Pädosexuelle im Darknet Der rasante Aufstieg von "Boystown"
Mit "Boystown" haben Ermittlungsbehörden eine der größten Pädosexuellen-Plattformen abgeschaltet. Ein Rechercheteam von Panorama und STRG_F konnte einen Datensatz einsehen, der den Aufstieg des Forums vom ersten Tag an nachzeichnet.
Es ist eine eine der größten Plattformen, auf der im sogenannten Darknet kinderpornografische Inhalte getauscht wurden. Ein Rechercheteam des ARD-Politikmagazins Panorama und von STRG_F (NDR/funk) konnte einen Datensatz einsehen, der Aufschluss über die Aktivitäten des Forums "Boystown" bis Ende 2020 gibt - und dessen Aufstieg zu einer der größten Tauschbörsen für Kindesmissbrauch bis zu deren Abschaltung nachzeichnet.
Den Startschuss für "Boystown" gaben die Administratoren demnach am 30. Juni 2019. An diesem Tag ging die Plattform im Darknet online, und 23 Accounts wurden erstellt. Und es war gleich klar, worum es in dem Forum ging: Bei den Nutzungsregeln wurden Interessierte darauf hingewiesen, dass es sich um eine Plattform für "Boylovers" handele, also Pädosexuelle. Wer damit ein Problem habe, solle sich keinen Account registrieren. Doch das Interesse war im Sommer 2019 immens.
Mehr als 10.000 User in den ersten beiden Wochen
Am 1. Juli 2019, einen Tag nach dem Start, wurden bereits 47 Posts auf "Boystown" hinterlassen, am Tag danach 272, dann 1013, und am 4. Juli hinterließen die User bereits 2536 Posts im Forum an nur einem Tag. In den Posts teilten User entweder Links zu Fotos und Videos, die dann andere herunterladen konnten. Oder sie diskutierten über das Material, tauschten sich über aktuelle Medienberichte zum Thema Kindesmissbrauch aus oder fragten andere User nach bestimmten Inhalten. Auch die Zahl der registrierten Accounts stieg rasant an: Schon zwei Wochen nach dem Start waren mehr als 10.000 User in der "Member List", also der offiziellen Mitgliederliste, aufgeführt.
Die Forenbetreiber bemühten sich trotz dieses rasanten Wachstums von Beginn an um Übersichtlichkeit, sodass die User schnell das fanden, was sie wollten. Diese Rigorosität sorgte häufig für Ärger im Forum, war letztlich jedoch eines der Erfolgsgeheimnisse von "Boystown". Trotz der schier unvorstellbaren Massen an Material war "Boystown" einer der wenigen Orte in der selbsternannten "Community", an denen man schnell genau das finden konnte, was man suchte.
Die Bildnisse wurden beispielsweise streng nach Kategorien geordnet: Es gab einen "Hardcore"-Bereich für schweren Missbrauch und "Softcore" für - aus der Sicht des Forums - eher harmloseren Kindesmissbrauch. Und: Es gab die Kategorie "Non Nude", also "nicht nackt". Panorama und STRG_F hatten im April aufgedeckt , dass in solchen "Non Nude"-Bereichen auch hunderttausende harmlose Alltagsfotos von Kindern getauscht werden, die die Täter von den Social Media-Profilen der Kinder und Eltern stehlen. Auch deutsche Kinder fanden sich in diesen "Non Nude"-Kategorien auf "Boystown".
Der Aufstieg zur einer der beliebtesten Darknet-Foren für Pädosexuelle
Das Forum wurde rasch eines der beliebtesten Darknet-Foren, die sich ausschließlich auf Tausch und Diskussion von Kinderpornografie spezialisieren. Die User duldeten nur Material, auf denen Jungs zu sehen waren. Material, auf denen auch Mädchen abgebildeten wurden, wurde von den Moderatoren nur gestattet, wenn mindestens ein Junge auf den Fotos und Videos zu sehen war. Ab August 2019 posteten die User an fast jedem Tag deutlich mehr als 1000 Beiträge im Forum, außerdem wurde in einem Chat diskutiert. Die Zahl der registrierten Accounts wuchs täglich um mehrere hundert an, an manchen Tagen waren es mehrere tausend Neuregistrierungen.
