritik. So zeigte sich Julia von Weiler, die sich mit der Organisation "Innocence in Danger" für digitalen Kinderschutz einsetzt, gegenüber Panorama überrascht von den Antworten der Bundesregierung. Dass die Polizei ihnen bekannte Straftaten im Netz belasse, sei "ehrlich gesagt an Zynismus nicht zu überbieten".

Auch die Bundestagsabgeordnete Anke Domscheit-Berg von der Linksfraktion, die die parlamentarische Anfrage gestellt hatte, reagierte mit Unverständnis. Dass das BKA gar nicht erst versuche, die Speicherdienste zu benachrichtigen, "das schockiert mich", sagte Domscheit-Berg. Sie fordert, dass "alle staatlichen Ermittlungsbehörden, also explizit auch das BKA, sämtliche derartige Gewaltdarstellungen löschen lassen, die ihnen durch die Ermittlungen bekannt werden".

Illegale Aufnahmen bleiben jahrelang im Netz

Die bisherige Praxis des Nicht-Löschens wirft grundsätzliche Fragen auf, wie nachhaltig Ermittlungsstrategien sind, die das BKA in Kooperation mit den zuständigen Staatsanwaltschaften verfolgt. So schalteten das BKA und die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main zwar im April 2021 die Darknet-Plattform "Boystown" ab und nahmen vier mutmaßliche Hintermänner fest. Doch sie versäumten es, die Verbreitung der illegalen Inhalte zu stoppen.

Denn während "Boystown" zwar im Darknet lag und vom Netz genommen wurde, waren die auf der Plattform getauschten Fotos und Videos, die schweren sexuellen Missbrauch an Kindern dokumentieren, nur verlinkt. Die Aufnahmen lagen bei gewöhnlichen Speicherdiensten im Netz, die davon nichts wussten - und von den Ermittlern auch nicht informiert wurden. Die pädokriminelle Szene lud wenige Tage später eine Kopie von "Boystown" ins Netz, sodass tausende Fotos und Videos wieder verfügbar waren.

"Boystown"-Server seit Monaten beim BKA

Dass das BKA keine Verantwortung an dieser Praxis tragen soll, wie es die Bundesregierung nun nahelegt, ist kurios: Nach Panorama-Informationen werden die beschlagnahmten "Boystown"-Server seit Monaten von BKA-Beamten ausgewertet - und schon 2009 stellte der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages fest, dass das BKA  Internetunternehmen im In- und Ausland informieren kann, wenn es "Kinderpornografie" auf deren Servern finde.

Die Bundesregierung stellt nun jedoch klar, dass das BKA stets nur auf Anweisung einer Staatsanwaltschaft löschen dürfe. Nur "im Ausnahmefall auf Ersuchen und unter Sachleitung einer zuständigen Staatsanwaltschaft im Einzelfall" führe das BKA selbst Ermittlungen gegen pädokriminelle Plattformen, doch die Frage, ob und wann dort Aufnahmen gelöscht werden, müsse auch dann eine Staatsanwaltschaft beantworten. Diese Formulierung legt nahe, dass die Verantwortung für die Panne im Fall "Boystown" allein die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main tragen soll. Mit der dortigen Zentralstelle für die Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) hatte das BKA "Boystown" abgeschaltet.

Differenzen zwischen BKA und Staatsanwaltschaft

Die Zentralstelle für die Bekämpfung der Internetkriminalität und das BKA gelten bei der Bekämpfung von Kindesmissbrauch eigentlich seit über einem Jahrzehnt als natürliche Verbündete. Die Panne im Fall "Boystown" und der Umgang mit den daraus resultierenden Folgen sorgt in der Allianz jedoch seit Monaten für Differenzen, die die Bundesregierung mit der Stellungnahme nun anfeuert.

Die Frankfurter ZIT, die nun öffentlich die Verantwortung für diese Nicht-Löschungen zugeschoben bekommen hat, verwies auf Anfrage auf ein Panorama-Interview aus dem Dezember. Damals sagte die auf Kindesmissbrauch-Ermittlungen spezialisierte ZIT-Staatsanwältin Julia Bussweiler, dass ihre Behörde im Rahmen von Ermittlungsverfahren keine Löschungen von Links verfolge, denn dies sei "eine präventive polizeiliche Aufgabe". Soll heißen: Das ist Sache das BKA.

Seehofer hielt Löschungen noch für "unverzichtbar"

Dass das Bundesinnenministerium, welches die Kleine Anfrage der Linksfraktion beantwortet hat, dem BKA so deutlich eine Kompetenz abspricht beim Thema Löschungen von "Kinderpornografie", ist politisch bemerkenswert. Noch im November hatte der damalige Innenminister Horst Seehofer auf der Herbsttagung des BKA gesagt, die Löschung der Aufnahmen sei "unverzichtbar": "Das Bild- und Videomaterial darf auf keinen Fall dauerhaft online abrufbar sein. Die Betroffenen werden sonst immer wieder zum Opfer. Und zwar ein Leben lang."

Am Dienstag teilte das Innenministerium mit, dass die Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder ein Schwerpunkt sei, den Nancy Faeser in ihrer ersten Rede im Bundestag als Priorität benannt habe. Ferner wiederholte die Sprecherin, dass es dem BKA an einer Rechtsgrundlage für die selbstständige Löschung fehle - sowohl im Strafverfahren als auch bei der Gefahrenabwehr. Im Strafverfahren obliege die Entscheidung über eine Löschung allein der zuständigen Staatsanwaltschaft als "Herrin des Verfahrens".

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Panorama am 2.12.2021 ab 21:45 Uhr im Ersten.