Lithium für Akkus Der Traum vom sauberen Auto
Elektrische Antriebe statt Verbrennermotoren - so sollen Autos sauber werden. BMW gibt an, Lithium für Akkus von einem nachhaltigen Hersteller zu beziehen. Doch NDR-Recherchen lassen daran Zweifel aufkommen.
Lithium gilt als das weiße Gold der Energiewende. Vor allem der Bedarf der Automobilindustrie für E-Mobilität lässt die Nachfrage nach dem Alkalimetall explodieren. So verfünfzehnfachte sich der Preis für Lithiumcarbonat in den vergangenen beiden Jahren.
Eine der größten Lagerstätten ist in Südamerika, wo Lithium aus Salzseen gewonnen wird. Autobauer BMW behauptet, Lithium dort direkt von einem besonders nachhaltigen Hersteller zu beziehen: Livent. Im März 2021 schloss BMW einen Vertrag in Höhe von 285 Millionen Euro mit dem US-Konzern, der am Salar del Hombre Muerto, einem Salzsee in Argentinien, Lithium fördert.
"Besonders nachhaltig"
BMW behauptet in einer Pressemeldung dazu, das Verfahren von Livent sei im Vergleich zum herkömmlichen Abbau von Lithium im Länderdreieck zwischen Argentinien, Bolivien und Chile "besonders nachhaltig". Livent verwende "ein innovatives Verfahren, das eine nachhaltige Wassernutzung gewährleistet und die Auswirkungen auf die lokalen Ökosysteme und Gemeinden minimiert".
Tatsächlich klingt das Verfahren von Livent zunächst einmal vorbildlich. Die meisten Lithiumminen in Südamerika lassen lithiumhaltiges Salzwasser unter Beigabe von Chemikalien verdunsten, bis die Lithiumverbindungen zurückbleiben. Livent verwendet stattdessen das "Direct Lithium Extraction"-Verfahren, bei dem das Salzwasser direkt in eine Aufbereitungsanlage gepumpt wird, wo das Lithium durch chemische Prozesse extrahiert wird. Ein Vorteil der Methode: Anders als bei den Verdunstungsverfahren, etwa in der Atacama-Wüste von Chile, müssen nicht unzählige Verdunstungsbecken geschaffen werden. Der Flächenverbrauch ist also bei der Direkt-Methode, wie sie Livent nutzt, geringer.
Hoher Süßwasserverbrauch
Weniger nachhaltig ist das Direktverfahren im Vergleich zur herkömmlichen Verdunstungsmethode aber in Bezug auf den Süßwasserverbrauch. Das ergeben Recherchen des ARD-Magazins Panorama und des Onlineformates STRG_F. Für die Produktion von einem Kilogramm Lithium verbraucht Livent laut Geschäfts- und Umweltverträglichkeitsberichten des Unternehmens knapp 900 Liter Süßwasser. Das ist mehr als fünfmal so viel Süßwasser wie bei der Verdunstungsmethode am Atacama-Salzsee in Chile. Dort benötigt der chilenische Konzern SQM, basierend auf Zahlen seines Nachhaltigkeitsberichts und eigenen Online-Monitorings, 173 Liter Süßwasser je Kilogramm.
BMW entgegnet, man könne die Projekte nicht vergleichen. Am Salzsee Hombre Muerto, wo Livent Lithium abbaut, gebe es mehr Niederschlag und verfügbare Wasserressourcen als am Atacama-Salzsee. Laut dem "Aqueduct Water Risk Atlas" des World Resources Institute liege die Mine von Livent sogar in einer Region mit "Low Water Risk" - der niedrigsten Kategorie. Das verwundert zunächst, denn die wüstenähnliche Gegend gilt als eine sehr trockene Region. Tatsächlich betrachtet der Risk Atlas aber Wasserressourcen in Bezug auf Wassernutzer, zum Beispiel ausgehend von der Bevölkerungsdichte. Demnach haben auch Teile der libyschen Wüste die niedrigste Kategorie. Ostfriesland gilt dagegen als risikoreicher.