Die Ermittlungsbehörden sprechen nun von "mehr als 400.000 Mitgliedern", welche "Boystown" bis zur Abschaltung gehabt habe. Trotz der immensen Dimension des Forums ist allerdings davon auszugehen, dass tatsächlich deutlich weniger Menschen für Aktivität im Forum gesorgt haben. Panorama und STRG_F konnten in ihrem Datensatz berechnen, wie aktiv die User waren. Demnach haben 95 Prozent der Accounts nie etwas in diesem Forum gepostet.
Ein aktiver Kern - und viele bedienen sich
Die Daten legen nahe, dass sich viele User für jedes Login einen neuen Account erstellt haben. Dies deckt sich mit Empfehlungen im Forum selbst. Da die Erstellung eines Accounts auf "Boystown" kostenlos war und keine Daten wie eine E-Mail-Adresse nötig waren, dürften viele User sich immer wieder einen neuen Account erstellt haben, um über die Zeit keine Spuren zu hinterlassen. Zur Verdeutlichung: Trotz der 400.000 Accounts gab es bis November weniger als 4000 Konten, die mehr als zehn Posts im Forum hinterlassen hatten.
Auf Panorama-Anfrage bestätigte Julia Bussweiler von der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main, dass man nicht sagen könne, wie viele Einzelpersonen hinter den 400.000 Nutzerkonten stehen: "Es ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass manche User mehrere Accounts zur Nutzung von 'Boystown' angelegt haben."
Auf "Boystown" entwickelte sich daher schnell eine zweigeteilte Nutzerschaft: Es gab ein Kernteam, welches sehr aktiv Inhalte teilte und für "Ordnung" im Forum sorgte. 15 Accounts hatten bis Ende 2020 jeweils über 5000 Posts im Forum hinterlassen. Und dann gab es die große Mehrheit derjenigen, die "nur" im Forum angemeldet waren, mitlasen und sich kinderpornografische Inhalte herunterluden. Solche "passiven Nutzer" - die große Masse - zu ermitteln, dürfte für die Ermittlungsbehörden nahezu unmöglich werden. Sie sind nach den Recherchen von Panorama und STRG_F offenbar bereits in andere Foren weitergezogen und hinterlassen auf "Boystown" nichts als einen ausgedachten Nickname.
Ein neues Design zum Geburtstag
Im Sommer 2020 feierte das Forum das einjährige Bestehen des Forums. Die Moderatoren riefen einen Wettbewerb aus, um zum Geburtstag ein neues Design zu erstellen. Angesichts der Masse an illegalen Inhalten zeigten sich einige User bereits da verwundert, dass man es so lange geschafft habe. Sie bezeichnen sich als "gejagte Minderheit" und in ihrer "Community" sei allen bewusst, dass die Foren irgendwann auffliegen werden.
Im Frühjahr dieses Jahres mehrten sich dann die Gerüchte, mit "Boystown" stimme etwas nicht. Es wurde in anderen Foren gewarnt, weiterhin Accounts bei "Boystown" zu erstellen, weil Nutzerdaten abfließen könnten. Einige argwöhnten bereits, dass das Forum aufgeflogen sei. Schnell verschwand "Boystown" von den Empfehlungslisten für Kinderpornografie-Plattformen. Dann ging das Forum offline - wie sich jetzt herausstellt offenbar aufgrund der Aktivitäten der Ermittler.
Mit der offiziellen Bestätigung der Ermittlungsbehörden ist der "Community" jetzt klar, dass "Boystown" Geschichte ist. Viele der Nutzer dürften sich daran jedoch nicht stören. Nach den Recherchen von Panorama und STRG_F arbeiten sie bereits daran, die Inhalte aus dem Forum wiederherzustellen und auf anderen Plattformen hochzuladen.