Román Guitian, Sprecher der indigenen Gemeinschaft "Atacameños del Altiplano", kritisiert den Süßwasserverbrauch von Livent in der Region. Livent habe für die Lithiumproduktion bereits in den 1990er-Jahren einen Staudamm an einem Fluss errichtet, der danach unterhalb des Staudamms ausgetrocknet sei. Das habe verheerende Folgen etwa für die Viehzucht vor Ort. Guitian befürchtet, dass mit steigender Lithiumnachfrage auch der größte Fluss der Region austrocknen könnte.
Für den Akku eines Elektro-SUVs werden mehrere Kilogramm Lithium benötigt, für den BMW iX M60 beispielsweise sogar rund zehn Kilogramm. Würde das Lithium komplett von Livent stammen, wären das fast 9000 Liter Süßwasser.
Sorge um den Grundwasserspiegel
Wichtig für die trockene Region ist der Grundwasserpegel, für den der Umgang mit dem Salzwasser unter den Salzseen eine Rolle spielt. BMW hebt das Vorgehen von Livent in dieser Hinsicht als positiv hervor. Tatsächlich wird bei der herkömmlichen Verdunstungsmethode das Salzwasser, auch Sole genannt, aus dem Untergrund der Salzseen gepumpt, bevor es in große Verdunstungsbecken geleitet wird. Das Problem dabei: Durch Verbrauch bzw. Verdunstung großer Mengen an Sole kann laut verschiedenen Studien nicht nur der Pegel des unterirdischen Salzsees fallen, sondern auch das Grundwasser am Rand der Salzseen sinken.
Bei dem von Livent verwendeten Verfahren kann die verarbeitete Sole zurück in den unterirdischen Salzsee gepresst werden. Dadurch kann ein Sinken des Seepegels und damit des Grundwassers in der Umgebung verhindert werden. BMW behauptet, dass der "größte Teil der verwendeten Sole" nicht verdunstet. Das wäre ein einleuchtendes Verfahren, wenn es so umgesetzt würde.
Doch ob das Verfahren so umgesetzt wird, daran gibt es Zweifel. So ist in den eigenen Umweltberichten von Livent nirgendwo die Rede davon, dass die restliche Sole in den Untergrund zurückgeleitet wird. Was aber in den Berichten zu lesen ist: Laut Livent wird die Restsole nach einer Neutralisierung des pH-Wertes in einen künstlichen See auf den Salar del Hombre Muerto geleitet.
Zweifel an der Umsetzung
Broder Merkel, Professor für Hydrogeologie an der Bergakademie Freiberg, sieht nur zwei Möglichkeiten, was mit der Restsole passiert: "Entweder wird die Restsole wieder in die Sole zurückgepumpt oder auf den Salar geleitet, wo sie verdunstet." Merkel geht auf Basis der NDR-Recherchen davon aus, dass Letzteres der Fall ist. Er sieht entgegen der Aussagen von BMW somit keinen positiven Effekt hinsichtlich des Solespiegels. BMW und Livent ließen NDR-Anfragen, was mit der genutzten Sole geschieht, unbeantwortet.
BMW betont, seine Verantwortung im Rahmen der Umwelt- und Sozialstandards bei der Lithiumbeschaffung sehr ernst zu nehmen. Der Konzern weist auf wissenschaftliche Studien zum Lithiumabbau in Chile und Argentinien hin, die man in Auftrag gegeben habe. Konkrete Fragen zum Abbau durch Livent ließ BMW unbeantwortet. Auf Nachfrage heißt es: "Wir verpflichten alle unsere Lieferanten zur Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards, Menschenrechten sowie zur Anwendung von Managementsystemen zum Arbeitsschutz und Schutz der Umwelt. Dies ist auch bei unserem Lieferanten Livent der Fall." Auch Livent beantwortete Fragen zum Produktionsverfahren und zur Nachhaltigkeit nicht.
Bis 2040 könnte sich der weltweite Lithiumbedarf im Vergleich zu heute mehr als verzehnfachen. Welche ökologischen Folgen der Abbau für die Ökosysteme in den Abbaugebieten haben wird, ist nicht absehbar.
Über dieses Thema berichtet Panorama heute um 22:20 Uhr im Ersten